Unser Spaziergang auf der Avenue des Champs-Elysées hat gerade erst begonnen, wir sind am Varieté-Theater „Lido“ vorbei und haben uns im letzten Paris-Tagebucheintrag die Speisekarte des „Fouquet’s“, eines der bekanntesten Restaurants der Stadt (mit hoher Promi-Dichte), angeschaut. Und nun geht es weiter die Champs-Elysées entlang in Richtung Louvre.

Der Entschluss, uns nicht vom Türsteher, äh ich meine “maître d’hôtel” (Oberkellner), des Restaurants abweisen zu lassen, fällt uns acht Spaziergängern nicht schwer. Wir würden uns in unserer Touristenbekleidung auch gar nicht wohl fühlen in der Gästerunde. Wir wollen eben schon weitergehen, als mich ein bekanntes Gesicht von einem Zeitungskiosk gleich neben dem „Fouquet’s“ anlächelt. „Mutti Merkel“, auf einem grell-gelb leuchtenden Werbeposter im französischen „Society“-Magazin. Obwohl es eher „Fräulein Merkel“ heißen müsste, das Cover-Bild wurde schon vor vielen Jahren gemacht, wahrscheinlich noch nicht mal digital, sondern auf Zelluloid. Ich bleibe stehen und muss auf den Auslöser meiner Kamera drücken, schließlich will ich ja später nochmal im Internet nachgucken, was die französische Presse da über unsere Kanzlerin geschrieben hat.

Angela Merkel in einer französischen Illustrierten. Foto: Patrick Kulow
Angela Merkel in einer französischen Illustrierten. Foto: Patrick Kulow

Die Überschrift der Untersuchung „Angela Merkel – Jung war sie sowieso lustiger“ verspricht aber mehr als man später im Artikel hält. Da geht es vorwiegend um die vierte Amtszeit der Langzeit-Bundeskanzlerin und ob sie, die hinter dem Eisernen Vorhang geboren wurde („nées de l’autre côté du rideau de fer“ – klingt doch viel schöner als die deutsche Übersetzung), es schaffen würde, auch weiterhin mit Pragmatismus alle schwierigen Situationen zu bewältigen. Nun ja.

Hier bekommt jeder was zu sehen

Für die Damen gab es im letzten Teil des Paris-Tagebuchs schon Handtaschen zu bestaunen, den Herren – und natürlich auch den interessierten Frauen – wird auf den Champs-Elysées allerdings auch was geboten: was für Anhänger PS-starker Motoren und Fußballfans.

Immer wieder sehen wir Menschen um ein Auto herumstehen. Entweder drücken sie sich die Nase an einer Fensterscheibe platt (denn auch viele namhafte Fahrzeughersteller betreiben einen Salon hier) oder sie stehen einfach im Kreis auf der Straße. Und gucken und staunen und versuchen, mal unbeobachtet mit der Hand über den Lack zu fahren. Manche Fahrzeuge kann man auch – samt Fahrer – mieten und sich für 90 Euro eine halbe Stunde lang die Champs-Elysées hoch und runter, hoch und wieder runter fahren lassen.

Und dass der eine oder andere Fan der Fußballmannschaft Paris Saint-Germain in das folgende Geschäft rein will, kann man verstehen, oder? Auch wenn mir persönlich beim Lesen des Slogans „Concu pour briller“ – übersetzt: „Geschaffen um zu strahlen“, der in der rechten, oberen Bildecke zu sehen ist, nicht auf Anhieb klar wird, was hier beworben wird: Sicherlich sind damit die brillanten Fußballer selbst gemeint. Oder doch der nachts so schön funkelnde Eiffelturm? Könnte aber auch eine Werbung für ein Waschmittel sein, das die Wäsche strahlend weiß macht. Aber die Macher werden sich was dabei gedacht haben. Vermute ich.

Hier werden Fans des Fußballvereins Paris Saint-Germain glücklich gemacht. Foto: Patrick Kulow
Hier werden Fans des Fußballvereins Paris Saint-Germain glücklich gemacht. Foto: Patrick Kulow

Zumindest könnte das Herz eines PSG-Fans höher schlagen – oder auch Aussetzer bekommen -, wenn man den Laden betritt und feststellt, dass Trikots der Mannschaft „nur“ 80 Euro kosten. Auch ein paar „strahlend weiße“ Socken mit Emblem gibt es für 20 Euro zu kaufen. Schnell wieder raus hier.

Wie wir einen Taschendiebstahl verhinderten

Die anderen sieben hatten keine Lust, sich vom Einlasser (in einem Geschäft, das muss man sich mal vorstellen!) abchecken zu lassen, um im Fanshop zu gucken, sie warten draußen auf mich. Sind aber mit was anderem beschäftigt. Ich staune nicht schlecht, als ich näher komme. Mein Bruder berichtet mir, dass er in der kleinen Pause nur mal schnell die Wasserflasche und die heute Morgen geschmierten Salami-Baguettes aus der Tasche holen wollte. Und als er die doch recht große Umhängetasche vom Rücken nach vorne holen wollte, blieb diese mit der kleinen Öse, an der sich der Griff zum Öffnen des Reißverschlusses befindet, an der auf dem Rücken befindlichen Gürtelschlaufe hängen.

Ein kurzer Blick genügt, um die Ausweglosigkeit der Situation zu begreifen. Mein Bruder findet das natürlich gar nicht komisch, die Tasche lässt sich weder vor noch zurück bewegen, die Schlaufe hat sich hoffnungslos in dem schmalen Zwischenraum verklemmt. Alles Ruckeln, Ziehen und Wackeln nutzt nichts. Zu sehen ist ja auch nicht viel, da der Reißverschluss ja hautnah am Körper anliegt und immer diese Tasche im Weg ist. Die Situation wird immer verzwickter, weil nun auch seine sechsjährige Tochter anfängt zu fragen, wann sie denn nun endlich mal was zu trinken bekommen könne. Kinder haben ein angeborenes Talent dafür, einfach nur ihre Welt – und ihre aktuellen Bedürfnisse – zu sehen.

Was tun? Wir geben ein lustiges Bild ab: Wir stehen mitten in Paris auf den Champs-Elysées und kämpfen mit einem in der Hose verklemmten Reißverschluss. Kennen Sie das Phänomen, dass sich schnell eine Menschenansammlung bildet, sobald auch nur einer stehen bleibt und guckt? Wir sind zu acht, mein Bruder steht in der Mitte, ich sitze in der Hocke hinter ihm und versuche irgendwie, meinen Bruder von seiner Tasche zu befreien und ziehe ihm hinten an der Hose rum. Die anderen sechs schauen, mehr oder weniger ratlos, zu und stehen im Kreis um uns herum. So wie mittlerweile über ein Dutzend weitere Champs-Elysées-Spaziergänger.

Sollte ich einfach mal richtig doll dran ziehen? Lieber nicht, denn die Gefahr, dass der Stoff der Hose reißt, ist zu groß. Und die Tasche ist immer im Weg. Man kann nichts sehen.

„Hat nicht jemand eine Schere oder ein Messer, um die Schlaufe durchzuschneiden?“ Natürlich nicht, das haben wir ja alles gestern, bevor wir zum Eiffelturm gefahren sind, wegen der Sicherheitskontrollen aus den Taschen geräumt. Der Security-Mitarbeiter des Fanshops, vor dem wir ja immer noch stehen, kann (oder will) uns auch nicht helfen, er hätte keine Schere oder sowas. Obwohl ich so nett gefragt habe und mühsam – aber ohne Erfolg – in meinem Gedächtnis nach dem französischen Wort für „Schere“ gekramt habe.

Als ich nach nicht einmal zwei Minuten wieder aus dem Laden rauskomme, hat sich die Situation auf dem Gehweg vor dem Geschäft plötzlich entschärft. Meinem Bruder hat’s gereicht, er wollte nicht mehr an seine Tasche gefesselt sein. Mit einem heftigen Ruck hat er die Schlaufe samt einem kleinen Eckchen Stoff von der Hose abgerissen. Er ist wieder frei. Um uns herum stehen nun schon mehr als 20 Zuschauer aller Nationen, manche gucken mitleidig, manche belustigt. Applaus am Ende der „Vorstellung“ haben wir zum Glück keinen.

PS: Ich befürchte, dass Sie jetzt gern ein Foto von der Aktion sehen würden. Es gibt tatsächlich ein paar Schnappschüsse vom Handy, aber die wurden vom Familienrat nicht für die Veröffentlichung freigegeben. Tut mir echt Leid.

Als wir weitergehen, drückt sich unsere Freude über die Befreiung von der Tasche durch einige ironische Sprüche aus: „Das ist eine ganz neue Kreation eines Pariser Modeschöpfers: eine Hosen-Tasche“. Oder: „Du hättest es so lassen sollen! Wenn dir jemand die Tasche klauen will, dann geht das nur, wenn er deine Hose mitnimmt.“ Mein Sohn ergänzt: „Scheiß auf die Tasche, du stehst dann in Unterwäsche auf der Straße“. Und wieder ein anderer: „Und was glaubt ihr, wie dumm der Dieb guckt, wenn der plötzlich als Dreingabe zur Tasche noch eine Hose dazubekommt, die hinten dranhängt!“.

Dann hätten wir alle gerufen: „Haltet den Dieb, er hat meine Hose!“

Und jetzt noch ein kleines Gedankenexperiment: Bitte stellen Sie sich bei sowas mal die Schlagzeile am nächsten Tag in der Zeitung mit den großen Buchstaben und den vielen BILDern vor: „Deutscher entblößt sich auf den Champs-Elysées vor hunderten Zuschauern …!“

Aber nun ist das kleine „Abenteuer“ mit der „Hosen-Tasche“ ja wieder vorbei, das Loch in der Hose und die abgerissene Gürtelschlaufe am Bund lassen sich durch das T-Shirt gut verdecken und wir können weiterziehen. Wir wollen ja noch zum Louvre. Wir gehen noch kurz am Eingang von Abercrombie & Fitch vorbei und sind auch schon am Ende des Bereichs der Champs-Elysées angelangt, auf dem das Schaufenstergucken und Shopping im Vordergrund steht.

Die Pariser Filiale von "Abercrombie & Fitch". Foto: Patrick Kulow
Die Pariser Filiale von “Abercrombie & Fitch”. Foto: Patrick Kulow

Hier am Rond Point haben wir etwa die Hälfte der Strecke geschafft, hier beginnen die Parkanlagen links und rechts der Prachtstraße. Es ist schon früher Nachmittag, wir haben Hunger. Und da die Salami-Baguettes immer noch in der Tasche meines Bruders auf uns warten, suchen wir im Schatten der Bäume eine Bank und machen eine halbe Stunde Pause.

Sie können sich jetzt bis zum nächsten Paris-Tagebucheintrag auch eine kleine Pause gönnen. Dann werden wir weiter in Richtung Louvre laufen und einen Blick auf das Große und Kleine Palais werfen und auf andere sehenswerte Dinge, die sich rechts und links der Champs-Elysées befinden.

Au revoir!

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