Nein, Donald Trump hat nicht angefangen, die Brexit-Befürworter und all die Populisten ringsum auch nicht. Auch wenn sie alle wie ausgebuffte Straßenkämpfer wirken, die sich jetzt in politische Kämpfe werfen, als wäre es wirklich (nur) eine Straßenklopperei. Und dabei Leute wie Dr. Jens Katzek, den Bundestagskandidaten der SPD für den Leipziger Süden, dazu bringen, ein Fairness- und Wahlkampfabkommen vorzuschlagen.

Der SPD-Kandidat ruft alle Kandidaten in seinem Bundestagswahlkreis zu einem solchen  Fairnessabkommen auf, das er auch gleich mit lauter Paragraphen ausformuliert hat.

„Wir haben in den USA und jetzt in Frankreich erlebt, wie mit illegal beschafften Informationen Wahlkämpfe beeinflusst wurden. Und wie Fakenews, Fakeaccounts und Robots in den Sozialen Medien für Stimmungsmache eingesetzt wurden. Solche unterschiedliche Arten der Beeinflussung der Öffentlichkeit müssen wir auch im kommenden Bundestagswahlkampf erwarten. Jeder, der statt populistischer Hetze an den demokratischen Wettbewerb der Ideen und politischen Konzepte glaubt, muss dagegen Widerstand leisten. Auch ganz konkret hier vor Ort“, versucht Jens Katzek zu erklären, was das soll. „Daher habe ich die Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien im Wahlkreis 153 aufgerufen, gemeinsam einen fairen Wahlkampf zu führen. Das sind wir den Wählerinnen und Wählern sowie dem demokratischen Wettbewerb schuldig.“

Womit er Recht hat: politische Kandidaten sind das ihren Wählern tatsächlich schuldig.

Aber machen wir uns nichts vor: Geboten haben sie es den Wählern auch in der Vergangenheit eher selten. Und nicht unbedingt auch dort, wo die Wähler erreicht wurden.

Denn dass man politische Wahlen nicht mit Fairness gewinnt, das hat sich schon lange herumgesprochen. Es gibt Parteien, die leiden darunter mehr als andere – manchmal auch die SPD. Aber es ist bislang auch keine Anstrengung zu sehen, das zu ändern. Denn dazu müsste man Medien ändern. Medien bestimmen, welche Art Wahlkampf wir bekommen, ob es irgendwo noch einen Raum zur fairen und faktenbasierten Diskussion gibt. Und eines ist Fakt: Weder Talkshows noch die beliebten Wahlkampf-Duelle von aussichtsreichen Kandidaten sind in irgendeiner Weise die Plattform für sachlichen und informativen Austausch.

Wir haben eine Medienlandschaft, die nicht nur jede politische Aktion und Äußerung emotionalisiert und skandalisiert, sie bevorzugt auch genau solche Akteure, die sich für Skandalisierungen am besten eignen. Und natürlich Themen, mit denen sich richtig Empörung schüren lässt. Das ist die am weitesten verbreitete Emotion, die in den heutigen deutschen Medien vorherrscht. Wobei das mit der Beschränkung auf deutsche Medien natürlich den Fokus zu sehr verengt: Heutige Populisten leben davon, dass die modernen Medien auf Empörung trainiert sind. Deswegen dominieren ja mittlerweile auch Boulevard-Medien die Meinungsbildung und sorgen dafür, dass auch die scheinbar noch seriösen Medien hinterher trotten, weil sie Quote und Reichweite vor allem mit Empörung erreichen. Und Empörung ist ein schnell zündender Stoff.

Was auch einige politische Parteien gelernt haben mittlerweile. Sie beschäftigen ganze PR-Abteilungen, die nichts anderes suchen als die persönlichen Schwächen der Gegner – und dann auch gleich alle Register ziehen, um damit eine Hebelwirkung auszulösen. Im Unterschied zur AfD, die schon mal angekündigt hat, auf die schönen Möglichkeiten der neuen Medienwelt nicht verzichten zu wollen, haben andere politische Player sogar den direkten Draht zu jenen Medien, die gemeinhin noch als seriös gelten, auch wenn sich die Empörungsschwelle schon seit Jahren deutlich gesenkt hat.

Mit den Möglichkeiten von Facebook, Twitter und Co. wird das noch verstärkt – aber nicht, weil diese Internet-Kanäle so besonders stark in der politischen Meinungsbildung wären, sondern weil klassische Medien sich dort ihr Futter holen und besonders gern Futter für richtig schöne Empörungskampagnen.

Der Teufel ist schon seit Jahren aus dem Sack. Und er hat vor allem dafür gesorgt, dass Politik und Wahlen extrem personalisiert wurden, kaum noch Schlagworte aus den Wahlprogrammen die Wähler ereichen, am Ende aber immer persönliche Stärken und Schwächen darüber entschieden, ob ein Kandidat nun durchfällt oder gewinnt. Nicht seine Fähigkeit zum politischen Gestalten, seine Ideen und Vorschläge dominieren die Wahl, sondern seine Bühnentauglichkeit plus das Bild vom Saubermann. Ein einziger Schmutzfleck genügt – und der Daumen senkt sich.

Das mit dem Daumen hat Facebook tatsächlich richtig erkannt: Wir leben in einer Welt, in der sich die Menschen benehmen wie die Zuschauer im römischen Zirkus: Sie heben oder senken die Daumen. Und wer den gesenkten Daumen bekommt, der braucht sich in der Manege nicht wieder blicken lassen.

Den heutigen Bürger interessieren tatsächliche politische Arbeitspläne überhaupt nicht. Er interessiert sich nicht für Geldströme, Netzwerke, Reformzwänge oder praktische Erfahrungen. Er beurteilt seinen Kandidaten nur nach dem, was auf der Mattscheibe rüberkommt und was er „so hört über den und jenen“. Seine Entscheidungen sind zu 90 Prozent von Wissen völlig unbefleckte Bauchentscheidungen. Auf diesen Zug, den Politik in den westlichen Ländern schon seit Jahren genommen hat, sind Populisten nur aufgesprungen – und benehmen sich genau so, wie es dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten verlangt. Die Show ist alles – wer fragt schon nach der Seriosität der Inhalte?

Da hofft Dr. Jens Katzek augenscheinlich auf eine Art Wunder, eine Art friedlichen Wettbewerb abseits der großen Schaumschlägereien. Das wäre zumindest ein kleines Wunder da im Leipziger Süden.

Seinen Diskussionsvorschlag hat er auf seiner Webseite veröffentlicht. Und er beschwört alle Wettbewerber, ein Zeichen zu setzen: Es gehe um unterschiedliche Ideen, Politikansätze und Personen, nicht um Feindschaft und persönliche Angriffe oder falsche Behauptungen.

Wetten, dass die meinungs- und bildstarken Medien da ganz und gar nicht mitspielen?

„Ich möchte gerne, dass die Menschen in Leipzig eine echte Wahl haben und nicht durch ‚alternative‘ Fakten, ungeprüfte Informationen oder Maschinen in sozialen Netzwerken manipuliert werden“, sagt Katzek noch. „Ich würde mich freuen, wenn meine Initiative zu einem fairen politischen Wettbewerb in der Stadt der friedlichen Revolution führt.“

Das wäre was.

Aber dazu müsste man den Medienzirkus ändern. Und zwar gründlich. Aber wie macht man das, wo sich das Wahlvolk nun seit über 30 Jahren daran gewöhnt hat, dass im Zirkus Blut und Tränen fließen und niemand vom Zuschauer verlangt, zu verstehen, wie das Spiel funktioniert? Ja, wo niemand vom Zuschauer irgendeine Anstrengung verlangt. Auch kein tieferes Wissen über Parteien, Programme und Lösungsvorschläge. Dass darüber mal diskutiert würde, wäre ja mal was Neues.

Aber wir behandeln Politik mittlerweile wie das Weihnachtsfest. Geben unsere Wunschzettel beim Nikolaus ab und wundern uns dann, dass lauter blinkender Krimskrams unterm Baum liegt, der zwar am Weihnachtsabend blinkt und tutet, nach Neujahr aber schon kaputt ist und in die Ecke fliegt.

Wir haben jetzt nur die männliche Form der Politiker verwendet. Aber das gehört dazu. Weibliche und kooperative Formen von Politik kommen in diesem Zirkus nicht „so gut rüber“. Weswegen es auch nur wenige Frauen schaffen bis ganz nach oben. Und wenn sie es geschafft haben, ist ihnen die Häme sicher, nicht wahr, liebe Kollegen? Die politisch interessierten Frauen würden sich über mehr Fairness freuen. Bestimmt.

Aber wer redet von Fairness, wenn es den wichtigsten Spielern nur ums Geschäft geht?

Und das lassen wir hier einfach so stehen. Denn das ist ein eigenes Thema – mit einem enormen Empörungspotential. Das heben wir uns noch ein bisschen auf für eine ruhigere Stunde.

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