Die Angewohnheit, alles über einen Kamm zu scheren, ist eine durch und durch menschliche. Differenzierte Betrachtung ist genauso menschlich, allerdings seltener. Um über einen berühmt-berüchtigten Motorradclub wie die Hells Angels zu schreiben, muss man sich als Journalist auch in die Szene begeben. Dazu gehören Beharrungs- und Einfühlungsvermögen.

Das scheint dem Autoren Jens Fuge zu eigen zu sein. Ist es ihm doch als bisher einzigem deutschen Journalisten gelungen, sich mit den Gründervätern der Hells Angels Sonny Barger und Johnny Angel zu treffen, und die beiden in ihren Häusern in der Wüste Arizonas zu besuchen.

Und wie es sich für echte Biker gehört, fuhr Jens Fuge mit den beiden Ur-Rockern zusammen. Es brauchte natürlich einige Zeit, um das Vertrauen der beiden zu gewinnen. Doch als das Eis einmal gebrochen war, gelangen dem Autoren einmalige private Einblicke in das Leben der Gründerväter. Jens Fuge: “Die Hells Angels Sonny Barger und Johnny Angel sind zweifellos die berühmtesten und ältesten Rocker der Welt. Sie begründeten nicht nur den Ruf der Hells Angels in den frühen 60er Jahren, sondern lebten und leben diesen besonderen Lifestyle bis heute.” Dabei durfte er sich als Hausgast frei auf den Grundstücken der beiden lebenden Legenden bewegen.

Der schillernde Johnny Angel bot ihm sogar das Gästebett seiner Bleibe an. Er sah zu, wie Klapperschlangen auf dem Gelände der Ranch von Johnny Angels Frau gefangen wurden und in der Wüste wieder ausgesetzt wurden. Aber einen besonderen Höhepunkt wird Jens Fuge wohl bis an sein Lebensende nicht vergessen: “Ich hatte das große Glück, dort zu sein, als die beiden 56 beziehungsweise 54 Jahre ihrer Mitgliedschaft bei den Hells Angels auf einer großen Party feierten.” Dazu kam, dass Sonny Barger die Premiere und Aufführung seines neuen Films “Dead in Five Heartbeats” feierte. Im Konvoi fuhr Fuge mit den Rockern zum Kino, wo der Film aufgeführt wurde.

In seinem Buch “Höllenritt durch Arizona” gelingen dem Autoren einmalige Einblicke. Viele private und seltene Fotos sind zu sehen. Dazu kommen Interviews, die zeigen, dass die beiden Ur-Angels trotz ihrer zweifellos bewegten Vergangenheit, in der sie auch im Gefängnis saßen, nicht nur “böse Rocker” sind, sondern das Biken genau so lieben genauso wie ihre Familien. Manchmal fast erschreckend normal. Und Fuge gelingt es, sich dem Thema respektvoll und niemals reißerisch zu nähern. Mit ein Grund dafür, dass ihm die Annäherung an die beiden Hells Angels-Ikonen gelang.

Ein Kumpel wird in Los Angeles zu Grabe getragen. Foto: privat.
Ein Kumpel wird in Los Angeles zu Grabe getragen. Foto: privat.

Doch bietet das Buch noch einen anderen tiefen Einblick. Nämlich den in die lebhafte und sehr bunte Szene der verschiedenen Biker-Clubs in Arizona. Fuge: “Zudem finden sich in dem Buch Kapitel über eine Fahrt mit den Hells Angels zu einem Boxevent mitten in der Wüste unter einer glühenden Sonne. Eine skurrile und manchmal grotesk anmutende Szenerie. In den Ring stiegen nur Amateure, die Mitglieder in den ganz verschiedenen Clubs waren. Das war eine Mischung aus Kirmesboxen und Familientreffen. Dazu kam ein Besuch in der Westernstadt Tombstone, in der für Touristen geschossen wird, was das Zeug hält. Allerdings ohne das jemals echtes Blut fließt.” Das war allerdings anders, als Fuge bei einem “Stierkampf” der Rocker zugegen war: “Die stiegen in die Arena und dann wurde der Stier losgelassen. Da gab es blaue Flecken und Schürfwunden en masse. Harte Jungs, aber ein wenig verrückt musst du dabei schon sein. Ich habe mich weise enthalten.”

Weiter führte ihn seine Reise auf zwei Rädern nach Los Angeles, wo der ALMA MC einen verunglückten Bruder zu Grabe trug. In einer endlos langen Kolonne von Motorrädern fuhr er mit den Rockern zum Friedhof, um der Zeremonie beizuwohnen. Und er lernte, dass es in den Clubs strenge Regeln und auch ethische Grundsätze gibt. “Wer sich darüber hinweg setzt, den Club in ein schlechtes Licht rückt, sich an Grundsätze nicht hält, der wird ausgeschlossen. Schlechtes Image können die Jungs angesichts der vielen Vorurteile, die gegenüber Bikern herrschen, nicht gebrauchen.”

Boxevent im Chino Valley in Arizona. Foto: privat.
Boxevent im Chino Valley in Arizona. Foto: privat.

Unvergesslich auch eine Party in Phoenix. Die Black Riders vom Soulbrothers MC feierten in einem Park in Phoenix ein riesige, bunte und friedliche Party. Eine große Familienfeier schwarzer Rocker, unter denen Fuge als “Weißbrot” teilnehmen konnte. Hunderte von farbenfrohen Harleys von Pink bis schreiend Gelb, Rot oder Grün waren dort zu bewundern. Ein Hauch von Hippie-Kultur lag über dem kunterbunten Gemenge tanzender und feiernder Rocker. Beim Loners MC wurde am gleichen Tag Ostern gefeiert, mit ausreichend Whisky, Schwein vom Spieß – und Tanz. Fuge: “Man denkt ja gemeinhin, dass die harten Jungs nicht tanzen würden. Weit gefehlt – dort schwang alles die Hüften, was laufen konnte.”

So verschafft der Szenekenner und Insider Jens Fuge dem Leser einen interessanten und tiefen Einblick in die Szene der Motorradclubs Arizonas. Dabei geht es ganz ohne die üblichen Klischees zu. Keine prügelnden, schießenden Rocker. Wer das erwartet, wird von “Höllenritt durch Arizona” enttäuscht sein. Jens Fuge: “Das ist, war und wird auch nie meine Absicht sein. Ich bin einfach nur mittenmang im Geschehen und berichte von dem, was ich höre und sehe. Bei mir gibt es keine Infos über zweite oder dritte Quellen, oder Reportagen vom Hören-Sagen.” Also blättert man sich am besten einmal selber durch die Buchseiten, entdeckt immer wieder Erstaunliches und garantiert bisher nicht Gesehenes über die amerikanische Bikerszene.

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