Da war doch noch sooo schön Singen in Köln, von geschächteten Tieren und Muslimen, die verlieren. Überhaupt gehört zu so einem richtigen Innenstadtkrieg mit Leute anpöbeln doch ne zünftige Musike? Und nun darf die Lieblings-Kapelle aller Freunde der Gewalt in Hannover nicht spielen. Zeit für kreative Ideen und einem Gipfeltreffen des Widerstandes von gestern und heute mit vereinten Kräften. Hier schon mal der aufregende Ablauf für den Krieg am 15. November in der einzigen Stadt, wo man hochdeutsch spricht, vorab. Damit man nachher sagen kann, man hat auf der rechten Seite gestanden.

Die bereits seit dem Vorabend am Bahnhof Hannover herumlungernden Neonazis liegen auf den Parkbänken in der Umgebung oder verrichten ihre Morgennotdurft an den Laternen und Bäumen nahe der Innenstadt. Der Preis pro Bierbüchse ist seit etwa 5:45 Uhr stetig gestiegen, der Mangel macht die Preise: Marktwirtschaft trifft auf Revolution, viele Geschäfte im Bahnhof bleiben geschlossen. Die Radiosender der Stadt senden weiter kapitalistische Losungen von “Mediamarkt”, eine Übernahme würde nichts ändern.

Gegen 10:00 Uhr Eintreffen des Hauptheeres am Bahnhof Hannover und sofortiger Austritt am hinteren Ende. Kurzer Kennenlern-Appell unter Abschreiten der Front angetretener Großstadtkrieger. Das Horst Wessel-Lied wird nach einigem Hin und Her als offizielle Hymne abgelehnt. Bestechendes Argument: Wer mag schon Lieder von Verlierern? Dafür erklingt zum ersten Mal ein schmissiger Song von Kategorie C, a cappella vorgetragen durch einen vielstimmigen Männerchor. Die Band selbst ist anwesend und verkauft CD’s an die Zielgruppe, da “Mediamarkt” den Vertrieb dieser Musik auch (Zitat der Geschäftsleitung Hannover) “eiterhin aus Gründen der Kopfhygiene” ablehnt. Ob Tippfehler hier eine Rolle spielten, war kurzfristig nicht nachprüfbar.

Die Kampfmoral wird allgemein als hoch eingestuft, einige rechnen fest mit dem Überlaufen der anwesenden Polizei und der gesamten Bevölkerung in Hannover zu einem späteren Zeitpunkt der Kampfhandlungen.

Danach feuchtes Kennenlernen zwischen altgedienten Neonazis, aufgeregten Hooligans auf Auswärtsspiel und verschiedenen Splitterfanatikergruppen beim ersten Kennenlernen außerhalb von Internet und Facebookfanseitendäumerei. Darunter Reichsdeutsche, der Freizeitkreis der Wünschelrutengänger im erzwungenen Ruhestand und mehrere, vereinzelte Quartalsirre. Alle finden sich rasch in einem regen Ideenaustausch darüber wieder, wie die Menschheit oder wenigstens Hannover zugrunde gehen muss. Ein zufällig hinzugekommener Scientologe wird umgehend des Platzes verwiesen, da elitäre Weltuntergänge grundsätzlich nicht realistisch seien.

Es sind noch 1,5 Stunden bis Kriegsbeginn. Hartnäckig halten sich Gerüchte, eine IS-Abordnung würde ob der faktischen Übermacht in Hannover zu ersten Kapitulationsverhandlungen anreisen. Der leise Einspruch eines jungen Mannes zur fehlenden Bewaffnung wird fankurvenmäßig niedergebrüllt und mit einer präventiv-pädagogischen Verprügelung wegen Wehrkraftzersetzung quittiert. (Nach dieser Läuterung wird der Mann wenige Tage darauf zur eher selten gewordenen Glaubensrichtung “Linksextremismus” konvertieren. Und bei der HoGeSa-Jubiläums-Demo am 12. Januar 2024 mittels Sprengung der Bahngleise auf der Strecke von Bad Bederkesa nach Seifhennersdorf auf der Höhe Wittenberg die Anreise des “Ältestensrates der vereinigten Hooligans” – ÄvH – verhindern.)

10:45 Uhr Wolf Biermann ist nun auch da und gesellt sich zu einer Gruppe junger AfD-Wähler – ein wilder Disput über die Rolle der Linken in der Weimarer Republik und der indirekten Rolle Röhms bei der Gründung der roten Diktatur beginnt. Biermann droht unter Kritik zu geraten, ein Staatsbüttel zu sein. Doch geschickt laviert er sich heraus mit dem Argument, vor Jahren immerhin drei Drachen bei Zwickau erlegt zu haben. Da müssen die Anderen passen – es werden gemeinsam ein paar halbwarme Biere geleert.

Leicht angeheitert votiert Biermann kurz darauf lautstark für das Abspielen des Walküren-Rittes von Wagner über die Lautsprecheranlage, ein Bettler fragt ihn nach einem Euro. Biermann weist ihn unter großer Anteilnahme der Umstehenden darauf hin, er möge sich bei der roten Drachenbrut gleich gegenüber in der Gegendemo über seine Minuskarriere in dieser großartigen Gesellschaft beschweren und schickt ihn weg. Erneut werden leise Zweifel an seiner Berechtigung zur Beteiligung an dieser Revolution laut. Irgendwer fordert kurzzeitig mindestens gestempelte Berechtigungskarten für den Platzzutritt ab spätestens zum Zeitpunkt des Kriegseintritts 12 Uhr MEZ. Doch bald erfordern andere Ereignisse die volle Aufmerksamkeit der versammelten Zukunft Deutschlands.

Denn gegen 11 Uhr macht das Wort “Hooligan-KZ” zum ersten Mal lautstark die Runde und in Richtung der umherstehenden Einsatzbeamten schallt der Schlachtruf “Nach 70 Jahren sind wir mal wieder dran” über den Bahnhofshinterhof. Biermann stimmt seine Gitarre nach, irgendwie haben sich die zarteren Töne an diesem kalten Novembermorgen doch empfindlich verzogen. Die Abordnung der Partei “Die Rechte” ist nun auch eingetroffen. Nachdem diese erst kürzlich im Stadtrat von Dortmund nachfragen ließ, wo denn nun die Juden der Stadt so wohnen, will man auch in Hannover mal nach den Rechten und den Adressen der verbliebenen jüdischen Bevölkerung sehn.

“Rechte”-Aushang-Hänger SS-Siggi, der es irritierenderweise in volltrunkenem Zustand bis Hannover geschafft hat, bittet Biermann um ein Autogramm. Und verlangt dabei die korrekte Ansprache als SA-Siggi. Einen Führungsanspruch für den finalen Sturm lehnt er damit frühzeitig ab, während Biermann darauf verweist, dass eine Gitarre kein Schlaginstrument ist. Beide scheiden für die erste Reihe der Angriffsformation aus.

Kurz darauf spielen beide Schnick-Schnack-Schnuck um die beste Auftrittszeit auf der errichteten Palettenbühne am Kopfende des Geländes. Biermann verliert und ist beleidigt. Siggi erfährt von ganz rechts durch anwesende Weggefährten aus den Reihen der verblichenen Borussen-Front, dass er gewonnen hat.

11:30 Uhr gibt es zuverlässige Informationen, es gäbe doch noch Alkohol in einem kleinen Imbiss im Bahnhof. Biermann wird vorgeschickt, um die Lage zu erkunden. Außerdem ist er der einzige, der noch Geld hat. Bei seinem Bummel durch den “Einkaufsbahnhof” zum “Erleben, shoppen, schlemmen” verirrt sich der Sangesbarde irrtümlich in einen Zug nach Leipzig. Dort angekommen, wird er später, bei einem Versuch, den Leipziger Löwen am Portal des Neuen Rathauses zu erdrosseln, festgenommen. Und anschließend erneut um Ausreise nach Westdeutschland gebeten.

In Hannover beginnt gegen 12 Uhr pünktlich der Krieg. Da die extremen Salafisten auch weiterhin ihre Hauptkampfhandlungen nach Syrien und in den Irak verlagert haben, gibt es einige Scharmützel zwischen Polizei und Demonstranten. Die Demonstranten verlieren, da sie nach der Schlacht in Köln zu viel auf Facebook gejubelt und zu wenig trainiert haben.

Fazit des 15. November: Erneut wurde der Endsieg knapp verpasst, da von Beginn an die Tore in diesem Stadion woanders standen. Aber leise klingelts noch im Ohr einiger Festgenommener: “Du kannst nicht untertauchen, Du brauchst uns, und wir brauchen, Grad deine Heiterkeit – Du, lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit”.

Nur gelacht hat wieder keiner. Aber! Gute Bilder waren auf jeden Fall massig dabei.

Nachtrag: Hier kann man live dabei zusehen, wie sich Menschen in Hannover die Beine in den Bauch stehen. https://www.youtube.com/watch?v=BzjI4_hB3gE#t=2219

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