Ich bin ein treuer Kunde. Nun habe ich es schwarz auf weiß. Meine Stadtwerke Leipzig haben es mir bestätigt: "Sehr geehrter Herr Leu, Sie erhalten heute als Dankeschön für Ihre Treue als Kunde ..." Naja, über ein Dankeschön der Geschäftsleitung hätte ich mich schon gefreut. Hätte auch eine nette Postkarte gereicht. War aber ein Brief. Und drin steckte - ein Kärtchen. Ich hatte es schon geahnt. Ich hab das Entchen abgelehnt, als ich meinen Wasserliefervertrag abgeschlossen habe. Und den Teddy hab ich auch abgelehnt.

Den wollte mir der Mobiltelefonverkäufer andrehen, wenn ich das superflache neue Super-Schnell-Telefon mit sechsfacher Flatrate und integrierter Wetterstation nehme. Hab ich wirklich überlegt. Braucht man ja, wenn man mal irgendwo ist, wo nicht dransteht, was es ist, wo man da ist. Aber als er den rosa Plüschteddy aus der Versenkung holte, hab ich mich umgedreht und bin eiligst entfleucht.

Ich wünsche mir eigentlich eine Welt, in der sich Händler und Dienstleister nicht wie Teppichverkäufer benehmen.

Oder doch. Bei Teppichverkäufern hab ich mich eigentlich immer gut behandelt gefühlt. Wenn sie einem noch irgendwas zusätzlich zum superstrapazierfähigen echten Persianer aus Damaskus aufschwatzen wollten, war es immer ein Mini-Persianer als Türvorleger. Sie haben nie versucht, mir noch den ganzen Andenkenladen von nebenan anzudrehen.

Aber seit die Teppichhändler Leipzig verlassen haben, ist der Zirkus eingezogen. Ich weiß nicht genau, wann es begann. Vielleicht begann es ja schleichend und ich hab’s nicht gleich gemerkt, weil ich mir die Dankeschönschreiben von meiner Bank, meinem Stromlieferanten oder vom Hausmeister nicht aufhebe.

Die vom Supermarkt an der Ecke schon gar nicht. Die wissen ja gar nicht, ob ich treu bin. Bin ich auch nicht. Ich geh mal den einen heimsuchen, weil er der einzige ist, der in der Cidre-Zeit auch Cidre im Angebot hat. Mal den anderen, weil es da an der Käsetheke tatsächlich noch Käse gibt. Die Fräulein an der Kasse sind ja in der Regel ganz nett und flott und eifrig. Rattatta geht das, da hab ich meinen Preis, bekomme mein Wechselgeld. Und fast jedesmal die freundlich geübte Frage: “Sammeln Sie unsere Treuepunkte?” Ich weiß, dass das Zeug in jedem Laden anders heißt. Die einen wollen einem ein Mofa verkaufen, wenn man 1.000 Treuepunkte zusammen hat, die nächsten ein frischgebeiztes Töpfe-Set. In der Regel alles Zeug, das man entweder sowieso nicht braucht. Oder dann, wenn man seine 1.000 Treuepunkte endlich zusammenhat, schon lange nicht mehr braucht. “Nein Danke, gutes Fräulein”, sag ich dann immer. “Ich bin Vegetarier …”

Da stutzen sie dann ein bisschen und machen einfach weiter.

So ist das. Sie wollen eigentlich dem ganz speziellen Leo Leu gar keine Treuepunkte geben. Die Fräulein Stadtwerke auch nicht.

Und trotzdem haben sie sich mit Fräulein Verkehrsbetriebe zusammengetan und eine Kundenkarte kreiert.

Ich mag ja das Lied mit dem Kunden drin. Das singen wir immer, wenn wir spätnachmittags bei Schorschl aus der Stampe taumeln. Das klingt mir dann jedes Mal im Ohr, von Fritze oder Erwin gebrummt oder gejault, je nach Stimmung. Ich bin der letzte Dingsbums. Kennen Sie ja. Die Bahn ist dann sowieso immer weg, und wenn ich zu Hause versuche, das passende Schlüsselloch für meinen Schlüssel zu finden, tun mir die Füße weh.

Ich bin aber nicht der einzige, dem Fräulein Stadtwerke jetzt die Treue bescheinigt. 100.000 solche wie ich haben dieser Tage das Ding zugeschickt bekommen. Mit der Post. Nicht mit der richtigen, sondern mit der hiesigen LVZ-Post. Ist ja ein bisschen billiger. Der Infobrief Kompakt kostet da brutto nur bescheidene 32 Cent. Klaro, kann ja jeder ausrechnen, der will. 100.000 mal 0,32 macht 32.000 Euro. Soviel war es Tante Stadtwerke und Tante Verkehrsbetriebe wert, mir einen Infobrief mit Kundenkarte und Dankeschön zu schicken.

Was sagt ein braver Junge, Leo?

Dankeschöööön.Das Briefpapier wird auch ein bisschen was gekostet haben. Für die Adresse mussten Tante Verkehrsbetriebe und Tante Stadtwerke nichts bezahlen. Die haben sie ja schon. Da brauche ich nur in meiner Kiste zu kramen. Tante Verkehrsbetriebe war ja so freundlich, im August mein Monatsticket happig zu verteuern. Dafür steht ja jetzt auch Gold-Card drauf. Und als Dankeschön für die Beteuerung gab’s damals im Juli ein liebevolles Schreiben von Frau Schlövogt (Teamleiterin Kundenservice!), in dem sie mir vertrauensvoll mitteilte, dass mir Tante Verkehrsbetriebe für die Preiserhöhung drei Brötchen schenkt. Frische Brötchen. Hätte ich mir am 29. Juli ganz persönlichst in der nächsten Bäckerfiliale ganz frisch abholen können.

Das “frische” war auch schön fett gedruckt. Über altbackene Brötchen hätte sich vielleicht einer von den treu Beschenkten geärgert.

Und von Tante Stadtwerke hab ich Kaffee geschenkt bekommen. Natürlich als “Dankeschön”. Hätte ich mir auch nur abzuholen brauchen in der Kaffeerösterei: “Guten Tag, ich bin der Herr Leu. Tante Stadtwerke hat mir geschrieben, ich dürfe mir hier in Päckchen frischen Kaffee abholen …” Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen bei so etwas geht. Ich fühl mich da immer wie klein Leo in Lederhosen, der gern eine Lakritzstange aus dem großen Glas haben will für 10 Pfennig und selbst nicht rankommt.

So mit roten Ohren. Und der Hoffnung, dass Onkel Verkäufer heute seinen guten Tag hat und sogar zwei Lakritze rausrückt.

Die Karte, die mir Tante Stadtwerke nun geschickt hat, könnte und söllte ich jetzt nehmen, um “immer wieder neue und interessante Vorteilsangebote” zu bekommen. Vorteilsangebote? – Zu meiner Zeit hieß das ganz einfach Rabatt. Ich kann in den “Grünspar”-Laden der Stadtwerke gehen und bekomme – Rabatt. Ich kann in den Kletterwald fahren und kriege Rabatt – was mich wundert. Denn ohne Hilfe komme ich die Bäume gar nicht rauf. Deswegen fahre ich auch eigentlich zur sportlichen Betätigung eher selten in den Kletterwald. Aber vielleicht haben sie jetzt auch Kletterbäume für etwas rundere Herren? Wäre ja mal was.

10 % bekomme ich bei Professor Asisi, wenn ich wieder mal seinen Panorama-Urwald bestaunen will. 20 % gibt’s bei Belantis. – Sie sind ja auch so’n kleiner Schelm wie ich: Wer hat es hier nötiger, seine Tickets loszuschlagen? Der mit dem Panorama oder der mit der Wasserrutsche?

Und in dem Kaufhaus, wo ich immer meine Hemdenfarbe nie finde, krieg ich einen anonymen Rabatt. Aber nur bei Sonderverkaufsaktionen, zu denen ich nie hingehe, weil ich von T-Shirts mit Werbung drauf und überflüssigen Hawaiihemden nicht viel halte.

Ganz und gar wild finde ich die 50 % Rabatt fürs Parken am Flughafen, wo ich ja eh immer nur mit der S-Bahn hinfahre, weil ich ja – Frau Schlövogt hat es mir ja bestätigt – eifriger und treuer Nutzer von Straßenbahnen und Bussen bin. Ich brauche nicht wirklich einen Parkplatz am Flughafen, es sei denn, ich stelle mich selber drauf und warte, bis mich einer abholt.

Und dann darf ich auch noch voller Hoffnung in den “LVZ Media Store” laufen und zwei Tickets aus dem dort vorrätigen Angebot kaufen und auf eine “Chance auf tolle Preise” rechnen.Hab ich schon die Preise für das Plastikteil ausgerechnet, auf dem auch noch in Silberprägung mein Name steht? Wieviele davon wohl jetzt schon in irgendeinem Leipziger Hinterhof im Müllcontainer ihren Platz gefunden haben? – Horschte, der sich mit Werbedingsbums ein bisschen auskennt, hat mir gesagt: “Das Ding kannste für 10 Cent pressen und drucken lassen. Ich kenn da so’ne Bude.”

Aber 10 Cent mal 100.000 macht auch wieder 10.000 Euro. Da bin ich mal auf die nächste Preiserhöhung von Tante Stadtwerke und Tante Verkehrsbetriebe gespannt.

Und was mach ich nun mit dem Ding?

Geh ich hin und hol mir Rabatt im Theaterstück “Rentner haben niemals Zeit”? Oder bekomme ich da so einen Verdacht, so einen klitzekleinen? Wenn ich mit dem Plasteteil auch noch 14 % auf die Buchung einer Oldiefahrt bekomme und gar 500 Euro Rabatt auf den Kauf einer seniorengerechten Sitzgarnitur?

Vielleicht haben die einfach mein Alter falsch eingebucht, oder die halten Leute, die treu sind, sowieso für senil.

Ich habe nur dieses komische Gefühl, wie ich es zuletzt auf meiner ersten und letzten Kaffeefahrt hatte, als mir so ein Strolch mit gefärbtem Bart eine Lederjacke in der Größe XXS in Senf andrehen wollte. “Steht ihne serr gutt, Herrre Leo, musse kaufe.” Da hab ich doch lieber die Lamadecke genommen.

Und was nehme ich nun? Die Schere oder den Reißwolf? Oder den Konfetti-Maker, den ich bei meinem letzten Gewinnspiel, an dem ich teilgenommen habe, gewonnen habe? Der Hauptpreis war damals, wenn ich mich recht erinnere, ein “Dinner for two” im Fünf-Sterne-Restaurant. Der Rest waren “lauter tolle Preise”. Über den Konfetti-Maker hab ich mich, ehrlich gesagt, sogar gefreut. Er kommt mit Pappe und Plaste zurecht, schafft auch Kaffeebohnen und alte Brötchen.

Vielleicht sollte ich mein Abo jetzt einfach kündigen. So entwertet habe ich mich für 40.000 Euro lange nicht mehr gefühlt.

Meint der treue Leo Leu.

Für die Rabatt-Junkies: www.leipziger-karte.de

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