Mit dem Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien ehrte die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig am Abend des 7. Oktober 2016 die türkischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül. Der Preis, der jährlich an Journalisten, Medienschaffende und Institutionen verliehen wird, die sich mit besonderem Mut und großem Engagement für die Pressefreiheit einsetzen, ist mit 30.000 Euro dotiert. Can Dündar nahm den Preis persönlich entgegen, Erdem Gül wurde durch Entzug seines Passes an der Ausreise aus der Türkei gehindert.

„Als wir im Juni dieses Jahres in der Jury des Medienpreises die heutigen Preisträger kürten, wussten wir um die schwierige Lage dieser beiden Journalisten und die damals schon prekäre Situation der Pressefreiheit in der Türkei“, erklärte Dr. Harald Langenfeld, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Leipzig und Vorsitzender des Vorstands der Medienstiftung, im Rahmen der Preisverleihung. Man habe aber nicht ahnen können, „welch dramatische Dimension das Thema in den nächsten Wochen erreichen würde.“ Der versuchte Militärputsch vom 15. Juli 2016 sei Unrecht gewesen, das strafrechtlicher Aufarbeitung durch die türkische Justiz bedürfe. Was man erlebe, sei etwas anderes: „Mit Hinweis auf den versuchten Putsch und seine tatsächlichen oder auch angeblichen Hintermänner schränkte die Regierung demokratische Freiheiten massiv ein“, so Dr. Langenfeld. Die Preisträger Can Dündar und Erdem Gül hätten dies am eigenen Leib erlebt. Der Preis sei deshalb „Ausdruck unserer Solidarität mit ihnen, ihren Familien und allen weiteren Journalistinnen und Journalisten, die derzeit in der Türkei und anderswo unter staatlichen Repressalien leiden.“

Die Preisträger erinnern auch die westlichen Demokratien an eine „Grundwahrheit“, so Burkhard Jung, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig und Vorsitzender des Stiftungsrats der Medienstiftung. „Das freie Wort ist kein eingeschmuggeltes westliches Kulturgut. Es ist ein planetares Grundrecht freier Menschen, unabhängig von Kultur, Religion oder Geldbeutel. Aber dieses Recht ist eben keine Selbstverständlichkeit“, erklärte Jung. Mit Blick auf Can Dündar sagte er: „Wir erkennen in Ihnen einen zeitgenössischen Dissidenten, der auch uns beunruhigt. Und sei es nur, wenn sie das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei am Maß der Menschenrechte messen und zu keinem guten Urteil kommen.“

Preisträger Can Dündar, der den Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien persönlich entgegennehmen konnte, bedankte sich auch im Namen seines Kollegen Erdem Gül für die erfahrene Solidarität gegenüber verfolgten Journalisten: „Die große Familie der Menschen, die auf der Seite der Freiheit stehen, reicht ihnen die Hand und gibt ihnen selbst im Gefängnis das Gefühl, dass sie nicht allein sind.“ Er empfange den Preis im Namen der Kolleginnen und Kollegen, „die jetzt hinter Gittern sitzen oder ihre Verhaftung riskieren, weil sie gegen die Repression Widerstand leisten.“ Jede Regierung hege Geheimnisse: „Es ist unsere Aufgabe, sie zu enthüllen und das Recht der Bevölkerung zu verteidigen, die Wahrheit zu erfahren.“

Solidaritätsadresse der Medienpreisträger

Eine während der Preisverleihung in Leipzig veröffentlichte Solidaritätsadresse früherer Medienpreisträger verurteilt aufs Schärfste die aktuelle Verfolgung der türkischen Journalisten, Kolumnisten und Autoren Ahmet Altan, Nedim Sener, Can Dündar und Erdem Gül, ihres Zeichens jeweils Preisträger des Preises für die Freiheit und Zukunft der Medien: „Wie ihre Beispiele ebenso wie die zahlreicher anderer türkischer Journalisten belegen, verhindert die türkische Regierung seit Jahren systematisch eine pluralistische Meinungsbildung, indem sie kritische Journalisten unter Terrorverdacht stellt oder sie unter fadenscheinigen Begründungen juristisch verfolgt oder verfolgen lässt sowie die Arbeit regierungsunabhängiger Medien durch Verbote und Repressalien beschränkt“, stellt die Solidaritätsadresse fest. Die Unterzeichner, zu denen der amerikanische Top-Rechercheur Seymour Hersh, der iranische Filmemacher Jafar Panahi, die mexikanische Journalistin Ana Lilia Perez, die afghanische Journalistin Farida Nekzad, die deutschen Journalisten Jörg Armbruster, Bettina Rühl, Wolfram Weimer und viele andere gehören, fordern die türkische Regierung auf, umgehend Beweise für die unterstellte Beteiligung regierungskritischer Medien am Putschversuch vom 16. Juli 2016 vorzulegen: „Wir fordern eine Rückkehr der Türkei zu demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien für alle Journalisten und Medienschaffende. Wir fordern ein Ende der politisch motivierten juristischen Verfolgung von Journalisten, Verlegern, Herausgebern und Medien.“

Stephan Seeger, Geschäftsführender Vorstand der Medienstiftung und Direktor Stiftungen der Sparkasse Leipzig: „Wir bitten die Medien, diese Solidaritätsadresse zu veröffentlichen und so breit wie möglich zu streuen.“ Er erklärte: „Die Unterzeichner übten und üben ihren Beruf unter teils schwierigen, oft genug leider lebensgefährlichen Umständen aus – und wissen, wie wichtig und notwendig die aufrichtige Solidarität unter Kollegen ist.

Dass es den Einzelnen schützen kann, wenn die Welt an seinem Schicksal teilhat. Und dass es den Einzelnen stützen kann, der merkt, dass er nicht allein ist.“ (Die Solidaritätsadresse finden Sie im Anhang dieser E-Mail)

Solidaritätsaktion der Teilnehmer der 2. European Media Freedom Conference

Eine Solidaritätsaktion mit den in der Türkei inhaftierten Journalisten initiierte auch das in Leipzig angesiedelte Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) mit den Teilnehmern der zweiten European Media Freedom Conference, die am 6. und 7. Oktober in Leipzig stattfand. Gemeinsam mit dem Medienpreisträger Can Dündar und weiteren im Exil lebenden türkischen Journalisten entließen die über 100 internationalen Teilnehmer der Konferenz jeweils einen Luftballon für jeden derzeit in Haft befindlichen türkischen Journalisten in die Freiheit des Leipziger Himmels. (Ein Foto der Aktion finden Sie im Anhang dieser E-Mail)

Leipziger Rede zur Medien- und Pressefreiheit von Dr. Heiner Koch, Erzbischof von Berlin

Auch Dr. Heiner Koch, Erzbischof von Berlin, würdigte die ausgezeichneten Journalisten Can Dündar und Erdem Gül: „Wo Medienvertreter in Kauf nehmen müssen, dass ihr Einsatz für Freiheit und Demokratie keinen geringeren Preis hat als den ihrer eigenen Freiheit, ihrer eigenen demokratischen Grundrechte, da übernehmen freie Menschen die Kosten für die Verantwortung, die sie tragen. Unsere beiden Preisträger Can Dündar und Erdem Gül verkörpern diese Haltung vorbildhaft“, so Dr. Koch in der diesjährigen „Leipziger Rede zur Medien- und Pressefreiheit“ im Rahmen der Preisverleihung, in der er das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Verantwortung beleuchtete: „[Freiheit] kann nicht nur gebraucht werden, sie kann auch missbraucht werden. Sie lässt sich überspannen und kann sich selbst verfehlen.“ In Deutschland und weltweit seien zunehmende und sich verstärkende gesellschaftliche Spannungen in besorgniserregendem Ausmaß zu beobachten: „Umso mehr sind die Anforderungen an eine verantwortete Pressefreiheit gewachsen. An eine Presse, die Freiheit nutzt, Solidarität leistet und Subsidiarität wahrt“, erklärte Dr. Koch.

Zu den Preisträgern

Erdem Gül wurde 1967 im türkischen Giresun geboren. 1992 begann er seine berufliche Laufbahn bei der türkischen Nachrichtenagentur Anka. 2010 wurde er zunächst Parlamentsreporter von Cumhuriyet, seit 2013 leitete er das Hauptstadtbüro der Zeitung in Ankara. Im Cumhuriyet-Prozess um die Berichterstattung zu einem geheimen Militärtransport der Türkei nach Syrien galt Erdem Gül als Hauptangeklagter.

Im November 2015 wurden er und Can Dündar verhaftet, wobei das türkische Verfassungsgericht die Untersuchungshaft im Februar 2016 als unrechtmäßig bezeichnete. Der Prozess begann am 25. März 2016, die Anklage lautete auf wissentliche und willentliche Unterstützung einer bewaffneten Terrororganisation und Spionage von Staatsgeheimnissen.

Can Dündar lebt seit Juli 2016 im Ausland. Im August legte er das Chefredakteursamt bei Cumhuriyet nieder. Wie Erdem Gül darf auch seine Frau nicht aus der Türkei ausreisen. Im September 2016 wurde ein zweiter Prozess gegen beide Journalisten angestrengt, jetzt sind Can Dündar und Erdem Gül wegen vorsätzlicher und wissentlicher Unterstützung einer bewaffneten Terrororganisation angeklagt.

Zum Preis

Mit dem „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien” ehrt die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig seit 2001 jährlich Journalisten, Verleger und Institutionen, die sich mit hohem persönlichem Einsatz für die Freiheit und Zukunft der Medien engagieren. Der Preis soll auch die Erinnerung an die friedliche Revolution in Leipzig am 9. Oktober 1989 wachhalten: Damals forderten die Demonstranten „eine freie Presse für ein freies Land”.

Weitere Informationen finden Sie unter folgenden Seiten: www.leipziger-medienstiftung.de

In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar