Er gehört zu den Giganten der Weltliteratur. Er hat ein Werk hinterlassen, hinter dem sich andere bis heute verstecken können. Und heute ist sein 400. Todestag: Shakespeare-Day. Eigentlich die beste Gelegenheit, das berühmte Sonett 127 / II endlich zu veröffentlichen, auch wenn die Engländer noch immer streiten: Gehört es dazu? War es ein Ausrutscher? Und welchen Sultan könnte Will eigentlich gemeint haben?

Das ist eigentlich der Hauptstreit bis heute. Hat er Murad III. gemeint, den von Opium demolierten Sultan, der bis 1595 regierte und der durch seinen Ämterschacher bekannt wurde? Vieles spricht dafür. Gerade die besondere Betonung des Kleingelds in diesem Sonett.

Oder Mehmed III., der ihm bis 1603 folgte? Das war der, den seine Hauptleute in der Schlacht bei Mezőkeresztes überreden mussten, nicht spornstreichs davonzulaufen. Dabei hatten sie den Sieg gegen die Habsburger sogar in der Tasche. Aber Schlachten sind ja nichts für schwache Nerven. Langer Türkenkrieg, Sie wissen schon.

Manches deutet darauf hin, dass Murad gemeint war. Dann wäre das Sonett vor 1593 entstanden, bevor der Lange Türkenkrieg begann, mit dem die Engländer aber nichts zu tun hatten. Denn sie haben 1593 so eine Art Handelsvertrag mit den Türken abgeschlossen. Kennt man ja bis heute. Deal heißt das jetzt. Man besticht den anderen mit Geld und kann dann so tun, als wäre die Welt in Ordnung. Der Text hätte also durchaus in einer heiklen politischen Situation nach hinten losgehen können.

Deswegen vermuten zum Beispiel Phil Habcock und John P. Muller, dass Shakespeare das Sonett dann doch lieber aus dem Kanon seiner Sonette nahm, die dann 1609 gesammelt veröffentlicht wurde.

Muller geht sogar so weit, dass er Shakespeare noch weitere Liebes-Sonette auf gekränkte oder beturbante europäische Häupter zuschreibt. Stilistisch erinnert es an ein Sonett auf den Habsburger Rudolf II. („Ach, liebster Rudolf du, du Rührmichnicht von Prag …“)

Auch das Sonett „Auf einen opiumsüchtigen Sultan in Konstantinopel“ wurde nur als Flugblattdruck überliefert. Wobei die Forscher noch grübeln, ob hinter W. S. auch wirklich Shakespeare steht. Oder jemand aus dem Umfeld des Thrones, der den berühmten Namen nutzte, um die Öffentlichkeit auf einen anderen Kurs gegenüber den Türken einzuschwören, die 20 Jahre vorher die Schlacht bei Lepanto mit Krachen verloren, aber unter Murad wieder genauso kriegerisch auftrumpften, als hätten sie nie eine Schlacht verloren.

Oder diente sich Shakespeare selber an?

Man weiß es einfach nicht. Es besteht auch die Möglichkeit, dass S. mit seinem Sonett einen ganz anderen berühmten Mann seiner Zeit treffen wollte und nur eine ganz persönliche Fehde ausfocht, als er scheinbar mit schwerem Geschütz gegen den Sultan schoss, der weit weg im fernen Konstantinopel saß und Shakespeare nicht die Wohnung kündigen konnte.

Hier ist das berühmte Sonett Nr. 155 oder 127 II, das sich einfach nicht in den 1609 veröffentlichten Zyklus der Quattro-Ausgabe einfügen will:

Auf einen opiumsüchtigen Sultan zu Konstantinopel

Wir liebten Dich, wenn Du nur liebwert wärst,
Ein Mann wie Falstaff, ein gar Kühner Mann.
Doch Du bist falsch, ein Farthing ohne Wert,
Der seine Schulden nicht begleichen kann.

Und trotzdem Schulden eintreibt, wo es keine gibt,
Denn Lachen ist in Deinem Reich verboten.
Da, wo Du Sultan bist, ist Schweigen Sklavenpflicht.
Da, wo Du’s nicht bist, reißt Du selber Zoten,

Die ärger sind als der Vandalen Brennen.
Was narrst Du alle Welt mit Deinem rüden Ton?
Wer Dich besingt, dem zahlst Du bösen Lohn.
Doch sänge niemand mehr, wer würde Dich schon kennen?

So’n kleiner Mann wie Du, der niemals Schuld vergibt,
Wie kann der Lieb’ erwarten, wo er selbst nicht liebt?

Übersetzt wurde das Gedicht übrigens von Wilhelm Gottlieb Schlegel, der es Schiller für dessen Musenalmanach anbot. Doch der berühmte Dichter in Weimar lehnte dankend ab mit dem Verweis, „es könnten sich einige der gesalbten Häupter unserer muselmanischen Gegenwart durchaus gemeinet fühlen“ und die Sache missverstehen. Aber das ist ja bis heute so.

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