Im März berichtete die L-IZ über eine etwas dubiose Vorlage der Stadtverwaltung zum Leipziger Teil des agra-Geländes. Die zugehörige Karte entzückt heute noch die Leser. "Hier Fotovoltaik", "Hier Hotel der Mittelklasse", "Hier Nahversorger" steht da forsch auf die Karte gemalt, die aussieht, als wäre sie in einem Workshop entstanden. Eigentlich sollte der Stadtrat die Vorlage am 17. April zur Kenntnis nehmen. Aber das Wirtschaftsdezernat hat sie wohl stillschweigend wieder zurückgezogen.

Was dann der Grünen-Stadträtin Heike König trotzdem Stoff für eine Glosse gab im “Ratschlag”, der Informationsschrift, die die Grünen-Fraktion monatlich herausgibt. Eigentlich ist es mehr als eine Glosse. Man spürt die Frustration der Stadträtin über den Umgang der Stadtverwaltung mit derart brisanten Themen. Ist ja nicht so, dass die Stadtverwaltung sich hier nicht schon einmal eine Ohrfeige eingehandelt hat. Bis 2009 verfolgte sie mit aller Beharrlichkeit das Ziel, südwestlich der Helenenstraße ein neues Baugebiet für Eigenheime auszuweisen.

Die Stadtverwaltung akzeptierte nach einigem Hin und Her die Bürgerproteste und blies das Vorhaben im November 2009 ab. “Vernunft setzt sich durch”, titelte die L-IZ damals.

Aber das Jahr 2013 ist wohl dazu angelegt, den Glauben an die Vernunft in den städtischen Entscheidungsgremien gründlich zu erschüttern. Denn was das Wirtschaftsdezernat da im März vorlegte, brachte nicht nur die Planung für das 2009 kassierte Wohngebiet für “hochwertige Eigenheime” wieder auf den Tisch, es besetzte den Leipziger Teil des agra-Parks mit Nutzungsvorschlägen, wie sie auch im Workshop, der extra dazu stattgefunden hatte, nicht formuliert worden waren. Aber was scheren eigentlich Workshops?

2010 und 2011 fanden sie statt. “Alle Akteurinnen und Akteure waren eingebunden”, schreibt Heike König. “Sie waren gespannt auf die Ergebnisse und weitere Schritte. Danach ruhte der See still, auch ‘Arcadis’ war raus.”

“Arcadis” war das Leipziger Ingenieurbüro, das die Workshops begleitet hatte. Normalerweise qualifiziert und professionalisiert sich so ein Projekt im Lauf der Zeit. Man einigt sich auf wesentliche tragende Elemente – dazu gehörten in diesem Fall klar definierte Fahrradtrassen. “Das Dezernat Wirtschaft hat es geschafft, hart an der Aufgabenstellung vorbei eine miserable Vorlage anzubieten, die einem Rundumschlag gegen alle bisher Beteiligten gleichkommt”, schreibt König. “Schon das abrupte Abbrechen des Workshopprozesses und die Nichteinbeziehung der Stadt Markkleeberg ist ein Affront sondergleichen …”

Vor allem auch vor dem Hintergrund, dass Markkleeberg 2010 vorgeschlagen hatte, die Landesgartenschau 2015 im agra-Gelände gemeinsam auszutragen. Es wäre die Gelegenheit gewesen, ein wichtiges Erholungsgebiet gemeinsam wieder zu revitalisieren und zu gestalten. Wer sich die vom Wirtschaftsdezernat gemalte Karte anschaut, sieht, dass dergleichen nicht einmal mehr ansatzweise gedacht wird. Nahversorger, Hotel, Stellplätze, Wohnbebauung und ganz hinten erst ein Campingplatz – das hat mit der Schaffung eines gemeinsamen Parks nichts mehr zu tun.

“Nur an fiskalischem Nutzen orientiert schlägt die Vorlage Dinge vor, bei deren Vorstellung die Bürgerinnen und Bürger Kopf stehen und mir schlicht die Haare zu Berge: Alle Radwege sind raus und die Verkehrserschließung steht in den Sternen. Ein – durchaus angebrachter – Campingplatz soll auf einem stadteigenen Aufforstungsgebiet aus den 1990er Jahren entstehen. Das WGT soll bleiben, droht aber wegen geplanter benachbarter Wohnbebauung abzuwandern”, kritisiert die Grünen-Stadträtin.

Die Vorlage ist – wie Heike König feststellt – mittlerweile von der Stadtverwaltung zurückgezogen worden. Eine Klausur der Beteiligten täte Not, schreibt sie. Aber vielleicht täte eine Änderung im Wirtschafts-Denken der Stadt endlich Not. Die Vorschläge, die aus der Leitungsetage kommen, sind immer wieder dieselben Versatzstücke aus der Klamottenkiste: Nahversorger, Stellplätze, Hotels. Wahrscheinlich stehen die Investoren für dieserlei Stadtmobiliar Schlange im Wirtschaftsdezernat. Und da man keine eigenen Visionen hat, wird das einfach alles zusammengerührt.

In die Röhre schauen andere, die in Leipzig mittlerweile immer verzweifelter nach Orten suchen, wo sie geduldet werden: Musiker suchen Probenräume – die es auf der agra aus Gründen eines zu teuren Lärmschutzes nicht geben soll, Künstler suchen bezahlbare Ateliers, ein Kreativzentrum mit bezahlbaren Büroflächen für Unternehmensgründer fehlt genauso. In Dölitz hätte man durchaus Phantasie beweisen können.

Lageplan: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/83436CE438222A57C1257B280042DC9F/$FILE/V-ds-2872-Anlage.pdf

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