Ganz unbeachtet blieb das Thema nicht, das wir an dieser Stelle nun seit Jahren beackern: Warum rutschen immer mehr Sachsen in Schulden? Warum können sie ihren Strom, ihre Wohnung, ihre Krankenkasse nicht mehr bezahlen, obwohl doch die Arbeitslosigkeit sinkt und die Durchschnittsgehälter steigen? Das beunruhigt sogar SPD und CDU, die jetzt einen gemeinsamen Berichtsantrag im Landtag gestellt haben.

Augenscheinlich ist das ein Thema, das ohne richtigen Auftrag durch den Landtag nicht zu meistern ist. Die Landesregierung hat zwar etliche Zahlen. Aber um die Ursachen für die zahlreichen Insolvenzen privater Haushalte im Freistaat Sachsen herauszubekommen, braucht es augenscheinlich eine besondere Untersuchung. Denn Einiges deutet darauf hin, dass etliche tausend Sachsen durch alle sozialen Raster fallen und auch nicht die benötigte Hilfe bekommen, wenn ihnen die Schuldforderungen über den Kopf wachsen.

Mit Betonung auf Schuldforderungen. Denn nicht jede Forderung entspricht einer tatsächlich eingegangenen Schuld. Oft sind die Bürger mit Schuldforderungen konfrontiert, hinter denen keine Leistung steht oder nur eine staatliche Versicherungspflicht, die unter den herrschenden Einkommensverhältnissen nicht geleistet werden kann. Da ist eine ganze staatliche und halbstaatliche Bürokratie oft blind oder weisungsgemäß unfähig zu reagieren, wenn die von gut versorgten Staatsdienern ausgedachten Regeln auf die Lebensrealität der Menschen nicht passen, die oft genug seit Jahren schon den Mühlen eines prekären Beschäftigungsmarktes ausgesetzt sind.

Da wird zwar gern von Pfändungs- und Steuerfreibeträgen geredet – aber in vielen Fällen greifen sie gar nicht, haben nicht nur Gläubiger, sondern auch staatliche Instanzen Zugriff auf das Lebensminimum der Menschen. Von den systematischen Verfassungsverstößen der Jobcenter brauchen wir ja an dieser Stelle nicht zu reden.

Irgendetwas läuft da gewaltig schief. Und es ist tatsächlich ein Quantensprung, wenn die CDU- und die SPD-Fraktion jetzt gemeinsam einen Antrag stellen, mit dem die Staatsregierung letztlich beauftragt werden soll, herauszubekommen, was man über „Anzahl und Entwicklung von insolventen Haushalten seit dem Jahr 2000 und über die Ursachen der Verschuldung“ in Sachsen weiß.

Sie verweisen dabei auf die für das Sozialministerium erstellte und 2015 erschienene Studie „Geld, Finanzen, Schulden – Umgang und Einstellungen der erwachsenen Bevölkerung im Freistaat Sachsen“.

Und sie wollen gern wissen, was man über „den aktuellen Bestand an Restschuldbefreiungsverfahren, die Anzahl der Anträge auf Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, die Anzahl der Fälle, die mangels Masse abgewiesen wurden und die Anzahl der Fälle, in denen ein Schuldenbereinigungsplan angenommen worden ist“, weiß.

Dabei hatte die Studie von 2015 ziemlich deutlich gezeigt, dass Überschuldung oft ein schleichender Prozess ist, oft aber von den Betroffenen nicht gesteuert werden kann, weil die Auslöser der Verschuldung (Trennung, Arbeitslosigkeit, Krankheit …) im Grunde meist eine sowieso schon prekäre Lebenslage unterminieren. Deswegen ist einer der zentralen Sätze der Studie auch: „Überschuldung geht mit Armut einher und weist ähnliche Folgen auf. Als Folgen müssen die Betroffenen zunächst das Ereignis aushalten, was zur Überschuldung geführt hat, in der Regel Arbeitslosigkeit. Damit einhergehen finanzielle Engpässe im Vergleich zu vorher und weiterhin ist die Kaufkraft eingeschränkt, was zu einer geringeren Bedürfnisbefriedigung führt. Zudem müssen die Forderungen von Insolvenzverwalter und Gläubigern ausgehalten werden (Knobloch & Reifner, 2013). Durch die Überschuldung drohen die Kündigung des Girokontos und damit ein Ausschluss von weiteren Krediten.“

Man ahnt, wie dieses „in-Schulden-geraten“ meist zu einem unumkehrbaren Prozess wird, an dem die Betroffenen oft nicht einmal Schuld sind, in der Regel auch nichts mehr ändern können, weil ihnen die finanziellen Puffer fehlen (und wer sich erinnert: Das „Aufbrauchen der finanziellen Rücklagen“ war eine der ersten Schikanen, die die „Hartz-IV-Gesetzgebung“ den Arbeitsuchenden auferlegte – sie verlieren damit auch die oft mühsam angesparte Vorsorge für Notfälle. Womit der Staat selbst zu einem Hauptverursacher von Schuldenproblemen wird. – Die Menschen, die in den letzten elf Jahren mit dem Jobcenter in Berührung kamen, sind also die ersten, die bei einer Notlage in ihrem Leben in den Schuldenstrudel geraten.)

Und es ist ja nicht so, dass bei staatlichen Instanzen die Signalanlagen angehen, wenn jemand in so eine Abwärtsspirale gerät. Im Gegenteil: Die staatlichen und halbstaatlichen Schuldeneintreiber sind die Ersten, die dann Forderungen anmelden und dafür sorgen, dass der Schuldenberg immer weiter anschwillt. Oder gleich weiter aus der Studie zitiert: „Durch die Überschuldung drohen die Kündigung des Girokontos und damit ein Ausschluss von weiteren Krediten. Weiterhin droht Wohnungsnotstand und ein Abschalten der Energieversorgung. Ein Girokonto ist für die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr unerlässlich. Nicht nur, dass einige Zahlungen, zum Beispiel Miete, Stromabschläge, Rundfunkgebühr oder Versicherungen, überwiesen oder vom Konto abgezogen werden, sondern auch Gehalts- und Rentenzahlungen werden in der Regel bargeldlos abgewickelt.“

Als wären das alles anonyme Apparate, die sich da am Geld der Schuldigen bedienen.

Und es waren einige Warnzeichen in der Studie zu finden. Zum Beispiel auch dieses, wie sehr prekäre Beschäftigung heute Ursache von Verschuldung geworden ist: „Die Berater stellten mehrere Veränderungen in den letzten Jahren hinsichtlich der Ratsuchenden fest. Es kämen weniger Empfänger von Arbeitslosengeld II, dafür mehr Arbeitnehmer in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Ebenso habe die Gruppe der psychisch Kranken oder psychisch gestörten Menschen zugenommen.“

Und dann kommt dazu, dass man immer stärker versucht, auch noch Uraltschulden einzutreiben: „Auch habe sich das Verhalten der Gläubiger geändert. Diese versuchen, zum Teil alte Schulden aus den 1990er Jahren einzutreiben.“ Dazu kommt, dass Menschen mit Zahlungsproblemen meist nicht nur niedrige Einkommen haben und selten Erspartes, dafür verfügen sie oft über weniger Finanzkompetenz als der Durchschnitt. „Die finanzielle Bildung muss verbessert werden, um Überschuldung vorzubeugen und ein souveränes Agieren am Finanzmarkt zu ermöglichen“, meint nun die Studie als Lösungsansatz ausgemacht zu haben. Dabei wird andererseits den Sachsen bescheinigt, sehr klug zu agieren, wenn sie in Zahlungsnöte geraten – denn statt neue Kredite aufzunehmen, versuchen sie erst einmal ihre Ausgaben zu senken und sich bei Verwandten Hilfe zu holen. Was aber augenscheinlich für viele Menschen das Problem nicht löst, sondern sie lediglich dauerhaft ins Abseits manövriert.

Ob das Dilemma durch bessere Kompetenzvermittlung in den Schulen und höhere Akzeptanz der Schuldnerberatungsstellen gelöst werden kann, darf wohl bezweifelt werden. In gewisser Weise war die Studie auch entsprechend blauäugig in ihren Folgerungen: „Falls Haushalte einmal in eine finanzielle Schieflage geraten sollten, ist wichtig, dass diese zügig Hilfe erhalten können. Dafür ist die Kenntnis der Beratungsangebote wichtig.“ Denn auch wenn das „blauäugige“ Eingehen von Kreditverträgen nur eine – und nicht einmal die dominierende – Ursache der Verschuldung war, wie eine Befragung von Schuldnern ergab: Viel häufiger sorgte Arbeitslosigkeit für den Beginn der Schuldenspirale, gefolgt von Scham, sich helfen zu lassen und dem verlorenen Überblick über Einnahmen und Ausgaben.

Gleich nach den „zu vielen Krediten“ wurde die Trennung von einem Partner genannt, aber auch ungelesene Verträge und Krankheit tauchen in der Ursachenliste auf.

Ob da die reine Insolvenzberatung hilft? Zumindest wollen CDU und SPD jetzt auch eine Übersicht bekommen, wie viele Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen es in welcher Trägerschaft in Sachsen gibt. Und vielleicht entsteht ja mit der Beauftragung auch mal ein vollständigeres Bild über die immer noch manifesten Verschuldungsursachen in Sachsen.

Der gemeinsame Antrag von CDU- und SPD-Fraktion. Drs. 4724

Die Schuldenbroschüre des Sächsischen Sozialministeriums von 2015.

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