Mittelschwanger und von der Lügenpresse interviewt: Diesem Schicksal musste Frauke Petry in der vergangenen Woche ins Auge sehen. Die LVZ hatte, wie in der aktuellen Wochenendausgabe zu lesen war, die Landesvorsitzende der sächsischen AfD umfassend befragt – sowohl zu politischen Ideen als auch zu ihrem ureigenen Privatleben.

Erstere traten wenig überraschend aufgrund der legendären Überschaubarkeit visionärer Kraft der AfD flugs in den Hintergrund, das Pretzell-Petrysche Privatleben blieb in der Tat als das übrig, was einem regeres Interesse abnötigte. Viel Neues erfuhr der Leser indes auch hier nicht: Petry berichtete artig darüber, was sie in Interviews stoisch zur Kenntnis zu geben pflegt, wenn sie auf ihren Familienalltag angesprochen wird: Sie sei eben eine ganz normale Mutter, die tagtäglich ihre Kinder in deren verschiedene Tagesunterschlupfe verbringe, um dann zur Arbeit zu gehen, wiederzukehren, Droschkendienste abzuleisten, um die Kinder zu „Musik- und Sportkursen“ zu transportieren, zu Abend zu essen und vorzulesen. Was Millionen Mütter eben auch machen, so Petry. Millionen Mütter machen das auch? Ja und nein.

Der Kern des Interviews, der in einem seltsam nachhallte, speiste sich nämlich erneut aus dem, was Petry eben nicht sagte. Man kann es drehen, wie man will, aber Petry ist keine „normale“ Mutter, wenn man das Fillypferdchen-Komplexität-Weltbild der AfD als Schablone anlegt.

Mutter, Vater, drei bis vier rotbackige Kinder und danach erst einmal lange Zeit nichts, das hat bekanntlich auch bei den Petrys oder den Pretzells zunächst einmal nicht ganz hingehauen. Petry sagt nichts darüber. Auch nichts über die Belastungen des Alltags in einer bald neunköpfigen Patchworkfamilie, nichts über ihr eben nicht alltägliches berufliches Treiben, nichts Konkretes über die tatsächliche Vereinbarkeit beider Komponenten. Nichts über Hilfe, von welcher Seite auch immer. Nichts über vermutlich getroffene Vereinbarungen mit ihrem geschiedenen Mann, nichts über dessen Anteil in der Aufzucht der gemeinsamen Kinder.
Es ist, als ob das alles nicht existiere.

Stattdessen scheint sie einen glauben zu machen: Mit genügend Disziplin und Organisation geht alles. Man muss nur wollen.

Verstehe man mich nicht falsch: Ich habe keinerlei persönliche Befindlichkeiten gegenüber mir wenig sagenden Lebensentwürfen. Jeder bitte nach seinem Strickmuster, wenn das Ergebnis ihn denn schön warm ums Herze zu halten imstande ist. Dieses Credo erscheint mir lebbar. In manches schlittert man ja auch mal rein.

Was uns hier aber als normales und gesellschaftsstabilisierendes  Friede-Freude-Familienleben verkauft wird, ist eine Mogelpackung. Eine Mogelpackung, die sich eben auch erst aus dem Scheitern von Erstfamiliengründungen zu ergeben wusste, weil so etwas Menschen eben widerfährt. Trennungen passieren. Ohne Kind. Mit einem Kind. Mit vier Kindern. Weil es nicht mehr geht. Weil man sich neu verliebt hat. Weil einer schwul ist und dies erst später zu sagen wagte. Weil sich einer nach dem Zigarettenholen nicht mehr bei der Gattin eingefunden hat, weil diese ihn vielleicht über Jahre hinweg beständig unter der Bettdecke zu kneifen wusste. Wir ahnen: Der Gründe ist kein Ende.

Was es aber gibt, sind mannigfache Neu-Konstellationen, die in der Summe erfahrungsgemäß genauso beglückend oder problembehaftet daherkommen wie die herkömmliche Ehe. Warum nur kann man im Jahr 2017 nicht ehrlich dazu stehen? Denn es hilft wenig, schönzufärben: Wie Tausende andere können Pretzell und Petry in ihrer neuen  Konstellation gesellschaftlich akzeptiert leben, weil sie von Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte  profitieren, die in ihrer konservativen Traumwelt kaum möglich gewesen wären.

Nicht, dass das alles nicht gut klänge: Mann, Frau, Kind und abends wird vorgelesen! Keine Frage. Das wünschen sich sicher viele. Aber gefragt werden muss auch hier: Warum eigentlich? Und warum vorlesen? Warum die Phantasie anregen und ausprägen durch das Eintauchen in fremde Gedankenwelten? Wenn einem als Erwachsener offensichtlich doch genau diese fehlt? Per se ist das noch nichts zu Preisendes.

Oder wie ist es zu verstehen, dass Petry zum Ende des Interviews hin nach ihrer Motivation befragt, warum sie sich all dies antue, zu antworten weiß: „Weil ich im Gegensatz zu Frau Merkel Kinder habe, die eine positive und sichere Zukunft brauchen.“

Mit Verlaub: Da hat das Vorlesen noch nicht genügend angeschlagen. Wenn einem als nennbaren Antrieb für eine politische Aktivität ausschließlich die Begeisterung über die eigene Reproduktionsfähigkeit und der Seitenhieb auf den kinderlosen politischen Gegner einfällt, dem man offensichtlich nicht zutraut, jenseits seiner eigenen familiären Gemengelage etwas hinterlassen zu wollen, gehört man vom Ideenentfaltungspotential vielleicht ins Elternaktiv der KITA „Spatzennest“ oder in den Förderverein einer Schule. Wer anderen die weiterreichende Zukunftsplanung abspricht, weil er keine Kinder hat, hätte auch Albert Schweitzer verbieten können, in Lambaréné herumzutoben, weil er selber nicht schwarz war.

Für die Bundespolitik allerdings erscheint dieses Ausmaß an Phantasie jedoch ein bisschen dürftig.

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