LeserclubWas ist in der Friederikenstraße eigentlich falsch gelaufen? Aktuell wird in dem ehemaligen Lehlings- und Studentenwohnheim in Dölitz eine Interims-Erstaufnahmeeinrichtung des Freistaats für die zunehmende Zahl von Asylsuchenden eingerichtet. Noch bis Sommer 2014 gehörte das Objekt der Stadt. Sie war sogar selbst noch dabei, mit dem neuen Eigentümer über eine Anmietung zu verhandeln, als der Freistaat schon am Zug war. Ein Kommunikationsproblem oder ein Gesetzesloch?

Die Vorgeschichte haben wir ja an dieser Stelle schon erzählt: 2010 gab es den Vorstoß, eventuell eine Waldorfschule in dem leer stehenden Objekt unterzubringen, 2012 war es als Bandhaus für die Leipziger Musikerszene im Gespräch. Dass beide Male nichts draus wurde, lag, so antwortet nun Leipzigs Verwaltung auf L-IZ-Nachfrage, an den nötigen hohen Investitionskosten: “Das Objekt war über 10 Jahre zum Verkauf vorgesehen und wurde mehrfach ausgeschrieben, eine belastbare Weiternutzungsabsicht bestand aufgrund der hohen Investitionskosten nicht.”

Das hat auch 2012 die Pläne begraben, aus dem ein wenig abseits gelegenen Obbjekt ein neues Bandhaus für Leipzig zu machen – sehr zum Bedauern insbesondere der Linksfraktion. Und das hat nicht das Liegenschaftsamt allein beschlossen, sondern der gesamte Grundstücksverkehrsausschuss. Da sitzen aus allen Fraktionen Vertreter drin – elf Stadträte insgesamt. Dazu Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht (CDU), dem das Liegenschaftsamt unterstellt ist, als Vorsitzender. In welcher Konstellation dieses Gremium freilich entscheidet, das erfahren die Bürger nicht. Denn diese Tagesordnungspunkte sind allesamt nichtöffentlich, weil es zumeist auch um “Interessen Dritter” geht. Was da besprochen wurde, wird auch nicht als Protokoll veröffentlicht.

Aber auch die Friederikenstraße 37 war dort Thema. Mehrfach. Zuletzt im Juli 2014, als der Beschluss gefasst wurde, das Objekt an die KKS Project GmbH zu verkaufen.

“Die Entscheidung zum Verkauf der Friederikenstraße 37 wurde durch die Gremien (Grundstückverkehrsausschuss) und Gesamtverwaltung der Stadt getroffen, sie war keine Einzelentscheidung des Liegenschaftsamtes”, betont Leipzigs Stadtverwaltung auf Nachfrage. “Die Entscheidung zum Verkauf und damit gegen die Nutzung als Kulturstätte fiel vor allem vor dem Hintergrund des hohen Investitionsbedarfes bei einer Umnutzung.” Über diese Entscheidung zum “Bandhaus” wurde der Stadtrat am 23. Januar 2013 informiert.

Über den Verkauf entschied der Grundstücksverkehrsausschuss

Womit dann auch dieses Thema vom Tisch war. Der Bedarf an neuen Unterkünften für Asylbewerber stieg zwar in Leipzig seit 2013 spürbar. Aber die Friederikenstraße 37 kam damals für eine solche Unterbringung gar nicht in Frage, bestätigt nun die Stadt. Womit die Immobilie logischerweise wieder zum Verkaufskandidaten wurde. Denn was die Stadt nicht selbst nutzen kann, stößt sie ab, um mit den eingenommenen Geldern dann in Objekte zu investieren, die tatsächlich in naher Zeit gebraucht werden.

“Von der Verwaltung nicht genutzte Immobilien werden nach dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz veräußert, um den Ankauf anderer, dringender benötigter Flächen zu ermöglichen. Verkäufe folgen der Entscheidung zuständiger Gremien, hier des Grundstücksverkehrsausschusses, der diesen Beschluss in öffentlicher Sitzung gefasst hat”, betont die Verwaltung deshalb noch einmal. Die im Grundstücksverkehrsausschuss versammelten Stadträte wussten also Bescheid über den Verkauf. Und auch in die strategischen Ziele der Stadtentwicklung sei der Vorgang eingebunden gewesen, so die Verwaltung: “Strategische Planungen werden immer von der gesamten Verwaltung verfolgt. Das Objekt Friederikenstraße 37 befindet sich in einem Gewerbegebiet, eine Nutzung als Wohnobjekt war demnach nicht möglich, auch nicht als Unterkunft. Dies veränderte sich erst mit der Gesetzesänderung im 3. Quartal 2014. Zu diesem Zeitpunkt war der Verkauf durch den Grundstücksverkehrsauschuss bereits seit Monaten beschlossen.”

Womit zum ersten Mal erwähnt wird, warum es jetzt zu der scheinbaren Kommunikationspanne zwischen Stadt und Land kam: Eine Gesetzesänderung, die just wenige Wochen, nachdem Leipzig das Objekt in der Friederikenstraße verkauft hatte, gültig wurde.

“Ein Missstand lässt sich insofern nicht erkennen, als bei Veräußerungsbeschluss eine Nutzung als Asylunterkunft baurechtlich nicht möglich war”, betont die Verwaltung deshalb.

Ein Gesetz verändert die Lage

Das Gesetz, das alles veränderte, war das “Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen”, das am 25. November 2014 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I S. 1748) veröffentlicht wurde und am 26. November in Kraft trat. Seitdem ist auch die Nutzung von Immobilien in Gewerbegebieten zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden möglich. Der Bundestag hatte dem Gesetz schon am 6. November zugestimmt. Der Bundesrat – von dem auch die Gesetzesinitiative ausging – hatte dem Gesetz schon am 19. September 2014 zugestimmt.

Zwischen dem Verkauf im Sommer 2014 und dem neuen Gesetz im November lagen also nur wenige Wochen. Am Ende hatte der Freistaat wohl die besseren Kondionen geboten. Leipzig hatte das Nachsehen.

Und trotzdem bleiben noch Fragen. Denn Leipzig hat ja sein Problem, die zunehmende Zahl an Asylbewerbern unterzubringen, damit noch nicht gelöst. Die 300 bis 350 Plätze in der Friedrikenstraße hätten die aktuelle Versorgungslücke von 600 wenigstens zum Teil gefüllt.

Gab es also wenigstens so eine Art Abstimmung zwischen dem Sächsischen Immobilienmanagement, das die Verhandlungen für den Freistaat führte, und dem Sozialdezernat der Stadt Leipzig?

Dazu geben wir die Antworten einfach mal so wieder, wie wir sie bekamen:

1. Hat die Stadt tatsächlich nichts von den parallelen Gesprächen des Freistaats mit dem Eigentümer gewusst? Oder ging die Kommunikation am Sozialdezernat vorbei?

Von Seiten des Freistaates wurde das Sozialamt nicht über anstehende Verhandlungen zu dem Objekt informiert.

2. Auf Landesseite war das SIB in die Verhandlungen involviert? Gab es tatsächlich keine Absprachen mit der Stadt? Oder gab es sie – und gab es eine entsprechende Stellungnahme der Stadt? Immerhin hatte sie ja selbst Interesse am Objekt.

Es gab von Seiten des Freistaates keine Absprachen mit dem Sozialamt zum Objekt. Infolgedessen konnte vom Sozialamt auch keine Stellungnahme abgegeben werden.

Das Bundesgesetzblatt zur Erleichterung der Schaffung von Asylbewerberunterkünften als pdf zum Download.

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Es gibt 2 Kommentare

Wenn die Investitionskosten so außerordentlich hoch waren, dass der Gebäudewert so negativ war (abrißwürdig???) dass der Grundstückswert laut Gutachten nicht mal erreicht werden konnte, wieso wurde dann dem Vermieter auferlegt das Gebäude in einen vermietbaren Zustand (unbestimmter Rechtsbegriff) zu versetzen.
Damit war zumindest ein n icht unerheblicher Gebäuderestwert vorhanden.
Die Stadt wollte einfach das Gebäude loswerden.
Außerdem ist m. E. die Frage ob die Stadt von den Verhandlungen wußte an die gesammte Stadt zu stellen. Das der SIB sich nicht mit dem Sozialamt abstimmt ist doch eigentlich klar.
Bei Gebäuden geht es ja überwiegend um die Nutzung und da gilt u. a. Baurecht.
Wußte den die Stadt wirklich nichts?
Im übrigen gebe ich Klaus Recht, die Gesetzesänderung ist nicht vom Himmel gefallen!
Das heißt der Verkauf hätte jederzeit gestoppt werden können.

Womit zum ersten Mal erwähnt wird, warum es jetzt zu der scheinbaren Kommunikationspanne zwischen Stadt und Land kam: Eine Gesetzesänderung, die just wenige Wochen, nachdem Leipzig das Objekt in der Friederikenstraße verkauft hatte, gültig wurde. “Ein Missstand lässt sich insofern nicht erkennen, als bei Veräußerungsbeschluss eine Nutzung als Asylunterkunft baurechtlich nicht möglich war”, betont die Verwaltung deshalb.

Herr Julke, bleiben Sie hartnäckig. Bis zur Beschlussfassung eines Gesetzes bedarf es eines Verfahren, welches sich nicht nur über Wochen, sondern meist über Monate bzw. Jahre erstreckt. Bezüglich dieses Gesetzes wird es nicht anders gewesen sein. Ich gehe zumindest von mehreren Monaten aus. Wie ich den Darlegungen entnehme, handelt es sich hier um ein Bundesgesetz. Damit werden sicher Zuarbeiten von den Bundesländer eingeflossen sein. Diese holen oftmals Meinungen von den Verwaltungen der größten Städte des jeweiligen Bundeslandes ein. Für mich wäre es damit logisch, dass zumindest in den obersten Bereichen der Stadtverwaltung Leipzig Informationen über dieses Gesetzesvorhaben angekommen sind. Vielleicht gibt es sogar einen oder mehrere Stellungnahmen an das entsprechende Ministerium des Freistaates zum Gesetzesentwurf.
Stellen Sie an die Stadtverwaltung deshalb noch folgende Fragen?

Hatte die Stadtverwaltung Kenntnisse über dieser Gesetzesänderung gehabt? In welcher Form? Gab es dazu Schriftverkehr? Wer hatte Kenntnisse über diesen Schriftverkehr? Darf dieser Schriftverkehr eingesehen werden?

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