Selbst wenn sich konservative Politiker das nur zu sehr wünschen und brave Bürger Beifall klatschen, wenn sich die Polizei mal eine etwas störende Bevölkerungsgruppe genauer vorknöpft - wenn es keinen begründeten Verdacht auf Straftaten gibt, ist das selbst dann unrechtmäßig, wenn die Polizei extra Kontrollbereiche einführt. So wie in Connewitz. Nur als Beispiel.

Dass das so sein könnte, war bis zur Anfrage der seinerzeit frisch in den Landtag gewählten Abgeordneten der Linken Juliane Nagel an den kontrolleifrigen Innenminister gar nicht so klar. Sie fragte nicht nur nach der Zahl der in Leipzig eingerichteten Kontrollstellen und den erfolgten Kontrollen, sondern auch nach dem Erfolg und den nachgewiesenen Straftaten. Und viel Sinnvolles ist nicht herausgekommen dabei. Eher scheint die Maßnahme dann doch eher ein verunglückter Erziehungsversuch zu sein – und eine Art Beruhigungspille für all jene, die die Welt am liebsten aus der Sofa-Perspektive betrachten.

Durch sächsische Gesetze war das Ganze auch nicht gedeckt, denn die zitierten „Verdachtsunabhängigen Kontrollen“ sind lediglich für die „Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität“ vorgesehen. Seit Abschaffung der Grenzkontrollen ermöglichen sie der Polizei im grenznahen Bereich von 30 Kilometern, wenigstens stichprobenartige Identitätskontrollen durchzuführen.

In Sachsens Großstädten darf das Instrument gar nicht angewandt werden, das steht nun mit dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichtes Leipzig vom 14. Januar 2016 (Az.: 3 K 1994/14) fest.

Danach war eine verdachtsunabhängige Kontrolle durch die Polizei auf einer Straße mit angeblich erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität rechtswidrig, stellt die im Leipziger Süden direkt gewählte Landtagsabgeordnete Juliane Nagel fest.

„Verdachtsunabhängige Kontrollen durch die Polizei waren und sind insbesondere in den südlichen Ortsteilen Leipzig-Connewitz und Südvorstadt gang und gäbe“, sagt die Abgeordnete. „Mit einer Kleinen Anfrage (Landtags-Drucksache 6/258) vom Dezember 2014 fand ich heraus, dass die entscheidende Rechtsgrundlage dafür nicht etwa § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Sächsisches Polizeigesetz (Kontrollbereiche), sondern § 19, 1 Satz 1 Nr. 5 Sächsisches Polizeigesetz (Straßen von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität) war.“

In den Jahren 2013 und 2014 wurden nach Ulbigs damaliger Auskunft insgesamt 17 Straßen im Stadtbezirk Süd ausgewiesen, in denen die Kontrollkompetenz der Polizei aufgrund dieser zweifelhaften Rechtsgrundlage erweitert wurde, um vorgeblich besonders schwerem Diebstahl, vor allem an/aus bzw. von Kfz (Schwerpunkt: Navigationsgeräte), und Betäubungsmittelkriminalität beizukommen.

Und dann wird es ganz dünn, denn: „Grundlage sind nach dem Innenministerium ‚Erkenntnisse … aus der polizeilichen Lage‘. Auf die Frage, zuletzt Landtags-Drucksache 6/4032, nach tatsächlich durchgeführten Kontrollen und Ergebnissen wurde vom Innenministerium immer wieder darauf verwiesen, dass keine Statistiken geführt werden.“

Da richtet die Polizei also extra Kontrollbereiche ein, um einer extra definierten Liste von vermuteten Straftaten auf die Spur zu kommen – und dann gibt es zu den Ergebnissen nicht mal eine Statistik. Das riecht doch sehr nach einer reinen Beschäftigungs- und Einschüchterungsmaßnahme, die mit normalen Polizeistreifen auch hätte abgewickelt werden können. Mit der verdachtsunabhängigen Kontrolle wurden eindeutig gesetzliche Grenzen überschritten.

Mit dem Urteil vom Januar befand das Verwaltungsgericht Leipzig nun deutlich, dass diese Praxis rechtswidrig ist.

Juliane Nagel verweist dabei auch auf ein Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshof vom 10. Juli 2003 (Az.: Vf. 43-II-00). Dieses schreibt – genau wie auch die Verwaltungsvorschrift „Verdachtsunabhängige Kontrollen“ vom 21. Juli 2004 – vor, dass es eines vorab zu dokumentierenden polizeilichen Konzeptes und schriftlich festgehaltener Lageerkenntnisse bedarf, die die Einstufung als „Straße von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität“ belegen.

Aber grenzüberschreitende Kriminalität in Connewitz? Deutlich mehr als 30 Kilometer von der nächsten Grenze entfernt?

„Zudem besteht Berichtspflicht über durchgeführte Kontrollen. Diese Anforderungen werden von der Polizei offensichtlich seit mehr als zehn Jahren missachtet, auch vom derzeitigen Dienstherrn, Innenminister Markus Ulbig, gedeckt“, stellt die Abgeordnete trocken fest. „Das Verwaltungsgericht gab mit seinem Urteil der Klage einer in Connewitz wohnhaften Person statt, die von polizeilicher Identitätsfeststellungsmaßnahme betroffen war. Ich freue mich über das Urteil. Es bestärkt unsere Auffassung, dass ereignis- und verdachtsunabhängige Kontrollen durch die Polizei im Leipziger Süden und anderswo oft willkürlich sind. Erweiterte Kontrollbefugnisse der Polizei an bestimmten Orten, wie auch an eigens eingerichteten Kontrollbereichen, sind anzuzweifeln. Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen ohne konkreten Verdacht sind Grundrechtseingriffe. Das Urteil zeigt: Es lohnt sich dagegen vorzugehen.“

Und es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob der immer wieder gleiche Ruf nach mehr Polizeikontrolle nicht eben doch nur ist, was zu erwarten war: Ein Placebo für aufgeregte Bürger, die die Welt zumeist nur aus TV und Zeitung kennen. Oder um einmal Christin Melcher von den Grünen mit einem Kommentar zum Kontrollbereich Eisenbahnstraße zu zitieren: „Kontrollbereiche sind lediglich Symbolpolitik, sie ändern an der Situation vor Ort nichts, das Sicherheitsempfinden steigt dadurch nicht, auch die Kriminalität wird nicht weniger, sondern sie verlagert sich. Bürger im Leipziger Osten beklagen vermehrt die Verlagerung von Drogenkonsum und -handel in Wohnhäuser und Keller. Organisierte Kriminalität verlagert sich in nicht kontrollierbare Bereiche.“

Die lapidare Antwort von Markus Ulbig zu Ereignisfeststellungen in Kontrollbereichen.

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