„Ostern ist das neue Weihnachten“. Mit dieser verwegenen These wurde ein Hamburger Trendforscher am Wochenende in der Thüringer Allgemeinen zitiert. Ich habe nichts gegen Hamburg, aber das frische Wetter da oben weiß vielleicht doch manchmal dem einen oder anderen mehr in die Rübe zu fahren als Trendforschermeinungslesenden lieb sein kann. Oder kurz gesagt: Der Trendforscher erzählt natürlich Quatsch. Ostern ist nicht das neue Weihnachten, Weihnachten ist schlichtweg das Fest, an dem der Mensch mit der Bling-Bling-Weihnachtsmannmütze an der Nahrungskette durchs Dorf geführt wird.

Außerdem wissen nach diesem garstigen Outdoorphänomen der letzten drei Tage alle längst: Ostern ist der neue Herbstanfang. Ganz ohne Hilfe aus Hamburg. Die Welt existiert zeitweilig wieder in Regenjacke. Manch Mitmensch weist dem anderen fröstelnd die hochgezogene Schulter, während beide Mundwinkel da hängen, wo schon die Magnolienblätter in kleinen schlammigen Pfützen schwimmen – auf dem Asphalt. Am Ast wölbt sich wollüstig prall und tropfend der Rest der bezaubernd weiß-rosa Blütenverwandtschaft, um in Bälde in ihrer ganzen glänzenden Pracht auf die Straßen zu explodieren.

Trotz botanischer Tupfer des gesamten Farbspektrums liegt die Welt plötzlich wieder im grauen Reformkleid brach. Die Hoffnung, so scheint es, hat sich kurz hingelegt. Manche sind aus purem Kummer darüber schon erkältet, anderen reagieren sich auf ihre Weise ab: Im Zoo nölt ein Vater die Mutter seiner Kinder und diese selbst aufs Grantigste voll, weil ein monströser Plüschtiger erworben worden war. Warum genau er nölt, bleibt im Dunkeln. Er schreit was von „überteuert“ und dann eine seiner etwa fünf- bis achtjährigen Töchter an, SIE redeten doch immer von der Umwelt und jetzt kauften sie sich so ein Scheißteil, das andere Kinder zusammengenäht hätten.

Ich wusste: Scheiße, der Mann hatte Recht. Ich sah auch, der Mann war unschön, schwammig, nur zweckmäßig angezogen, keineswegs gekleidet. Er hatte einen bösen und strengen Zug um den Mund und sah nicht, wie sehr sich die Kinder an das heikle Plüschobjekt kuschelten. Die Frau rechtfertigte sich leise, wollte vermitteln. Allein: Es ging nichts. Gar nichts. Er wollte weiter zetern. Er wollte weiter schlechte Laune zelebrieren. Er wollte weiter einfach hochgradig unerträglich sein.

Nicht, dass mir so etwas tatsächlich die Feiertagsstimmung zu trüben imstande wäre, aber ein bisschen beschäftigt einen es dann doch: So viel Disharmonie. So viele Widersprüche. So viel ungelöst immer noch in dieser Welt. Und es tritt immer öfter zutage: Wir haben ein Problem mit unserer Empörung. Nicht, dass wir nicht dazu fähig wären. Im Gegenteil. Siehe oben. Wir sind schließlich oft und gern wütend auf irgendwas oder irgendwen.

Aber in sehr vielen Fällen auf das oder den Falsche(n). Oder falls man doch mal die richtige Arschgeige als Ziel seiner Abneigung gefunden hat, ist man meist nicht fähig, die Wut so zu kanalisieren, dass sie zu einer konstruktiven Handlung führt. Das ist zweifellos auch hohe Kunst, aber eine attraktive neue Sportart wäre es schon.

Stattdessen behilft man sich gern mit Equipment aus dem Selbstbelügungsrepertoire à la: Die lassen mich ja nicht machen. Das System ist scheiße. Ich habe einfach keine Lobby. Ich habe schlechte Berater/Gene/Venen. Meine Ansprüche sind eben zu hoch. Ich will es immer allen recht machen. Ich komm halt eher so vom kreativen Spektrum her. Ich wurde zu heiß gebadet. Der Zug ist längst abgefahren. Und überhaupt ist Merkel an allem schuld.

Das alles kann man zweifellos argumentativ auffahren, gleichzeitig führt es blöderweise aber auch dazu, dass strunzdoofe und/oder veritabel bösartige Leute proaktiv – wie diese Menschen eben auch gern sprechen – an einem vorbeisausen, um die Weltherrschaft zu abonnieren.

Es ist und bleibt unschön, aber ausschließlich nölende Kontraaktivität birgt eben auch seine Risiken. Eines nämlich sollte man im Auge behalten: Wir erleben gerade nichts anderes als eine allzu selbstverständlich hingenommene Phase des Friedens.

Wie in Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte „Küchenuhr“ geschrieben steht (gottlob noch immer in den Lesebüchern fast aller 3.765 Schulbuchverlage abgedruckt), sollten wir nicht erst zu spät sagen: „Jetzt, jetzt weiß ich, dass es das Paradies war.“

Es ist das Paradies gerade. Noch. Für uns. Warum ausgerechnet für uns, weiß keiner. Schönes Rest-Osterfest!

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