Es ist bereits vorbei und die Spurensuche bei Ämtern, Beteiligten und Empörten ist eine mühsame. Mancher schweigt. Betrachtet man den Fortschritt der Planierungsarbeiten auf dem ehemaligen Vereinsgelände von Bar Kochba an der Dübener Landstraße, Ecke Delitzscher, dann ist ein eventueller Baustopp seitens des Leipziger Bauordnungsamtes vor allem eines – vergossene Milch. Zumindest aber die Überreste des Denkmals und der kleinen Mauer könnten gerettet werden, sofern sie im Laufe des heutigen Nachmittags nicht abtransportiert wurden. Teils uralter Baumbestand ist längst passé, der Schaden ist schon da.

Hinter den behördlichen Kulissen des Leipziger Bauordnungsamtes, der Denkmalschutzbehörden und des Grünflächenamtes herrscht bis heute eher die Überraschung und die Frage vor – wer macht da eigentlich einen großen Teil des Geländes und mit welchem Ziel unsicher? Vor Ort kann man erfahren: vier Besitzer teilen sich das Flurstück, alle vier sind mittlerweile bekannt, mindestens einer davon ist offenbar mit Beräumungsarbeiten in der rechtlichen Grauzone befasst. Denn laut Bauordnungsamt Leipzig schwebt seitens der sächsischen Denkmalpflege ein Prüfverfahren über der kleinen Mauer und dem umgebenden Ort, hier eventuell den Denkmalstatus einzuräumen.

Angestoßen wurde der Prozess vor nun 1,5 Jahren nach dem Fund der alten Mauer auch durch das Amt selbst – das Verfahren könnte also kurz vor der Entscheidung gestanden haben. Offiziell abgeschlossen ist dieses nach bisherigen Informationen noch nicht, was die Beräumung vor Ort in jedem Fall zum Streitfall machen dürfte.

Eine abschließende Auskunft war der Denkmalschutzbehörde Sachsens nicht möglich, da beide mit dem Verfahren befassten Personen erkrankt seien.

So richtig auf der Höhe des Gefechtes zeigte sich die Behörde von Amtsleiterin Heike Hellkötter seit Dienstagmorgen anfangs nicht wirklich. Erst fragten Stadträte seit Montag dieser Woche bereits verzweifelt herum, wem das fragliche Teilgelände an der Dübener Landstraße/Ecke Delitzscher denn nun nach einem Verkauf vor einem Jahr von Privat an Privat gehöre und erhielten keine Auskunft seitens der Stadt. Dann erfolgte am Mittwochmorgen, 2. März, eine Besichtigung des Geländes und eine Begutachtung der Arbeiten durch das Bauordnungsamt. Und noch immer hatte man da keine Ahnung, wem alle zugehörigen Teilstücke auf dem Gelände gehören und wer die Beräumungsarbeiten an der Mauer mit dem Davidstern veranlasst hatte.

Mindestens einer der dort herumwerkelnden Beteiligten hat sich dabei an die bekannten Spielregeln gehalten und vorab einen Bauantrag eingereicht und somit die Behörden informiert. Das Volkswagen-Autohaus am Gelände beackerte einen anderen Teilbereich, also nicht den, auf welchem sich der nunmehr zerstörte Gedenkstein und die Mauer mit dem Davidstern oder große Teile eines seitens des Grünflächenamtes als „Wald“ deklarierten Gebiets befanden. Aus dem Bauordnungsamt Leipzig heißt es dazu heute: „Dem Amt für Bauordnung und Denkmalpflege liegt ein Bauantrag auf dem Flurstück 367/16, Gemarkung Eutrizsch vor. Eine Teilbaugenehmigung wurde am 08.02.2016 erlassen. Der dazugehörige Bauvorbescheid datiert aus dem Jahr 2014.“ Hierzu habe die Behörde „für das Vorhaben (…) die Teilbaugenehmigung für die Beseitigung des auf dem Grundstück befindlichen Erdwalls erteilt.“

Demnach dürften ein Teil der Bäume auch diesen Maßnahmen zum Opfer gefallen sein.

Alle anderen Aktivitäten auf dem Gelände, hier unter anderem das anliegende Flurstück 367/13 sowie 367/10 und weitere seien mit der Baubehörde nicht abgestimmt. Laut L-IZ-Informationen liegt kein Bauantrag für dieses Gelände vor, als Besitzer ist eine Immobilien- und Bauholding angegeben. Während demnach das Autohaus voraussichtlich einen Parkplatz in der Größe von rund 3.500 Quadratmetern bauen möchte, ist zum restlichen Gelände – immerhin weitere 16.000 Quadratmeter – unbekannt, in welchem Umfang hier Beräumungen und unter welcher Prämisse stattfinden.

Die Trümmerreste am 2. März 2016. Foto: Privat
Die Trümmerreste am 2. März 2016. Foto: Privat

Die schweigsame Bauholding

Die „northgate enterprises group“ ist in die Arbeiten vor Ort involviert. Hier verteilen Bauarbeiter auf Nachfragen zu dem Auftraggeber der aktuellen Räumungsarbeiten Visitenkarten dieser Firma. Die Firmen-Gruppe besteht unter anderem aus der Messeblick Leipzig GmbH, der Bayrisch-Sächsischen Gesellschaft für Herbergen und Liegenschaften mbH und der ARTCAS Invest GmbH. Auf Nachfrage verweigerte heute ein führender Mitarbeiter jede Klarstellung zum Vorgang selbst, eine namentliche Nennung verbat er sich. Auf die telefonische L-IZ-Anfrage reagierte er mit Unverständnis. Man sei nicht im Bilde, was da laufen würde, hätte sich jedoch eine „Vertretung gesucht“, um am morgigen 3. März eine Pressemitteilung herauszugeben. Auch, ob es sich überhaupt um die eigenen Liegenschaften handeln würde, sei nicht klar.

Die in Vorbereitung befindliche Anfrage seitens des Bauordnungsamtes jedoch sollte das Unternehmen dann in jedem Fall beantworten. Planen entweder die „northgate enterprises group“ oder weitere Partner nämlich in absehbarer Zeit etwas auf ihrem Areal zu bauen, muss ein Antrag dazu erfolgen. Ob die Firma im Auftrag des VW-Autohauses handelt, ist ebenfalls unklar. Wollte man bei der Beräumung des Mauerstücks einfach nur einen freien Blick übers Gelände Richtung Horizont ohne Bauvorhaben sicherstellen, um den Sonnenuntergang zu genießen, dann wäre der Vorgang „verfahrensfrei“. So der Fachterminus seitens des Bauamtes für: kein Antrag nötig, die Mauer ein Kollateralschaden, bei welchem ein Bußgeld zu prüfen ist.

Interessant bei der dann anstehenden Bemessung des Schadens auch die Frage, ob die beteiligten Unternehmen und Personen von dem Denkmalschutzverfahren wussten oder nicht. Zufall oder absichtsvolles Handeln würden hier durchaus einen Unterschied machen.

Wäre da noch die Sache mit dem Wald

Schnell und präzise wurden in den vergangenen 14 Tagen alte Bäume rechtzeitig vor der jährlichen Sperrfrist, 1. März, umgehauen, der Boden plan gemacht und die Erinnerungen an den jüdischen Sportverein Bar Kochba zerstört. Am 2. März war nun Abtransporttag, Bäume und Schutt wurden vom Gelände gefahren. Ein Baustopp dazu sei praktisch nur möglich, wenn auch ein Bauantrag vorliege, so das Bauordnungsamt gegenüber L-IZ.de – dieser existiert für das Teilstück mit der Mauer jedoch offenkundig nicht. Es handele sich demnach um nicht genehmigungspflichtige „Erdarbeiten“.

Nun ist eine saubere Baufläche ohne Bäume, ohne Erinnerungen und mit getilgter Restgeschichte entstanden. Laut Informationen aus dem Leipziger Grünflächenamt handelte es sich bei den dortigen Flurstücken um ein als „Waldgebiet“ deklariertes Areal. Zur Beseitigung dieses 1922 gepflanzten Waldstückes sei mindestens ein Antrag beim städtischen Forstamt notwendig. Zudem müssten die tätig gewordenen Unternehmen einen Ausgleich für die gefällten Bäume schaffen – entweder durch neue Anpflanzungen oder eine ausgehandelte Geldsumme zur Regulierung.

Ob solche Anträge an das Forstamt gestellt wurden, war heute nicht mehr zu erfahren.

Klar hingegen ist derzeit: Genehmigungen für die Erdarbeiten, Mauerberäumung und sonstige Arbeiten hat man sich seitens der „northgate enterprises group“ bei der Stadt nicht eingeholt, hier war der Name unbekannt. Erst am heutigen 2. März 2016 fand sich ein Mitarbeiter der Behörde vor Ort ein und musste laut L-IZ-Informationen vor Zeugen zum strittigen Teilstück konstatieren: Mindestens das Teilstück mit der kleinen Sichtschutzmauer und dem Davidstern sowie der Gedenkstein hätten wohl vorerst noch stehen bleiben müssen. Es sei denn, den handelnden Personen liegt ein Bescheid von der sächsischen Denkmalbehörde vor, auf welchem steht: kann weg.

Während man in der Stadtverwaltung nun eine Menge Fragen hat, haben Personen vor Ort Tatsachen geschaffen. Die wichtigste Frage lautet wohl: Warum gerade jetzt?

Wie immer bei intransparenten Vorgängen schießen vor Ort längst die ersten Gerüchte ins Kraut. Es solle eventuell einen Neubau geben, welcher zumindest zeitweilig als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden könnte. Ein Gerücht zwar, aber ein hartnäckiges. Die letzten Reste des jüdischen Sportvereins Bar Kochba jedenfalls waren einmal: Nun bleibt vielleicht noch, irgendwann in der Nähe eine Erinnerungstafel anzuschrauben.

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Keine Kommentare bisher

Wenn diese völlig ungenutzte Brachfläche inmitten der Stadt einer Nutzung zugeführt wird, ist das zu begrüssen.
Wenn ein kleiner Park daraus würde – was nicht passieren wird – wäre es noch schöner.
Bzgl. des Baumbestandes gibt es klare Nachpflanzungsregelungen. Ich hoffe die wahrscheinlich gewerbliche Nutzung der Fläche belebt den Stadtteil.
Die Korrelation zur jüdischen Vergangenheit und deren (in diesem Fall eben nicht schützenswerte?) Bedeutung scheint mir konstruiert.

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