Es war eine dieser ganz späten Entscheidungen in der letzten Marathonsitzung des Leipziger Stadtrates vor der Sommerpause am 8. Juli: Um 21.45 Uhr gab die Ratsversammlung ihre Zustimmung zur Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht für das Gebiet "Rolf-Axen-Straße/Baumannstraße". Ein Novum in der Leipziger Grundstückspolitik. Aber worum geht's da eigentlich? Das Grundstück liegt mitten im einstigen Arbeiterkiez Kleinzschocher.

Am vergangenen Mittwoch wurde es zusammen mit dem Gebiet „Westlich des Hauptbahnhofes, Teilbereich südlich der Parthe”, zur Abstimmung gebracht. Darüber hatten wir schon berichtet. Die Stadt sieht sich hier im Zugzwang, Bauflächen zu sichern, die man für den Bau eines dringend benötigten Gymnasiums im Leipziger Norden vorgesehen hat.

Auch in Kleinzschocher geht es um eine Schule, auch wenn die Pläne noch nicht so konkret sind. Seit 2012 hat die Stadt hier den Bau einer Grundschule vorgesehen.

“Die Stadt Leipzig beabsichtigt zur Realisierung eines Grundschulstandortes an der Rolf-Axen-Straße/ Baumannstraße die dafür erforderlichen Grundstücke von dem heutigen Eigentümer zu erwerben. Ein entsprechendes Angebot wurde der Stadt Leipzig durch den Eigentümer unterbreitet. Die erforderliche Erstvorlage wurde am 15.06.2015 durch den Grundstücksverkehrsausschuss bestätigt”, heißt es dazu in der Vorlage des Dezernats Stadtentwicklung und Bau, versehen mit dem Hinweis: “Eilbedürftig!”

Denn mittlerweile hat die Stadtentwicklung ein anderes Tempo angeschlagen, als es sich Verwaltung und Stadtrat in den vergangenen Jahren angewöhnt haben. Während die verschiedenen Gremien in einem oft über Monate gestreckten Verfahren über ein Angebot beraten, wie es in diesem Fall der Eigentümer der Flächen an der Rolf-Axen-Straße unterbreitet hat, sitzen die Besitzer der Grundstücke wie auf Kohlen und überlegen sich gleichzeitig, was sie mit dem Grundstück sonst noch anfangen können. Denn in einer wachsenden Stadt wie Leipzig haben sie mehrere Optionen. Und wer heute in den Wohnungsbau einsteigt, kann damit rechnen, dass er seine Wohnungen auch schnell vermietet bekommt.

Während der Grundstücksverkehrsausschuss noch beriet, lag längst schon ein neuer Antrag zu diesem Grundstück bei der Stadt vor: “Es wurde jedoch kurzfristig offenkundig, dass durch den Eigentümer neben einem möglichen Verkauf seiner Grundstücke an die Stadt Leipzig auch andere Optionen geprüft werden, da durch ihn am 19.05.2015 ein Antrag auf Bauvorbescheid mit der Fragestellung bei der Stadt Leipzig eingereicht wurde, ob auf den Grundstücken die Errichtung einer 4-geschossigen Wohnbebauung zulässig ist.”

Das nennt man denn wohl für das erst in weiterer Zukunft geplante Schulprojekt: “Gefahr in Verzug”.

Also wartete das Baudezernat nicht erst, bis aus dem Okay aus dem Grundstücksverkehrssausschuss vielleicht mal irgendwann ein Grundstückserwerb durch das Liegenschaftsamt wird, denn – siehe oben – das kann dauern.

Es nutzte kurzerhand ein Instrument, das der Stadt Leipzig eigentlich schon immer zur Verfügung stand – nur angewendet hat es niemand. Oft genug wirkte Leipzig in seiner Grundstückspolitik wie ein Kaninchen vor lauter Schlangen: Die anderen hatten die Grundstücke, die man selbst dringend brauchte – aber statt zuzuschlagen und das Vorkaufsrecht zu sichern, das ja nicht ohne Grund besteht, kniff man den Schwanz ein, floh und tat bedrückt.

Wahrscheinlich hat Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau dann irgendwann in einer Dezernentenrunde nur trocken gesagt: “Versteh ich nicht. Jede andere Stadt sichert sich ihr Vorkaufsrecht. Habt ihr kein Rückgrat?”

Und so kam es am 8. Juli dann zu der Doppelvorlage, die die Grünen entsprechend kommentierten: “Um die Grundstücke für Grundschulstandorte zu sichern, nutzt jetzt die Stadt ihr Recht auf Vorkauf vor dem Verkauf des Privatbesitzes an einen anderen privaten Erwerber. Wurde dieses Mittel in der Vergangenheit vor dem Amtsantritt von Baubürgermeisterin Dubrau – zuletzt beim Erwerb der Bahnschneise für den Elster-Saale-Radweg – immer als rechtlich nicht möglich zurückgewiesen, kommt dieses starke Mittel der Sicherung öffentlicher Interessen an den immer knapper werdenden Grundstücken nunmehr zum Zuge.”

Und nicht nur die Grünen stimmen zu, in beiden Fällen das Vorkaufsrecht zu sichern, 59 Stadträte hoben die Hand. Nur eine Gegenstimme gab’s. Womit nicht nur das Vorkaufsrecht gesichert ist, sondern auch die Sicherung der Fläche für den 2012 beschlosenen Zweck. Oder mit den Worten der Vorlage: “Aufgrund der für diese Grundstücke schon im Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 380 ‘Grüner Bahnhof Plagwitz’ formulierten Zielstellung (siehe Beschl.-Nr. RBV – 1476/12  der Ratsversammlung vom 12.12.2012), hier eine Gemeinbedarfsfläche (Schulstandort) zu entwickeln, wird die Stadt Leipzig je nach Erforderlichkeit von den Plansicherungsinstrumenten nach § 14 BauGB (Veränderungssperre) und § 15 BauGB (Zurückstellung) Gebrauch machen. Um dennoch auch kurzfristig in einem möglichen Verkaufsfall an einen Dritten handlungsfähig zu bleiben, ist es notwendig, dass der Stadtrat noch am 08.07.2015 über die Vorlage beschließt.”

Kaufen heißt dann freilich noch nicht bauen. Die Pläne für den Schulstandort südlich der Antonienstraße müssen noch entwickelt werden. Zur Zeit wird die Fläche noch als etwas rustikaler Park von den jüngeren und älteren Bewohnern der Umgebung genutzt.

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