Erinnerungen kommen manchmal mit der Post. Da staunt der brave Besitzer von Schlips und Kragen. Dachte ich eben doch noch, der Wahnwitz wäre irgendwo in Dresden zu Ende. Ist er aber nicht. Er liegt bei uns als Päckchen im Büro, knallrot. Und erinnert mich daran, dass ich eigentlich schon vor Kürzerem was schreiben sollte über den Wahnsinn unserer Schönen Neuen Welt. Ich hatte auch schon überlegt, mir eine knallrote Feinrippunterhose zu besorgen.

Wenn schon, denn schon. Aber dann blieb das doch im Unterbewussten hängen, habe ich anderes knallrotes Zeug gekauft, Kerzen, Küchenschürze, einen Gänsebräter, ein Schüsselset und drei neue Suppenkellen. Alles für mein Schmuckstück daheim am Herd – wenn ich’s da mal hinbekomme und nicht immer die freche Weihnachtsantwort bekomme: “Leo, du machst das schon.” Deswegen blieb ja die Weihnachtsgans wieder bei mir hängen (aus der diesmal ein herrlicher falscher Hase wurde), der Plumpudding auch (hab ich diesmal in einen flambierten Brombeer-Vanillepudding mit in Cherry eingelegten Sultaninen verwandelt) und auch das Katerfrühstückchen am ersten Feiertag (ein Smörrebröd mit Bismarckhering und extra sauren Gurken).

Rot, hab ich da schon gedacht. Aber die Erinnerung kam erst, als mir die Kollegen den roten Hemdensack aus dem Päckchen präsentierten, das im Büro gelandet war: “Na, erinnerst du dich, Leo?”

Hatte ich vergessen, meine Hemden abzuholen? Oder wegzubringen? Aber seit wann mache ich das im Hemdenbeutel, neudeutsch wahrscheinlich Shirt-Suit-Case oder so. Was mir auch egal ist. Ich bringe meine Hemden ja auch nicht weg zum säubern, bügeln und steifen. So einer bin ich nicht. Das mache ich alles noch selbst daheim. Wenn ich gelassen werde und die Waschmaschine mal frei ist. Rot, sage ich nur.

Aber der Hemdenbeutel war natürlich nur symbolisch für mich. Die beigelegten Luftballons (fünf Stück, rot) natürlich auch und das rote Pappstück eigentlich auch, freundlichst geschickt von einer freundlich schickenden Kommunikationsagentur aus Berlin, die einen der unverwechselbar verwechselbaren Klamottenläden betreut, die auch in Leipzig einen Ableger haben. In diesem Fall in der Petersstraße, die jetzt im Augenblick wahrscheinlich von der Polizei abgesperrt ist, weil da lauter halbnackte Leute rumlaufen im roten Slip oder im roten Feinripp. Wie gesagt: Ich hab’s verpennt, mir derlei zuzulegen oder mal eine ältere längere Feinrippunterhose mit ins Färbebad meiner liebsten Bäckerin zu legen (denn Weihnachten war – wer hätte das gedacht – mal wieder Haarefärben dran: hexenrot, blutrot, feurigrot. Sie dürfen drei Mal raten, ob wir es geschafft haben das allerletzte Lied von Udo Jürgens mitzusingen. Haben wir nicht.)

Keine rote Unterhose, kein Auftritt bei frostigen Graden mitten in der Stadt. Leo hat sich eine komplette Blamage erspart.

Habe ich den Kollegen auch so gesagt, haben aber wieder nicht gehört auf mich. Jetzt noch einen Fotografen hinzuschicken, damit der für uns lauter bibbernde durchgeknallte Leute in roter Wäsche fotografiert, war auch nicht geplant. Wir haben ja keine Liaison mit dem Laden, nicht mal eine werbliche. Tatsächlich ist es uns sogar ziemlich schnuppe, was sich diese ganzen Unter-, Mittel- und Oberwäscheläden so ausdenken, um irgendwie aufzufallen in einer Welt, in der es an Leuten, die für jeden Blödsinn zu haben sind, nicht mangelt. Die auch losrennen, wenn es neue Telefone mit Rechtskrümmung gibt oder einen Ausverkauf im Dildo-Geschäft.
Die Fotos werden Sie alle in den anderen Gazetten sehen, wo man so etwas spaßig findet und nur ein bisschen so tut, als wäre das ein bisschen komisch und nicht ein Fall für den Großtransport in die Klapsmühle. Oder für eine Eiswürfeldusche.

Da hilft auch die mitgelieferte Erklärung nix: “Warum Rot? – Rot ist der einzig wahre Lippenstift für einen guten Kuss. Rot ist das Bonbon, das die Zunge so schön einfärbt. Und Rot ist der Knopf, den man eigentlich nicht drücken darf …”

Ah. Ha. Das war also doch eher für die Selbstmörder unter uns gedacht, Leute, die im Fahrstuhl auch dann auf den roten Knopf drücken, wenn der ganz ordentlich fährt, die im Treppenhaus erst mal ausprobieren, ob die Feuerwehr tatsächlich kommt, wenn man drückt, oder im Flugzeug, ob die Tür wirklich aufgeht, auch wenn man gerade überm Indischen Ozean ist, mal von den lustigen Burschen zu schweigen, die beim ersten Alleinflug mit dem Düsenjäger erst mal den roten Knopf mit der Aufschrift “Schleudersitz” drücken. Ich mach mal nicht weiter. Die Darwin-Award-Gewinner werden schon wissen, wovon ich rede.

Erkennen wird man diese besondere Spezies in nächster Zeit wohl daran, dass sie ihre rote Unterwäsche auf die Leine hängt, sich bannig über ein neues Kleidungsstück aus einer spanischen Klamottenbude freut (natürlich umsonst gekriegt, weil man pünktlich 8:30 Uhr auf der Petersstraße stand und wie bannig gespannt auf den Sturm in den Laden war) und jetzt erst mal ein paar Tage den Schnupfen auskuriert. (Dabei gab’s nur 50 % Rabatt und ein Hemd – neudeutsch: Shirt, rot natürlich).

Unsere Leser bitten wir um Entschuldigung, dass wir vor dem Auflauf nicht gewarnt haben und sie völlig unschuldig in diese Herde halbnackter Konsumjunkies geraten sind. Aber hätten wir gewarnt, hätten wir ja möglicherweise auch ein paar verwirrte Mitleser dazu animiert, sich auf der Petersstraße zum Kasper zu machen. Das wollten wir nicht. Das wollte ich schon gar nicht.

Jetzt, wo die Geschichte hier steht, dürfte der schlimmste Auflauf vorbei sein, dürften auch Polizei, Feuerwehr und Rettungssanitäter ihren Spaß gehabt haben. Falls nicht, kann ich nur empfehlen, die Straße in den nächsten Tagen weiträumig zu meiden und vorsichtshalber hochgeschlossene Kleidung zu tragen.

Dürfen auch Schal und Pelzmütze dabei sein. Das hält auch die Liebe warm, wenn man eine hat und seine Haut nicht zu Markte tragen muss, weil verschenkte “Outfits” winken.

Seit diese Schenkaktionen in der Stadt überhand nehmen, hab ich meine Hände sowieso nur noch in der Manteltasche, wenn ich mal durchspaziere, sonst hat man schneller einen bunten Krimskrams in den Händen, als man “Aber ja nicht!” sagen kann. Rote Luftballons zum Beispiel.

“Was machen wir jetzt damit?”

“Blasen wir auf und lassen sie fliegen, mit Zettel unten dran.”

“Und was soll da drauf stehen?”

“Ganz einfach: ‘Holt uns hier raus!'”

“Wer soll uns den hier rausholen?”

“Captain Kirk zum Beispiel. Ich glaube, der wäre der richtige.”

Mein Handtuch hab ich sowieso immer dabei. Ist aber nicht rot,

meint Leo.

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