Schöne neue Arbeitswelt. Die einen schieben unentgeltliche Überstunden. Die nächsten sind flexibel rund um die Uhr. Andere schuften für Niedriglohn. Und unten, wo man mit Niedriglohn sofort landet, wenn der Zeitvertrag ausläuft oder die Firma sich "verschlankt", lauert die Sanktionshölle "Hartz IV". Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen 20 Jahren drastisch verändert. Das hat auch Konsequenzen für die Gesundheit.

Eine davon ist natürlich, dass gerade junge Menschen sich Vieles verkneifen, was eigentlich ihr gutes Recht als Arbeitnehmer ist. Wer so wenig verdient, dass er sich keinen Puffer aufbauen kann, der fürchtet natürlich den sofortigen Jobverlust. Und geht auch dann lieber zur Arbeit, wenn der Arzt eigentlich Bettruhe verordnet hat oder hätte.

Das bestätigt jetzt auch eine Umfrage, die die Gesundheitskasse DAK in Auftrag gegeben hat. Sie hat vom Institut Forsa insgesamt 3.200 Personen befragen lassen. 2.655 davon waren in den 12 Monaten vor der Umfrage auch mal krank gewesen. Doch zu Hause geblieben im Krankheitsfall sind nur 23 Prozent der Befragten.

“Die Mehrheit der Arbeitnehmer zwischen 25 und 40 Jahren geht auch krank zur Arbeit”, stellt die DAK nun fest. “Fast zwei Drittel schleppen sich mit Gesundheitsproblemen ins Büro, in die Werkstatt oder an andere Arbeitsplätze. Vor allem die durch Karriere und Familie besonders belastete Rushhour-Generation zwischen 30 und 40 Jahren kuriert sich nicht aus. Mehr als jeder Dritte von ihnen (36 Prozent) ging an drei bis zehn Tagen krank zum Job. Bei jedem Sechsten waren es sogar 11 bis 20 Tage.”

Wobei der Fokus auf die “Rushhour-Generation” hier nicht ganz zufällig ist, denn die Befragten der Forsa-Auswertung befanden sich in den wesentlichen Elternjahrgängen von 25 bis 40 Jahre. Das ist die Zeit, in der es eben nicht nur um den Berufseinstieg und die Sicherung eines vernünftigen Erwerbseinkommens geht, sondern auch im die Gründung und Versorgung einer Familie. Die von der DAK beauftragte Umfrage beleuchtet also recht genau die Welt jener Menschen, die in der deutschen Politik so gern gefeiert werden, wenn man mal wieder “Familienpolitik” macht, – und die im Erwerbsleben dann trotzdem mit dem ganzen Instrumentarium der modernen Beschäftigungsverhältnisse konfrontiert werden – von diversen Probezeiten über mies bezahlte Praktika bis hin zu Projekt- und Zeitarbeitsverträgen. Da gehört schon eine Menge Mut dazu, da auch noch parallel eine Familie zu gründen, gar noch mehr als ein Kind haben zu wollen. Und es braucht sichtlich eine robuste Gesundheit.

Und so zeigt denn die Umfrage von Forsa auch: “Besonders häufig betroffen sind Beschäftigte mit drei oder mehr Kindern. 60 Prozent von ihnen gaben an, 3 bis 20 Tage im Jahr krank gearbeitet zu haben. Die Ergebnisse machen deutlich: Präsentismus, die Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz Krankheit, ist ein weit verbreitetes Problem – und zwar für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.”

“Viele haben schlicht Angst, dass eine Krankschreibung ihren Job gefährden könnte”, erläutert Frank Meiners, Diplom-Psychologe bei der DAK-Gesundheit, die Beweggründe. “Arbeitnehmer mit Kindern haben zudem oft den Eindruck, sie fehlen schon häufig wegen Krankheit der Kinder. Deshalb machen manche Abstriche bei sich selbst.” Auch Umstrukturierungen und finanzielle Sorgen tragen erheblich zu Präsentismus bei, benennt die DAK zwei wichtige Gründe für die Arbeitsbereitschaft auch im Krankheitsfall.

Natürlich hat das eine Kehrseite, so die DAK: “Das gut gemeinte Verhalten der Arbeitnehmer kostet Arbeitgeber allerdings bares Geld. Denn wer krank ist, ist weniger produktiv und steckt gegebenenfalls sogar Kollegen an. Umso wichtiger ist es, die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern, beispielsweise mit betrieblichem Gesundheitsmanagement.” Was die DAK natürlich auch anbietet.

Aber das löst das Problem nicht wirklich. Denn im Normalfall haben junge Eltern keinen Zeitpuffer, um auch noch die notwendigen Präventionsangebote wahrnehmen zu können. Die Arbeitswelt selbst muss sich ändern. Und der Respekt für die Beschäftigten muss wieder gefunden werden. Aber die Wahrheit ist auch: Diese Achtung vor dem konkreten Menschen ist in den vergangenen Jahren ebenso verlorengegangen. Nicht nur in einigen Unternehmen, die sich gern als “sozial” bezeichnen, wenn sie schon mal eine Topfpflanze am Arbeitsplatz dulden. Sondern auch in der Politik.

Was fehlt in der Umfrage, ist natürlich die Differenzierung – angefangen zwischen Ost und West (und es würde überraschen, wenn die Werte gleich wären) – weitergemacht bei Beschäftigung in Industrie und Dienstleistung (da gilt dasselbe) und mindestens noch erfasst die Unterscheidung zwischen Privatwirtschaft und Öffentlichem Dienst (und da wäre gar nicht sicher, dass die öffentlichen “Arbeitgeber” besser wegkommen).

So gesehen ein erster Blick ins Wurzelwerk. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

Die einzelnen Zahlen aus der Befragung als PDF zum download.

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