Picknickkörbe. Sommer. Abendrot. Rosental. Kirschen. Mückenspray. Oliven. Kinder, die sich in Minutenschnelle als beste Freunde finden. Pärchen. Cidre. Melone. Taschenmesser. Kind lacht. Bratwurstgrillgeruch. Klappstühle. Lampions. Porsche-VIPs und Prominenz. Rotwein. Vom Zooschaufenster her weht ein sanfter Hauch von Elefant, Tiger & Co. Nackte Füße. Fahrradfahrer. Applaus. Licht. Das Gewandhausorchester auf der Parkbühne. Von Leipzigs Boden ging gestern Abend kein Krieg mehr aus.

Ja, irgendwie hatte ich es fast wieder lieb, dieses Leipzig. Samt seiner Leipziger. Die sich pünktlich und unbeirrt zum Feiern der Schönheit der Musik, des Sommers, des Lebens einstellen.

Manchmal im Alltag, im Wahnsinn der Großstadt, im Gemenge der Pöbeleien im öffentlichen Nahverkehr, der Mittelfinger-Erigierten auf den Straßen und des Geschreis und der Rumrotzerei in Hauptbahnhofsnähe. An Plätzen, die Realität gewordenes Reality-TV geworden zu sein scheinen, da verlässt mich – ganz ehrlich – manchmal der Glaube an die Stadt. Oder an die Menschen an sich?

Laut Dürrenmatt kann bekanntlich alles, was einmal gedacht wurde, nicht zurückgenommen werden. Und das will ich auch gar nicht. Aber auch Gedanken gehören ab und zu mal zurechtgerückt und eingenordet.

Denn: Rückspultaste.

Ein weiteres klassisches Leipziger Park-Erlebnis: Es ist ein warmer Abend im Mai. Die Hitze lässt nach und der Himmel beginnt bereits backfischartig zu erröten. Hinter der Oper am Schwanenteich tummelt sich einiges. Am Fernreisebus nach Berlin wartet vor allem junges Blut mit Rucksack geduldig rauchend auf Beförderung.

Zehn Meter neben den Enten erhebt sich ein schwarzhaariges älteres Männchen mit einer Plastiktüte in der rechten Hand, vielen ist er von seinem gewohnheitsmäßigen Akkordeonspiel in der Innenstadt bekannt, strauchelnd von seiner Bank, wankt drei Schritte nach vorn, zwei wieder zurück, um dann mit lautem Schlage umzufallen – um Haaresbreite mit dem Kopf die Bank verfehlend. Bleibt dennoch bewusstlos liegen. Verdreht die Augen unheilvoll nach oben.

Die Frau, die gerade zufällig mit einem Kind auf dem Gepäckträger vorbeifährt, sieht dies (in diesem Monat Mai übrigens zum dritten Male), prüft schnell mit zwei anderen herbeieilenden Frauen die Atmung des Mannes, ruft den Krankenwagen, und bringt dann den Mann in die stabile Seitenlage. (Irgendwas muss man ja tun. … Wenn der nun kotzt … ? … Wie lange ist dieser verdammte Ersthelfer-Kurs jetzt her? … Scheiße, wie ging das noch mal? Wie genau ging das noch mal ..?!! …) … Wartet 15 Minuten auf den Krankenwagen. Das Kind ist begeistert. Es wittert eine Art Abenteuer, merkt aber: „Mannomann, hier muss ich mal die Klappe halten, hier passiert grad was“.

Irgendwie gut dabei: In dieser Viertelstunde kommen ungefähr 20 Passanten des Wegs, 18 davon bleiben stehen und fragen, was los sei, ob sie etwas tun könnten. Dann fast peinlich berührt, ob es okay sei, wenn sie weitergingen, der Bus würde nicht warten und wir seien offenbar zu dritt ….

Der Krankenwagen spuckte drei beherzte junge Männer aus, das Männchen wurde mit freundlich-professionellem Ton routiniert abtransportiert.  Ein paar Tags später sah ich ihn wieder – mit seinem Akkordeon und dem viel zu großen, bereits leicht patinösen Jackett seiner Wege ziehen.

Doch: Mein Leipzig lob ich mir. Es ist keineswegs ein Klein-Paris, aber es ist ein guter Ort zum Leben. Mit durchaus vielen Einwohnern mit dem Hang zum Gutsein. Man muss sie nur lassen.

Die neue LZ Ausgabe Juni 2017 ist seit Freitag, 16. Juni 2017, im Handel

Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

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