Angesichts der Unwirtlichkeit der augenblicklichen Witterung da draußen vorm Balkon hat man dann doch manchmal ausschließlich den Wunsch, „Schnell ins Warme!“ auszurufen, zu Hause zu sein, die Heizung auf Anschlag, die Schotten dicht, das behagliche Licht an. Wort, Bild, Buch, Klang dazu und vor allem: Leckt mich doch mit euren Köln-Alptraum-Szenarios, leckt mich mit Erhöhungen der Krankenkassen-Beiträge, leckt mich mit Tatort-Verrissen, leckt mich mit Extremismus-Diskussionen und Merkel-Schuldzuweisungen für Magenverkleinerungen bei der SPD. Leckt mich am besten da, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

All das lässt sich in der eigenen Butze ja irgendwie leicht organisieren, (noch) bezahlbaren Wohnraums sei dank. Und schon ist sie wieder da – die Politik. Politik ist dann vermutlich doch eine zutiefst private Sache.
Privat nicht in dem Sinne, dass etwas im Verborgenen blühen sollte oder nur mit wenigen geteilt. Privatheit ist hier in dem Sinne gemeint, dass Politik bisher in jeder Epoche der Menschheit ein Gewalttäter war, der in das Privatleben des Einzelnen eindringt. Ganz oben, bei den Reichen und denen, die es gerne wären. Und bei denen draußen vor der Tür, den Flüchtlingen, die vielleicht niemals eine Heimat finden. Höchstens im krampfhaft aufrechterhaltenen Kommerz-Halligalli, bis irgendwann das ganze Kredit-Kartenhaus eben zusammenbricht.

Das Private sei politisch und das Politische privat, verkündete ein alter Sponti-Spruch. Da hatte man ja tatsächlich nicht ganz Unrecht.

Inwieweit die Gesamtlage Menschen zum Zweifeln bringen kann, zeigte sich mir gestern erst, als ich mich mit jemandem über die Frage unterhielt, ob man seinen Kindern heutzutage ernsthaft noch raten könne, Kinder zu bekommen. Man sehe ja, wie wahnsinnig sich gerade unsere Zeit gebärde, Paris, Brüssel, immer dieses Istanbul, jetzt schon Berlin …, dann die Pegidisten und noch schlimmere Schwachmaten, bei denen der Begriff „Heimsuchen“ eine noch widerwärtigere Konnotation hinzuzubekommen wusste als ohnehin.

Wie lange wird man noch das auf wackeligen Füßen stehende Systemchen aufrechterhalten können? Bis die Enkel groß sind? Nicht so lange? Oder doch?

Und was solle man den Kleinen dann überhaupt noch mitgeben? Dass nichts sicher ist auf dieser Welt, außer dass es tausenderlei Menschen gibt, die alle irgendwann eine andere Meise für sich kultivieren? Teure Bibliotheksmöbel in Teakholz zum Beispiel? Oder Meditations-Sucht? Oder die keine Milch mehr trinken wollen? Oder nur noch Musik aus Bang-Olufsen-Geräten genießen können oder Rotwein aus mundgeblasenen Gläsern aus dem Herzen der Toskana? Und die sich zu 90 % alle gegenseitig missionieren, was verdammt anstrengend werden kann und ganz schön davon ablenkt, dass anderswo Menschen die Hütte unterm Hintern wegfliegt?

Tja, sollte man der folgenden Generation das Kinderkriegen nicht besser ausreden?

Meine Ansicht lautete gestern und heute und wird morgen lauten: Nein!

Man rede überhaupt nicht rein in so etwas und lasse es geschehen. Es ist sicher nicht der einzige Schlüssel zum Glück, es gibt tausend andere Möglichkeiten, ein erfülltes Leben zu leben. Keine Frage.

Aber das Gefühlsspektrum, das uns ein uns Anvertrauter eröffnen kann, ist pathetischerweise immer noch überwältigend wunderbar und immer wieder eine große Chance. Die Chance, dass es dieser Generation gelingen möge, ein bisschen aufzuräumen mit unserer leicht narzisstisch versifften Gesellschaft. Wenn man ihnen zum Beispiel vielleicht rechtzeitig sagt, dass es kein Privileg ist, sich aussuchen zu können, von wem man verarscht wird? Wenn man ihnen ein paar neue Losungen ins Wickeltuch zu weben beginnt? Etwas Richtungsweisendes in dieser Couleur vielleicht:

Weniger Großraum, mehr Großzügigkeit.
Weniger BILD, mehr Bilder.
Weniger Lächerlichkeit, mehr Lachen.
Weniger Gleichstellungswahn, mehr Gleichmut.
Weniger Guthaben, mehr „Es gut haben“.
Weniger Schein, mehr Heiligkeit.
Weniger Schuld- mehr Huld-Suche.
Weniger Inhouse-Schulungen, mehr Inbrunst-Schulungen.
Weniger Geschwätz, mehr Gekicher.
Weniger Investition, mehr Intuition.
Weniger Therapie-Bedürftige, mehr Utopie-Bedürftige.
Weniger Kern-Kompetenz, mehr Kern-Renitenz.
Weniger Überlegenheit, mehr Überschwänglichkeit.
Weniger Unpässlichkeit, mehr Umgänglichkeit.
Weniger Verkorkstheit, mehr Entkorktheit.
Weniger TTIP, mehr Q-Tips,
Weniger Zweckdiener, mehr dienende Zwecke.
Weniger Zubringer, mehr Bringer. …

Also, trotz all dieser knirschender-Schnee-Eis-Streugut-unter-den-Schuhen-Geräusche und trotz des Geruches feuchter Verließe, der einen dieser Tage in der Straßenbahn oft entgegenwabert: Es kann nicht verkehrt sein, die Sicherheitsgurte der Gefühlswelt mal abzuschnallen, aufeinanderzuprallen, Kinder zu machen, und/oder lieb zu bereits geschlüpften zu sein und vor allem den Schneepflug über allzu eingeschliffene Blödsinnigkeiten der Erwachsenenwelt rattern lassen.

Nur Mut!

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