Mit der Faninitiative Bunte Kurve und dem Verein Roter Stern kommen zwei Julius-Hirsch-Preisträger aus Leipzig. Namenspatron des vom Deutschen Fußball-Bund vergebenen Preises für Toleranz ist der Ausnahmestürmer und Fußball-Nationalspieler Julius Hirsch (1892 - 1943/45). Ein L-IZ-Interview mit Adam Bednarsky vom Roten Stern.

Julius Hirsch war ein typischer Vertreter der frühen Fußballer-Generation in Deutschland: Kaufmannssohn, mittlere Reife, kaufmännische Lehre, Angestellter, später unternehmerisch tätig. Ein Arbeitersport wurde der Fußball in Deutschland, wenn überhaupt, erst eingeschränkt und später.

Der Journalist Werner Skrentny verweist in seiner jüngst erschienenen Biographie “Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet” auf den bildungsbürgerlichen Hintergrund vieler Fußballpioniere. Zugleich erinnert er an das Schicksal vieler Aufbauhelfer aus dem “Mutterland des Fußballs”, England. Sie wurden nach Kriegsausbruch 1914 auf dem Gelände der Trabrennbahn Ruhleben in Berlin interniert.

Hirsch war von August 1914 bis November 1918 Soldat, wohl auch aus “vaterländischer” Überzeugung.

Bereits als Schüler schloss sich Hirsch 1902 dem Karlsruher FV an. Beim gleichen Verein beendete er 1924, nach einem Intermezzo bei der Spielvereinigung Fürth, auch seine sportliche Karriere.

Doch Julius Hirsch war Jude. Ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurde der Antisemitismus in Deutschland gesellschaftsfähig, während der NS-Diktatur offizielle Staatsdoktrin mit mörderischen Folgen.

Bereits im April 1933 trat Hirsch aus dem KFV aus. Der Alt-Internationale zog damit die Konsequenz aus der Selbstgleichschaltung des deutschen Fußballs, in dessen Vereinen Juden nicht mehr Mitglied sein durften. Alsbald wurden jüdische Nationalspieler aus den Annalen und Jubiläumsbüchern des DFB getilgt.

Auch an eine dauerhafte Beschäftigung war nach den Regelungen der NS-Rassegesetze nicht mehr zu denken. Von 1939 an musste Hirsch auf einem städtischen Schuttplatz zwangsweise für seine Heimatstadt Karlsruhe arbeiten.

Eine besonders tragische Wendung nimmt Hirschs Leben 1942: Um die gemeinsamen Kinder vor rassistischer Verfolgung zu schützen, klagt seine evangelische Ehefrau auf Scheidung der Ehe. Dem folgt das Gericht. Im März 1942 muss Julius Hirsch in ein so genanntes Judenhaus umziehen. Im März 1943 schließlich folgten Deportation und Tod im KZ Auschwitz.Hirschs Tochter Esther begleitete am 1. März 1943 ihren Vater zum Karlsruher Bahnhof. “Arbeitseinsatz im Osten” war der vorgebliche Bestimmungsort. Esther Hirsch und ihr Bruder Heinold werden als so genannte Geltungsjuden kurz vor Kriegsende nach Theresienstadt deportiert, Davor kann sie auch eine zwischenzeitlich empfangene Taufe nicht schützen.

In Theresienstadt werden die Geschwister von der Roten Armee befreit und bauen sich in Karlsruhe gemeinsam mit ihrer Mutter eine neue Existenz auf.

Werner Skretny beschreibt in seiner Hirsch-Biographie, in welche Todesspirale die Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger in Deutschland mündete.

Seit 2005 verleiht der Deutsche Fußball-Bund den Julius-Hirsch-Preis. Damit verbindet der größte Sportfachverband der Welt die Aufforderung an seine gut 6,8 Millionen Mitglieder, “sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen auf dem Fußballplatz, im Stadion und in der Gesellschaft zu stellen”. Mit dem Preis will der DFB zugleich das Engagement der Vereinsmitglieder, Fans, Freunde und Anhänger, “verstanden als Arbeit für den Frieden in der Gesellschaft”, unterstützen und fördern.Seit 1999 tritt man beim Roten Stern Leipzig gegen den Ball, von Anfang an mit dezidiert gesellschaftspolitischem Anspruch. Mit ihrem Einsatz gegen Neonazismus und Diskriminierung haben sie sich in der Fußballszene lange als “Schmuddelkind” fühlen müssen, meint RSL-Geschäftsführer Adam Bednarsky. Durch die Auszeichnung mit dem Julius-Hirsch-Preis 2010 sei man fast schon so etwas wie ein “Vorzeigeprojekt” geworden.

“Einerseits ist es natürlich schön, wenn von offizieller Seite unsere Arbeit gewürdigt wird”, so Bednarsky weiter, “anderseits ist es im Alltagsgeschäft noch nicht so weit, dass unser Engagement überall akzeptiert wird.” Seit Sommer 2011 spielt das erste Team des Vereins aus dem Leipziger Süden in der Leipziger Bezirksliga. Dort trifft es wegen seines gesellschaftspolitischen Engagements auswärts nicht immer nur auf freundlichen Empfang. Ein Interview:

Herr Bednarsky, vor zwei Jahren wurde RSL mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet. Das gesellschaftspolitische Engagement Eures Vereins ging ja weiter. Worauf habt Ihr in den letzten beiden Jahren besonderen Wert gelegt?

Trotz des öffentlichen Renommees, das unsere Arbeit erhalten hat, konnten wir in den letzten Jahren die Arbeit nicht im gewünschten Maße leisten, wie wir uns das vorgestellt haben. Das lag in erster Linie an den schwierigen finanziellen Rahmenumständen, die sich eng an die so genannte “Demokratieerklärung” anlehnen, die wir grundsätzlich kritisch sehen und daher gegebenenfalls als Projektträger nicht unterzeichnen würden.Dennoch waren wir nicht untätig. Wir referieren viel über Fußball und Diskriminierungen, touren erfolgreich mit unserer Ausstellung “Strafraum Sachsen” durch die Lande und versuchen unser im Ehrenamt mögliches. Diesbezüglich ist die Resonanz ungebrochen und wir sind in die IVF – die Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball. Ein klasse Team, das noch viele Ideen hat.

Aktuell betreiben wir auch in unserem Verein eine kleine Nabelschau und befragen unsere Mitglieder nach Themen wie Diskriminierung und Gewalt. Ergebnisse dieser Arbeit können wir im Herbst dieses Jahres einer geneigten Öffentlichkeit präsentieren.

In dieser Spielzeit trat die erste Mannschaft von RSL in der Bezirksliga Leipzig an. Wie sind dort Eure alltäglichen Erfahrungen als Verein, der ganz bewusst eigene Akzente setzt?

Das ist schwer pauschal einzuschätzen, da jeder in unserem Verein, seien es die Fans oder Aktiven, eine eigene Einschätzung besitzt. Persönlich bin ich mal vorsichtig optimistisch, was die Gegenwart betrifft. Wir treffen nicht selten auf eine gewisse Skepsis, die nach den ersten Kontakten verfliegt.

Größere Probleme gab es mit gewissen Einheiten der Polizei, die es beispielsweise in Borna vorzogen, unsere Fans am Einlass zu schikanieren, als 30 Neonazis im Stadion, die direkt hinter der Sterne-Auswechselbank agierten, zu beachten.

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Dennoch ist die Präsenz der Polizei leider immer noch wichtig und sorgt zumindest dafür, dass die Spiele in geordneten Bahnen verlaufen. Was uns besonders gefreut hat, war die gemeinsame Aktion gegen Neonazismus und Rassismus mit dem Verein Mügeln-Ablass. Es ist ermutigend, wenn lokale Akteure aus ländlichen Regionen wie dieser Verein mit uns gemeinsam ein Zeichen setzen.

Was ist Euch neben dem Wettstreit um das runde Leder als Verein weiter wichtig?

Das ist schwierig zu beantworten. Das gesellschaftliche Engagement ist für unseren Verein konstituierendes Moment und ein klares Alleinstellungsmerkmal. Weiterhin sind wir bestrebt, unsere Infrastruktur sukzessive zu verbessern, was aktuell im Bau eines Umkleide- und Sozialtrakts mündet. Da wird viel Unterstützung benötigt.

Zentral ist und bleibt der Aufbau der Jugendabteilung. Im Jahr 2013 wollen wir in allen Altersklassen die kleinen Sterne zaubern sehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Werner Skrentny “Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet. Biografie eines jüdischen Fußballers”, ISBN: 978-3-89533-858-8, Verlag “Die Werkstatt”, Göttingen

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