Im Hause LVZ kann man irgendwie nicht anders: Wenn ein Thema nach Aufregung und Streit riecht, dann wird es gehypt, bis die Zähne knirschen. So war es beim jüngsten Vorstoß der Stiftung Friedliche Revolution zum Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal, in dessen Kuratorium der OBM sitzt. Der auch gleich eine hübsche Idee hatte, wo man den neuen Gedächtnisort platzieren könnte: auf dem Matthäikirchhof.

Das ergab dann gleich mal wieder eine große Geschichte – und entsprechend Verärgerung bis in den Stadtrat. Denn weder hat der Stadtrat bislang einem Neustart des Verfahrens zugestimmt, noch gibt es eine belastbare Einigung, wo man gern ein Denkmal stehen haben möchte. Oder ob man überhaupt eins braucht.

Die meisten Leipziger finden mittlerweile, dass man eigentlich keinen (weiteren) Gedenkort für die Friedliche Revolution braucht. Nur noch 37 Prozent der Befragten fanden in der Bürgerumfrage 2015 so einen Gedenkort wichtig oder eher wichtig, 40 Prozent fanden ihn hingegen unwichtig, 20 Prozent war es eher gleichgültig („teils/teils“).

Anders sieht es in der Stiftung Friedliche Revolution aus. Dort plädiert man mehrheitlich für die Umsetzung so eines Denkmals und lässt sich auch von den Berliner Ergebnissen und Kostensteigerungen nicht abschrecken.

Nach dem aufbrausenden Ärger hat die LVZ nun Burkhard Jung wieder zum selben Thema zu Wort kommen lassen. „Jung gibt Einheitsdenkmal in Hände der Bürgerrechtler“, titelte die Zeitung am Donnerstag, 9. März. Bis 2019 erwarte er einen neuen Anlauf. Das klang fast so, als wolle der Oberbürgermeister nun endlich aufhören, immer wieder vorzugeben, wie er sich die Sache mit dem Denkmal vorstellt.

Aber gleichzeitig hat er auch in diesem LVZ-Beitrag wieder seine Gedanken zum Thema geäußert. So ganz beiläufig.

Die stoßen nun in der Linksfraktion sauer auf. Denn der Matthäikirchhof, den Jung sich irgendwie als demokratischen Diskussionscampus vorstellt, ist das wertvollste Stück Grundbesitz der Stadt im City-Ring, das noch bebaut werden kann. Doch jedes Mal, wenn verschiedene Fraktionen Anträge stellten, welche soziale Infrastruktur hier entstehen könnte (von Kita bis Schule) gab es das störrische „Nein“ aus der Verwaltung. Das ginge nicht. Das Plätzchen sei zu wertvoll.

Umso grimmiger reagiert jetzt die Linksfraktion auf Jungs Vorstellung, die bislang mit dem Stadtrat nicht mal besprochen ist.

„Die Stadt und ihr Zentrum ist auch für den Oberbürgermeister kein Selbstbedienungsladen“, kommentiert Siegfried Schlegel, Sprecher für Stadtentwicklung der Linksfraktion, diesen neuen Vorstoß via LVZ: „Ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig hat nur dann auch in Zukunft eine Chance, wenn das Projekt von der breiten Bürgerschaft mit umfangreicher Öffentlichkeitsbeteiligung getragen wird und nicht nur von ‚mehreren Bürgerrechtlern als Vertreter der Zivilgesellschaft‘.“

Womit Burkhard Jung ja wieder ein spezielles Gremium benannt hat, das die Sache deichseln soll – diesmal also die Stiftung Friedliche Revolution.

Aus Sicht von Siegfried Schlegel ist das wieder keine breite Bürgerbeteiligung.

Er kann auch keine Mitbestimmung erkennen, „wenn Oberbürgermeister Burkhard Jung eine kleine Gruppe von seinen Gnaden mit Stadtplanern als Erfüllungsgehilfen bildet, welche der Stadt ein Denkmal nach eigenem Gutdünken verordnet. Selbst der Stadtrat ist derzeit ausgeblendet, der bei einem solchen Vorhaben ob seiner politischen Bedeutung und Größe zu beteiligen ist. Obwohl der Standort offen sein soll, wird versucht, alle Aktivitäten auf den Matthäikirchhof zu lenken und eine große Geste zu inszenieren.“

Er hinterfragt auch, ob Leipzig nun wirklich eine neue Denkmaldiskussion braucht. Immerhin ist jetzt wieder das Ziel ausgegeben, zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution im Jahr 2019 den Grundstein fürs Denkmal legen zu wollen.

„Die wirklich aktuellen Probleme wie fehlende Einkommens- und Renteneinheit auch der Leipziger an die im Westen, immer mehr ausgehöhlter Datenschutz, fehlende Schulen und Kitas böten reichhaltige Inhalte für Bürgerrechtler im laufenden Bundestagswahlkampf“, stellt Schlegel fest. „Fast könnte man meinen, die Denkmaldebatte zum jetzigen Zeitpunkt soll als Opium für das Volk dienen. Aktuelle Interviews auf Leipzigs Straßen und im Internet zeigen vielmehr, dass ein weiteres Denkmal neben den vorhandenen und den authentischen Orten derzeit kein Thema ist.“

Er wünscht sich mehr Sachpolitik als Symbolpolitik. Eben auch in Bezug auf den Matthäikirchhof, wo die Linksfraktion sich sehr gut eine neue Schule in zentraler Lage vorstellen kann.

„Zu den drängenden Problemen in unserer Stadt zählt neben einer unzureichenden Anzahl an Kitaplätzen fehlende Schulen. Es mangelt an Interimsschulen in verkehrsgünstiger Lage. Dabei bietet ein multifunktionaler Schulstandort auf dem Matthäikirchhof eine ideale Verkehrsanbindung, da das Stadtzentrum mit fast allen Straßenbahnlinien direkt ohne Umsteigen erreichbar ist“, stellt der Linke-Stadtrat fest. „Es ist das letzte größere Bauareal innerhalb des Zentrumsringes. Deshalb schlug die Linksfraktion in einem Antrag bereits 2014 vor, dass die Stadtverwaltung die Einrichtung eines Grund- bzw. weiterführenden Schulstandortes auf dem Areal Matthäikirchhof zwischen Ringgrün und Großer Fleischergasse prüft.“

Innerhalb des Stadtzentrums sowie unmittelbar angrenzend gebe es derzeit keine Grund- bzw. weiterführenden Schulstandorte wie Oberschulen oder Gymnasien.

„Im Rahmen des Wettbewerbsverfahrens zum Richard-Wagner-Denkmal war durch die Jury empfohlen worden, einen platzwandartigen Hintergrund zu schaffen“, erinnert Schlegel. „Möglicherweise könnte gerade eine Schule mit einem entsprechend musischen und oder sprachlichen Profil, einschließlich des Schulnamens ‚Richard Wagner‘, würdig neu verortet werden. Eine auch zeitweilig als Interim dienende Schule ist dringender denn je, wird doch vor allem dort von den Schülerinnen und Schülern Freiheit und Demokratie gelernt und gelebt.“

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