Schulterzucken. Einfach nur ein Schulterzucken. Ich wollte mich mit meiner Lieblingsbäckerin doch nur über das neue Denkmal unterhalten, das auf dem Leuschnerplatz gebaut werden soll. Die Zeitungen sind ja des Jubels voll, die Jury war bezaubert, jetzt sollte doch ein Jubel sein. Ein Strahlen in den Augen meiner Bäckerin. Dunkelblau heute. Da könnt sich meinereiner drin verlieren.

Doch nichts. Ein Schulterzucken. Als wäre nur ein kleiner Sommerregen durch die Stadt spatziert, ein lustiges Lüftchen, eine fröhliche Künstlerdelegation aus Pirna. Zwei Tage Klausur, abendliches Schwitzen, geselliges Beisammensein. Und dann ein bunter Rauch aus dem Ofenrohr: Das ist es.

Müsste es doch sein. Sogar uns aller Oberbürgermeister war bezaubert von den bunten Würfelchen, hat gleich eins mit nach Hause genommen, so, wie mal später wir alle Leipziger ein Würfelchen aus Alu-Blech mit nach Hause nehmen dürfen. Als unseren Anteil an der friedlich gewonnenen Revolution. Wenn wir schon sonst nix kriegen.

Man habe schön gestritten und am Ende einvernehmlich drei Sieger gekürt, sagte Herr Henri Bava wohl am Ende der Sitzung. Na Prost. Kenn ich Herrn Bava? – Landschaftsarchitekt steht zu lesen im Netz, aber auch studierter Botaniker und Szenograf, und 2001 gründete er in Karlsruhe das Büro Agence Ter.de. Schon mal gelesen? – Klar: Man kennt sich. Das Büro taucht auf der Alten Messe wieder auf. Da hat es sich an den neuen Entwürfen für die Straße des 18. Oktober beteiligt.
Die Welt ist klein. Klein-Paris ist noch kleiner. Und meine Bäckerin lächelt trotzdem, legt mir ein schönes Croissant auf den Teller. – “Nicht bös sein, Leo, aber da kann ich nichts zu sagen. Das ist mir zu hoch. Ich bin nur eine einfache …”

So kenn ich sie nicht. Ist doch eine gewaschene Leipzigerin. Mit allen Pleißewassern. Da ist man doch nicht so bescheiden. Oder doch? Hab ich was verpasst? Sind jetzt alle so still geworden? Haben eingesehen, dass sie von der Freiheit immer nur einen bunten Würfel kriegen? Und sowieso nicht gefragt werden, wenn es um sie geht?

Ist ja auch so eine Frage: Wer baut sich das Denkmal eigentlich? – Wir Leipziger ja wohl nicht. Da hätte einer von uns eine Sammlung gestartet und uns zusammengetrommelt, damit wir uns einigen. Aber wir waren nicht dabei. Irgendwie. Wir schauen nur zu.

Das ärgert mich. Geb ich zu. Weil ich auch heute noch nicht weiß, ob nun gerade wir ein Denkmal brauchen, damit wir uns an diesen Herbst da erinnern. Richtig erinnern.
Vielleicht ist es das Bunte, was mich verstört. “So viele bunte Klötzchen. Wie im Kindergarten.”

“Noch ein Croissant, mein Dickerchen?” Sie geht nicht drauf ein. Dabei bin ich gar nicht dick. Nur ein bisschen rund. Von meinen vielen Besuchen bei meiner Bäckerin.

“Ob die Leute vielleicht die Freiheit mit Spielen verwechseln? Mit Lustigsein und gemeinsam in die Hände klatschen?”

“Grübel nicht so viel. Das macht Falten.”

“Aber ich grübel doch gar nicht. Ich denk nur so ein bisschen.”

“Du sollst nicht so viel denken”, sagt sie. Ich liebe diese Stimme. Wenn es mir so gesagt wird, finde ich es einfach gänsehäutig schön. Da könnte ich sie …

“Aber doch nicht hier, Leo. In aller Öffentlichkeit!”

“Aber ich denke immer in der Öffentlichkeit.”

Da schaut sie mich mit einem großen Staunen an. Da kennt sie mich und verzeiht mir meine runden Pfunde.

Und vielleicht spricht auch deshalb niemand über das, was sie da mit unsererm Wilhelm-Leuschner-Platz machen wollen. Es ist quasi, wenn ich das jetzt recht verstehe, ein Geschenk, das sie sich selbst machen. So, wie sie sich Orden verleihen und zusammengeschusterte Doktortitel und Pöstchen in Aufsichtsrätchen, damit sie aus dem gefährlichen Straßenverkehr weg sind.

“Wen meinst du denn mit Sie? Vermutest du wieder ein – Komplott?”

Würde ich nie tun. Nicht im Angesicht so einer Freude. Bestimmt gibt es zur Einweihung auch noch Schippchen und Eimerchen für alle. Würde mich nicht wundern. Vielleicht ist es genau dieses vertraute Gefühl, das ich seit damals habe: Es ist immerzu Geburtstag, immerzu gibt’s Geschenke.

“Du wirst nie erwachsen”, sagt meine schöne Bäckerin.

“Ja”, sag ich. “Ich bin der große Lümmel.”

“War das jetzt eine Anspielung?”

“Nein, ein Zitat, meine Süße. Aber ich kann auch …”

“Nicht in der Öffentlichkeit.”

Und so blieb’s wieder dabei. Und bei einer Tüte Kuchen für den Heimweg: Bunter Streuselkuchen. Aber der heißt jetzt nicht mehr so. Der Chef meiner süßen Bäckerin hat ihn am Wochenende umgetauft. Jetzt heißt er “Leipziger Freiheit”.

Kostet 89 Cent das Stück. Für Auswärtige gibt’s Rabatt.

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