Was man nicht mehr so ganz selbstverständlich hinbekommt in seinem stressgeplagten Leben, das könnte man ja mit ein paar mentalen Übungen wieder einbauen. Das finden zumindest die Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS). Denn die heutige Vereinsamung hat ihren Preis. Wir leiden auch psychisch unter fehlenden menschlichen Kontakten.

Denn der Mensch ist ein soziales Wesen und Einsamkeit belastet ihn. Er leidet nicht nur psychisch, Einsamkeit macht ihn auch körperlich krank.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) haben nun gezeigt, dass eine neue Form täglicher Meditation die soziale Verbundenheit untereinander steigern und das Gefühl von Einsamkeit reduzieren kann: Die sogenannte kontemplative Dyade. Diese setzt im Gegensatz zu traditionellen, allein im Stillen für sich praktizierten Techniken auf lautes Meditieren in Form hochkonzentrierter Dialoge – sei es von Angesicht zu Angesicht oder über eine spezielle Smartphone-App.

Gemeinsame Meditation gegen die Einsamkeit

So geht es: Eine Person berichtet ausführlich von einer Auseinandersetzung mit einem Freund oder einer anderen unangenehmen Situation, die sie am Tag zuvor erlebt hat, und wie sich diese körperlich angefühlt hat. Anschließend schildert sie eine Erfahrung, für die sie in den letzten 24 Stunden besonders dankbar war. Eine andere Person, der Zuhörer, lauscht ihrer Erzählung aufmerksam und beginnt so, Empathie für sie zu entwickeln. Während sie spricht, hört er aufmerksam zu, ohne das Gesagte durch Worte oder Mimiken zu kommentieren – und umgekehrt. Eine typische Szene während einer sogenannten kontemplativen Dyade, das heißt einer Form täglicher Meditation, bei der sich zwei Meditationspartner in einem hochkonzentrierten Dialog miteinander austauschen.

Das erinnert schon ein wenig an das, was sich viele Menschen abends am Küchentisch erzählen und erklärt vielleicht auch, warum sie es tun.

Aber die Übung ist eher nicht dafür gedacht, das Familienleben neu aufzupeppen. Obwohl es vielleicht helfen würde, damit sich Partner wieder zuhören lernen.

„Wir wollten herausfinden, ob diese von uns entwickelte neue Form der täglichen kontemplativen Dyade dazu beitragen kann, die soziale Verbundenheit zwischen Menschen zu stärken, selbst wenn diese sich vorher nicht kennen“, erklärt Tania Singer, Studienleiterin des dahinterstehenden großangelegten ReSource Projekts, einer neunmonatigen Längsschnittstudie, die die Auswirkungen von mentalem Training auf unser Wohlbefinden und unsere sozialen, emotionalen und geistigen Fähigkeiten untersucht.

Dyade funktioniert

„Nach jeder Dyade berichteten die Teilnehmer, dass sie sich ihrem Gegenüber nach der gemeinsamen Übung deutlich näher fühlten als zuvor. Im Laufe unseres täglichen 10-minütigen Trainings an fünf Tagen pro Woche über einen Zeitraum von sechs Monaten hinweg teilten die Menschen so zunehmend persönlichere Gedanken und Gefühle”, erklärt Bethany E. Kok, Erstautorin der dazugehörigen Originalpublikation. „Sie bauten damit eine emotionale Nähe zueinander auf – obwohl der Dialogpartner jede Woche aufs Neue wechselte und die Übungseinheiten meist statt von Angesicht zu Angesicht über eine eigens entwickelte Smartphone-App durchgeführt wurden.“

Die Neurowissenschaftlerinnen schlussfolgerten daraus, dass sich die Teilnehmer nicht nur ihrem direkten Partner innerhalb der Dyade näher fühlten, sondern den Menschen im Allgemeinen.

Seit einiger Zeit werden kontemplative Dyaden als eine vielversprechende Methode diskutiert, um die persönlichen sozialen Fähigkeiten zu schulen.

„Wir haben nun den ersten wissenschaftlichen Beweis dafür geliefert, dass dieser kurze tägliche Austausch von Gefühlen und Gedanken ein wirkungsvolles Mittel sein kann, um die Menschen einander innerlich näher zu bringen“, erklärt Bethany E.  Kok. „Aus früheren Studien wissen wir, dass die persönlich wahrgenommene Verbundenheit zu den eigenen Mitmenschen wiederum dazu beiträgt, dass Menschen ein längeres, gesünderes und vor allem glücklicheres Leben führen.“

Zwei Formen der Dyade, beide zeigen Wirkung

Innerhalb ihrer Studie konzentrierten sich die Wissenschaftler um Prof. Singer auf zwei Formen der kontemplativen Dyaden: die affektive und die perspektivische.

„Die eingangs beschriebene Szene spiegelt dabei die affektive Variante wider, bei der eine Person jeweils eine eigens gerade erlebte, besonders emotionale Situation aus eigener Sicht beschreibt. Im Gegensatz dazu schildert der Sprecher in der perspektivischen Dyade zwar ebenfalls eine aktuelle Begebenheit. Jedoch versetzt er sich diesmal in die Rolle eines inneren Persönlichkeitsanteil von ihm selbst: Wie hätte die innere besorgte Mutter, das neugierige Kind oder die gestresste Angestellte diese Situation wahrgenommen und erlebt? Der Zuhörer versucht wiederum, diese neue Perspektive nachzuvollziehen und auszuloten, aus wessen Sichtweise berichtet wird.

„Sowohl die affektive als auch die perspektivische Form der Dyade haben dazu beigetragen, dass sich einander unbekannte Menschen stärker miteinander verbunden fühlen“, erklärt Kok. Dabei habe sich die erste Variante jedoch als die erfolgreichere von beiden herausgestellt, wenn es um die Steigerung von sozialer Nähe geht – vermutlich, weil sie sich besonders auf das emotionale Erleben und Mitteilen konzentriere.

Bisher haben die Wissenschaftlerinnen diese Zusammenhänge nur an erwachsenen Studienteilnehmern ohne psychische Beschwerden untersucht.

„Interessant wäre es nun herauszufinden, ob sich diese neuen Methoden auch nutzen lassen, um die sozialen Fähigkeiten von Kindern zu fördern oder um psychisch kranken Menschen zu helfen, die besonders häufig unter Einsamkeit und sozialen Defiziten leiden“, so Projektleiterin Tania Singer. „Unabhängig davon, bieten diese kurzen, zwischenmenschlichen Übungen eine einfache, wirkungsvolle Möglichkeit, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen zu stärken. In unserer zunehmend hochindividualisierten, von Stress erfüllten Gesellschaft ist das heute wichtiger denn je.“

Was ja gleich mehrere Dinge zurück in den Alltag holen würde: die gemeinsame Zeit miteinander, das Erzählen und Zuhören und dadurch – vielleicht – wieder mehr Verständnis füreinander.

Was dann im Grunde an die Wurzeln einer Gesellschaft geht, in der immerfort geplappert wird, aber kaum noch einer die wirkliche Nähe zum Anderen sucht.

Das ReSource Projekt untersucht, wie verschiedene Formen mentalen Trainings dazu beitragen können, um soziale, emotionale und geistige Fähigkeiten zu fördern, und wie sich das wiederum auf Gesundheit, Körper und Gehirn auswirkt. Es ist dabei das weltweit größte Projekt seiner Art.

In eigener Sache: Für freien Journalismus aus und in Leipzig suchen wir Freikäufer

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/11/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar