Nicht nur, dass Holger Seidemann, Vorstandsmitglied beim Ökolöwen, zum Auwald-Forum am 10. Juli die Sinnhaftigkeit der Luppe-Deiche infrage stellte, brachte Dietmar Richter, Leiter der Leipziger Wasserbehörde im Leipziger Umweltamt, augenscheinlich auf die Palme. Selbst einen Nebensatz von Seidemann wies er protestierend zurück. Seidemann hatte von zwei Hauptgewässern in der Nordwestaue gesprochen, der Weißen Elster und der Luppe.

“Die Weiße Elster ist das Hauptgewässer, das sollten Sie eigentlich wissen”, schmetterte der erzürnte Behördenleiter ins Mikrofon. Holger Seideman hatte in seinem Vortrag “Lebendige Burgaue?” auch eine Karte gezeigt, die den Zustand der Nordwestaue vor dem Bau der Neuen Luppe Anfang der 1930er Jahre zeigte. Mit zwei Hauptgewässern. Denn auch damals teilte sich die Weiße Elster – floss am Nordrand der Aue als Weiße Elster weiter, im Süden zweigte die Alte Luppe ab, die noch heute bei Schkopau in die Saale fließt. Beim Bau der Neuen Luppe wurde sie einfach abgetrennt. Vorher war sie wesentlicher Teil des Gewässersystems in der Burgaue.

Da hatte Holger Seidemann einen wunden Punkt erwischt. Denn wenn man die technischen Maßnahmen an Deichen und Ablassbauwerk an der Burgaue in Frage stellt, weil sie selbst im Hochwasserfall völlig sinnlos sind, dann taucht am Horizont natürlich die Vision einer komplett revitalisierten Nordwestaue auf, in der keine Deiche die Flutung uralter Auwaldflächen verhindern, in der nicht durch einen kleinen Bypass nur ein bisschen Wasser nach Goodwill in die Burgaue gelassen wird, sondern jedes Hochwasser – kleine und große – wieder natürlichen Zugang zur ganzen Aue haben.

Die Burgaue einfach zu öffnen, sei eigentlich das einfachste und nachhaltigste Mittel, der dahinter liegenden Hartholzaue wieder die notwendigen Überschwemmungen zukommen zu lassen, stellte Seidemann fest. Das Nahleauslassbauwerk verhindert das schlichtweg. Und es ist nutzlos, wie Seidemann feststellt, denn wenn es ab Hochwassern der Größenklasse HQ 25 aufwärts sowieso geöffnet werden muss, macht es als Hochwasserschutz keinen Sinn. Ein Punkt, den insbesondere die Leiterin des Umweltamtes, Angelika von Fritsch, so nicht gelten lassen will: Man brauche das Steuerwerk, um den Hochwasserscheitel zu kappen, wenn das flussabwärts gelegene Halle bedroht ist.

Was Holger Seidemann in seinem Vortrag bezweifelt hat. Denn die Burgaue ist ja kein Speicherbecken. Binnen anderthalb Stunden ist das Wasser durch die Burgaue gelaufen und vereinigt sich dahinter wieder mit den Wassermassen aus der Neuen Luppe. “Welchen Effekt hat das dann noch in Halle? Das frage ich mal”, sagte Seidemann.

Für den Leipziger Hochwasserschutz spielt das Bauwerk auch keine Rolle. Selbst bei einem Hochwasser der Größenklasse HQ 150 wird bei Flutung der Burgaue nur der Rand der Siedlungsflächen erreicht. Bei kleineren Hochwassern wird sogar nur ein Teil der Burgaue überschwemmt. Und zwar nicht so brachial, wie das im Januar 2011 und im Juni 2013 der Fall war. Wenn der Wasserpegel langsam steigen kann, richtet das Wasser nicht nur weniger Schäden an, auch die fruchtbaren Sedimente können sich ablagern, die für die Aue so wichtig sind.
Aber die Leipziger Stadtverwaltung klammert sich nicht ohne Grund so verzweifelt an das Argument “Scheitelkappung”. Denn wenn das Argument nicht zieht, gibt es keine Existenzberechtigung mehr für das Nahleauslassbauwerk, das die Landestalsperrenverwaltung gerade mit Genehmigung des Leipziger Umweltamtes baut. Dann rückt aber etwas Anderes in den Vordergrund: die Rolle der Burgaue als FFH-Gebiet nach europäischem Standard. Nur weil sie (noch) den Charakter einer in Deutschland geschützten Hartholzaue hat, ist sie geschützt und hat das Bundesumweltamt Geld bereitgestellt für das Projekt “Lebendige Luppe”.

Was aber, wenn alle Aktionen im Projekt “Lebendige Luppe” nicht den Effekt haben, den man sich davon verspricht? Denn ein reines Wassereinlassen über den Burgauenbach setzt zwar einen Teil der alten Flussläufe unter Wasser – es spült aber nicht die notwendigen Sedimente in die Aue. Und es erfasst nur einen winzigen Teil des Gebietes. Der größte Teil bleibt weiter trocken und muss künstlich bewirtschaftet werden. Das kann nicht wirklich Sinn eines derart groß angelegten Projektes zur Revitalisierung sein. Und die Fördergeldgeber werden mit Argusaugen darauf schauen, was Leipzig mit den 5 Millionen Euro Fördermitteln macht. Wenn gleichsam parallel für 3 Millionen Euro ein Bauwerk hingesetzt wird, das die großflächige Flutung der Aue sogar verhindert, könnte das schon Fragen aufwerfen. Zum Beispiel die, ob man in Leipzig wirklich weiß, was man tut.

Denn es hat mit einer Revitalisierung der Aue nichts zu tun, wenn man die “Auendynamik” nur in ein paar Bachläufen wieder herstellt. Seidemann warb also in aller Ruhe dafür, dass sich Projektbeteiligte, Geldgeber, Stadt und Umweltverbände an einen Tisch setzen und über eine Ausweitung der bisherigen Planungen im Projekt “Lebendige Luppe” sprechen. Aber es war wohl genau dieser Aufruf, der in den zuständigen Ämtern die Alarmglocken erklingen ließ.

Er sprach auch das von der Verwaltung gern genannte Thema der Sohlschwelle des Nahleauslassbauwerks an. Denn wenn man die Schotten des Auslassbauwerks einfach offen ließe, kämen trotzdem keine kleineren Hochwasser in die Burgaue, war das Verwaltungsargument. Der Schwellenbaum läge zu hoch. Und selbst wenn man ihn abgesenkt hätte, würde der Wald dahinter höher liegen als der Fluss.

“Das Wasser fließt nicht bergauf”, rief Dietmar Richter ins Mikrofon.

Muss es ja bei Hochwasser auch nicht. Aber es war nicht der einzige sehr lockere Spruch, der deutlich machte, dass die Verwaltung eigentlich mit niemandem über die Burgaue reden möchte, schon gar nicht über alternative Konzepte, die tatsächlich wieder eine lebendige Aue ermöglichen. Auf den Antrag von SPD und CDU hin, der ursprünglich einen Stopp des Neubaus des Nahleauslassbauwerks wollte, schrieb das Leipziger Umweltdezernat im Januar: “Der Inanspruchnahme des Polders, wie erstmals im Januar 2011 praktiziert, ist auch künftig wesentliche Bedeutung beizumessen, da ein Abschlag von Hochwasser der Weißen Elster in den Zwenkauer See grundsätzlich erst bei Durchflüssen ab 450 m³/s erfolgt, die Öffnung des Nahleauslassbauwerks jedoch bereits bei Hochwasserereignissen mit ca. 280 m³/s Wasserführung notwendig wird. Die Nutzung beider Maßnahmen ist daher auch unabhängig voneinander alternativlos.”

Man redet also immer gerade das, was einem in den Kram passt. Am Donnerstag erklärte Richter aus voller Brust, die Luppe-Deiche seien für 450 m³/s Durchfluss ausgelegt. Auch das schon ein Fakt, der die Umweltverbände stutzig machte. Denn wenn die Deiche 2011 derart verstärkt wurden, dann war das eine Ausbaumaßnahme, an der sie zwingend hätten beteiligt werden müssen.

Aber auch das Argument der “Scheitelkappung” ist nicht haltbar, auch wenn das Nahleauslasswerk 2013 erst in allerletzter Sekunde geöffnet wurde – das Wasser stand schon an der Oberkante der Tore. Eigentlich ein klarer Verstoß gegen das Regelwerk, mit dem das Auslasswerk betrieben werden muss: Es hätte schon bei 280 m³/s geöffnet werden müssen, viele Stunden früher, als es dann passierte.

Und nicht nur nach Seidemanns Vortrag kam es zu skurrilen Szenen während des Auwald-Forums.

Wir haben ja noch einen Vortrag angehört. Dazu morgen mehr an dieser Stelle.

Der Verwaltungsstandpunkt zum Nahleauslassbauwerk vom Januar 2014:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/DD35117FF13FBD2CC1257C71002FAECA/$FILE/V-a-475-vsp.pdf

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