So ein wenig weiß man es auch in der Leipziger CDU-Fraktion, dass die Stadt mit Großprojekten so ihre Probleme hat. 150 Millionen Euro schieben die Leipziger Planer vor sich her, Geld, das längst bewilligt ist, was aber nicht verbaut werden kann, weil Kapazitäten, Planungen oder Genehmigungen fehlen. Da ist es schon mutig, vorm Leipziger Hauptbahnhof eine Troglösung für den Kfz-Verkehr vorzuschlagen.

Logisch ist der Schritt. Denn nirgendwo am Leipziger Innenstadtring geraten so viele Verkehrsarten gleichzeitig in Konflikt wie an dieser Stelle. Alle Verkehrsteilnehmer fluchen: Fußgänger, Radfahrer, Straßenbahnnutzer, Kraftfahrer. Die einen stehen im Stau an einer ganzen Kette von Ampeln. Im Feierabendverkehr beginnt das Stop-and-Go schon in der engen Jahnallee, pflanzt sich über den Goerdelerring und die Großkreuzung Gerberstraße bis zum Hauptbahnhof fort. Straßenbahnen bleiben stecken und sorgen ihrerseits für einen Straßenbahnstau und für mittlerweile sehr aggressive Zustände auf völlig überfüllten Bahnsteigen. Was 2005 als zukunftsweisende Lösung fürs Leipziger Verkehrssystem gefeiert wurde, erweist sich schon elf Jahre später als völlig ungenügend. Und dabei hat der Leipziger ÖPNV nicht einmal die Zuwachsraten aus der Bevölkerungsentwicklung.

Sonst würde das heruntergesparte System wohl stundenweise einfach in die Knie gehen.

Um es leistungsfähiger zu machen, muss unbedingt die Situation am Leipziger Innenstadtring geändert werden. Der erstaunliche Sommer-Workshop Dresdener Studenten hat es unverhofft an den Tag gebracht. Und die Fraktionen diskutieren.

Vorschläge gab es schon von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Linkspartei. Einige Vorschläge nahmen gleich den ganzen Ring unter die Lupe, ließen auch die mangelnde Durchlässigkeit für den Radverkehr nicht außen vor. Die CDU-Fraktion wollte nicht gleich den ganzen Ring untertunneln, wie es die FDP wieder vorschlug. Sie hat sich um die engste Stelle im Flaschenhals gekümmert: die am Hauptbahnhof. Dort, wo vor allem FußgängerInnen und Fahrgästen der LVB zu wenig Platz eingeräumt wird, während der Kfz-Verkehr über sieben eigene Spuren verfügen kann. Einen durchgängigen Radweg gibt es auf der Nordseite des Promenadenrings bis heute nicht.

Um die Sache zu entschärfen, schlug die CDU-Fraktion eine Troglösung für die nördlichen Fahrspuren zwischen Hauptbahnhof und LVB-Haltestelle vor.

Tino Supplies, Verkehrsexperte des Ökolöwen, freut sich über das neue Problembewusstsein, zeigt sich allerdings verwundert darüber, dass nun gerade die CDU mit einem Betontrog vor dem Hauptbahnhof den mit Abstand teuersten Vorschlag aller Fraktionen eingebracht hat: „Solch ein Betontrog ist ein millionenteurer Griff in die Mottenkiste der 60er Jahre, der die Probleme für viel Geld nur an die Ein- und Ausfahrten des Trogs verlagert, statt sie zu lösen.“

Aber das größte Hindernis sieht er da, wo die Stadt nun schon seit Jahren ihre Probleme hat: Bauprojekte solcher Größenordnung auch nur in überschaubaren Fristen finanziert zu bekommen und dann auch noch umzusetzen. Und die Diskussion um den Innenstadtring ist ja deshalb so feurig, weil die Zeit drängt. Für Lösungen gibt es hier eigentlich keine zehn Jahre Zeit mehr.

Während der mehrjährigen Bauzeit müssten weite Teile des nördlichen Rings gesperrt und der Straßenbahnverkehr gekappt werden, benennt Supplies ein weiteres Problem. Andere wichtige Verkehrsprojekte, wie der Ausbau des ÖPNV sowie des Rad- und Fußverkehrs, die Sanierung desolater Straßen oder der Erhalt von Brücken in den Ortsteilen, müssten auf Eis gelegt werden, weil der Trog ein Großteil der vorhandenen Finanzmittel bindet. Städtebaulich ist dieser Vorschlag mehr als unvorteilhaft und schadet dem Stadtbild rings um den Hauptbahnhof.

Er benennt dann auch den Handlungszeitraum, der Leipzigs Planern tatsächlich zur Verfügung steht, wenn sie hier einen Verkehrskollaps vermeiden wollen. Supplies empfiehlt das Augenmerk auf Lösungen zu legen, die in einem überschaubaren Finanzrahmen in den nächsten drei bis fünf Jahren die Situation für die Kunden der LVB vor dem Hauptbahnhof verbessern und das gesamte Umfeld stadtgestalterisch aufwerten.

„Da sehe ich die besseren Argumente derzeit eher bei den anderen großen Stadtratsfraktionen“, schätzt Supplies ein. „Wir können an der Stelle nicht auf Millionenprojekte warten, die wenn überhaupt erst weit nach 2030 zum Tragen kommen und in ihrem tatsächlichen Nutzen zweifelhaft bleiben. Wir brauchen im nächsten Jahr eine vertiefende Diskussion der Fachleute und dann eine zeitnahe Umsetzung.“

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