Wenn Sie so einer sind wie ich, dann gehören Sie zu einer Minderheit, zu den 5 Prozent der Leute, die keinen Fernsehapparat und kein Radiogerät besitzen. Die gibt es tatsächlich. Leute, die wie ich im Laufe der Zeit eine Phobie entwickelt haben - nicht so sehr gegen die Geräte, sondern gegen das, was rauskommt. Eine Wetten-dass-Dieter-Bohlen-Talkshow-Lindenstraße-Schwarzwaldklinik-Volksmusik-Phobie. In der leichten Form auch Allergie genannt.

Erkennbar daran, dass Leute den Schüttelfrost bekommen und aus Läden, wo elektronische Unterhaltungstechnik verkauft wird, rückwärts gleich wieder rausgehen. Oder Familientreffen nur noch im Restaurant abhalten, weil da die Chance recht groß ist, dass in der Ecke kein Fernseher die Gickertänze der schlecht ausgebildeten Leute zeigen, die da “irgendwas mit Medien” machen. Noch lieber treff ich die liebe Walton-Bande noch am Strand, im Wald oder oben auf einer richtig alten Burg, wo jeder sehen kann, dass es auch mal Zeitalter gab, in denen die Leute ohne die Dauerbesuppung ausgekommen sind.

Dafür war das mit dem Stillen Örtchen etwas rustikal. Keine Frage.

Aber wenn den Rittern der Minnesänger nicht gefiel, haben sie ihn eben über die Burgmauer geschmissen. Das Fahrende Volk musste sich noch anstrengen, sonst wurde Rambazamba gemacht. Doch seit da irgendwann im finsteren Jahr Null der modernen Unterhaltungswelt ein stocktrockener Beamter das Wort Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk erfunden hat, ist das vorbei. Seitdem gibt es eine große Maschine, die nichts anderes tut, als all den miserablen Missesängern – sorry: Minnesängern – einen Job und ein Geld zu verschaffen. Ich hab’s doch erzählt. Kein Sonntagsbraten ohne Volksmusik, feuchtfröhliche Zitherspieler aus der bajuwarischen Provinz, schwingender Trachtenröcke und straff marschierender Lederhosenblaskapellen. Das war früher. Als ich noch klein und wehrlos war und mir den Sonntagsfrühschoppen gefallen lassen musste. “Leo, du bleibst sitzen und isst auf!” – “Aber ich bin doch schon satt.” – “Du bist noch lange nicht satt. Der Teller wird leer gegessen.”

Vor ein paar Jährchen, als ich den einzigen je bei mir weilenden Glotzapparat aus Gesundheitsgründen entsorgte, waren die Lederhosenmarschierer immer noch nicht ausgestorben. Dafür gab es zehn Mal mehr Sender, wo sie aufmarschieren durften. Einige waren ja ganz konsequent und haben lieber gleich die strammen Wehrmachts- und SS-Kapellen gezeigt in Folge 33 von “Hitlers heimliche Lieblingsmusiker” oder so ähnlich. Es war höchste Zeit, dass ich das Glotzophon fortschaffte. Ich träumte schon in Tschingderassabumm. Und wenn ich in meinem Traum den vorsichtigen Wunsch äußerte, dass ich das nicht mehr wollte, flötete eine raustimmige Ansagerin: “Dann schalten wir jetzt um zu unseren Kollegen in Köln. Ist denn der Fasenachtsumzug schon bei euch angekommen?”- “Ein herzliches Helau und Allaaaaaaf nach Mainz, wir stehen hier noch und warten …”

Sie sehen, meiner Alpträume sind viele. Und sie wurden nicht besser, als ich noch mehr Programme mit noch mehr plappernden und wunder-wie-wichtigen Ich-bin-Medien-Leuten empfangen konnte, die immer wieder versprachen, ankündigten, die Wunder von den Himmeln versprachen – und dann fing nie was an. Hinter dem Quieken kam nie etwas. Nur das Übliche. Und Zähe. Und Zermürbende, bei dem ich dieses Gefühl bekam, wie es der arme Mankurt in Aitmatows “Der Tag zieht den Jahrhundertweg” gehabt haben muss: Lederschnüre um den Schädel, die einem das letzte bisschen Willen und Selbstachtung abwürgen.

Die Kopfschmerzen hatte ich auch noch ein paar Jahre nach der Entsorgung der Guckmaschine. Die Träume brauchten ihre Zeit, bis sie verblassten. Aber vorher hatte ich noch etliche Auftritte grimmiger Ansagerblondinen im Kopf: “Sie wollen jetzt wirklich ausschalten, Herr Leu? – Das geht aber nun gar nicht …”

Kopfschmerztabletten halfen da nicht. Ich musste das durchstehen. Und irgendwann war ich durch. Da konnte ich diese ganzen unverschämten Schreiben der Gebühreneinzugzentrale (GEZ) frohen Herzens im Papiermüll entsorgen: Ich hatte mit der Bande nichts mehr zu tun. Sie hatten mit mir nichts zu tun.

Bis 2010. Bis diese Leute, die ich nicht kenne, sich kraft ihrer Wassersuppe hinsetzten und diesen eh schon seltsamen Rundfunkstaatsvertrag ein bisschen änderten, weil alle diese Volksmusik-und-Fußball-Sender mit ihrer Knete nicht hinkamen. Wieder nicht hinkamen. Obwohl sie doch nun schon nichts anderes mehr sendeten als das, was die Leute sehen wollten. Oder was andere glaubten, was sie sehen wollten. Hat mich ja auch nicht interessiert. Ich habe schon lange keine vier Stunden mehr übrig, die ich für die abendliche Gleichschaltung erübrigen könnte.

Böses Wort?
Glaub ich nicht. Lesetipps aus meinem Freundeskreis: “1984”, “Schöne neue Welt”, “Fahrenheit 451”. Die Bücher hab ich schon gelesen, da war von NSA keine Rede. Aber es läuft aufs selbe hinaus. Wenn man eine Schar Leute fragt, was sie gern wollen, dann brüllen sie, wenn der Moderator das Zeichen gibt, alle: Kaugummi. Oder so ähnlich. Der Mensch ist ein verführbares Wesen. Und er will unterhalten sein. Glauben zumindest all die Leute, die in Deutschland “was mit Medien machen”. Ist egal, ob es was zum Gucken oder Radio ist. Der Unterschied ist minimal. Nur das Quieken unterscheidet sich.

Seit Monaten versuchen mich nun diese grauen Männer aus Köln wieder zu erschrecken. Jetzt stehen sie nicht mehr schwitzend und mit roten Köpfen vor der Tür und fragen mich blöd: “Sie sind der Herr Leu?”

Nein. Die Leute, die da 2010 einfach mal in ihrem Rundfunkstaatsvertrag herumgeschmiert haben, haben ja einfach aus der Gebühr, die sie vorher für den Besitz eines Rundfunkgerätes haben wollten (quasi als Eintrittsgeld zu Volksmusik, Traumschiff und aller Muddi Neujahrsansprachen) einen Beitrag gemacht. Als wäre Fernsehversorgung so etwas ähnliches wie Rente oder Gesundheitsversicherung, als könne man schlicht davon ausgehen, das bekommt auch der Leo. Oder will es gar. Oder braucht es gar.

Trifft aber alles nicht zu. Ich werde krank davon. Und ich will mich nicht wieder amtlich für dumm verkaufen lassen. Und ich lasse mich nicht dafür in Geiselhaft nehmen, dass ich ein Dach über dem Kopf habe, das ich Wohnung nenne. Zumindest, seit ich den Quälgeist ausgetrieben habe. Seitdem gehört sie wieder mir. Da erzählt mir kein Dummkopf aus dem Komödientenstadel der Nation, wie ich die Welt zu sehen habe.

Diese komischen Schreiben bekommen bestimmt eine Menge Leute heuer. In denen ihnen auch noch mit amtlicher Frechheit erzählt wird, warum ihre Wohnung nun eine “Beitragspflicht” hat. Haben Sie den Unsinn gelesen? – “Eine Wohnung ist eine ortsfeste baulich abgeschlossene Einheit, die zum Wohnen oder Schlafen geeignet ist und genutzt wird, einen eigenen Eingang hat und nicht ausschließlich über eine andere Wohnung betreten werden kann.”

Was wollen diese Leute mit meiner Wohnung, außer dass sie mir das Wohnen und Schlafen darin vermiesen wollen?

Dass diese Leute auch noch schnüffeln wollen wie früher, stößt mehr extra sauer auf: Wie ist denn das mit dem Mitbewohner oder der Mitbewohnerin? – Ehrlich gesagt, geht das die Leute in Köln einen feuchten Kehricht an, egal, ob das nun ein Wellensittich ist oder ein Hamster, die für mich vielleicht einen völlig unsinnigen Beitrag zahlen würden, wenn man sie dazu erpressen könnte.

Denn das ist es ja: eine Schutzgelderpressung.
Denn eine Steuer ist es ja amtlich nicht. Das haben die Herren in ihren Anzügen von der Stange ja nun oft genug erklärt. Eine Gebühr auf ein Empfangsgerät ist es seit Januar nun amtlich auch nicht mehr. Also ist es ein Beitrag, den ich quasi stellvertretend für meine Wohnung entrichten soll, falls meine Wohnung (oder einer meiner vierbeinigen Mitbewohner) auf die Idee kommen wöllten, vielleicht mal wieder abendliche Berieselung zu bestellen. Den ich dann als Leo Wohnungsinhaber berappen sollte dafür, dass ich von den grauen Gestalten aus Köln nicht mehr behelligt werde.

Die auch noch behaupten, ich hätte eine “gesetzliche” Auskunftspflicht.

Holger Kreymeier (“Fernsehkritik TV”) meint ja, schon allein das Angebot, das die staatlich gewünschten Staatsberieseler böten, gäbe Recht genug, jeden Beitrag zu verweigern. Denn an irgendwelche nachprüfbaren und transparenten Qualitätskriterien hält sich ja augenscheinlich in all den Sendeanstalten niemand mehr. Man denkt auch dort längst in Quoten und versucht im Wettrennen mit den Privatsendern, den größten Anteil am Zuschauerkuchen zu bekommen – den man nicht mit Qualität bekommt. Das geb’ ich gern zu. Die Meute der Leute, die pünktlich 17 Uhr ihr Gehirn ausschalten und sich für die nächsten vier, fünf Stunden in Mankurts verwandeln, erreicht man wirklich nur mit Traumschiff, Geplapper und “Ich sehe den Mann deiner Träume”.

Hinter dem Pflichtbeitrag kann natürlich auch die Absicht stecken, Leo Leu wieder ins Fernsehsofa zu zwingen: “Du guckst jetzt, was auf den Tisch kommt, basta.”

Aber so weit sind wir noch nicht.

“Wollen wir nicht doch nach Köln fahren und den Leuten eins auf die Mütze geben”, fragt mich meine schöne Bäckerin, die ganz kurz mal meine Jeannie war.

“Lieber nicht. Ich glaube, die würden uns nur dumm angucken und gar nicht verstehen, was wir wollen.”

“Aber wir wollen doch nur unbehelligt sein, Leo!”

“Das sag mal den Kerlen in den Ledermänteln.”

“Leo, es klingelt! Mach ja nicht auf!”

“Eigentlich wollte ich jetzt erst mal diesen verflixten Brief schreiben.”

“Es klingelt schon wieder.”

“Es könnte auch der Postbote sein …”

“Es steht kein gelbes Auto auf der Straße.”

“Dann sollten wir vielleicht ganz still sein?”

“Ich versteck’ mich jedenfalls unterm Tisch. Und du nimmst am besten den Uhrkasten. Dann haben wir eine klitzekleine Chance …”

Natürlich haben wir nicht aufgemacht, als der Kerl vor der Tür säuselte, er wolle uns doch nur seine weiße Pfote zeigen. Wir sind ganz mucksmäuschenstill geblieben. Den Brief an die Konzernzentrale der Schutzgeldeintreiber hab ich deswegen immer noch nicht geschafft.

Ich versuch’s bestimmt noch mal, wenn sich mein Herz wieder beruhigt.

Gleich bald demnächst,

Euer Leo

Leserfutter für Zwangsgeldverweigerer:
fernsehkritik.tv/blog/2013/11/ich-zahl-nicht-mehr

Der zurechtgeschusterte Rundfunkstaatsvertrag:
www.medienrecht.jura.uni-koeln.de/fileadmin/sites/medienrecht/LS_Hain/Docs/Medienrecht_I/konsolidierte_Fassung_RStV_hp.pdf

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