Manchmal überkommt den Tanner die Wut. Ganz besonders nach Zusammentreffen mit gefühllosen, angsterfüllten Hiesigen, die unreflektiert und unzivilisiert Dummes krakeelen, Rassistisches von sich palavern und ihrer ekelerregenden Menschenfeindlichkeit freien Lauf lassen. Das geschieht leider derzeit oft. Selbst dann nicht zu verhärten und weiter ein guter Vater mit positiven Ideen zu sein, ist schwierig. Manchmal helfen Begegnungen. Wie hier mit Helena und Rowena.

Guten Tag Helena und Rowena. Schön, Euch zu treffen. Ihr seid gerade hier für die Initiative “Engagiert für Geflüchtete in Leipzig”. Was macht Ihr da so?

Helena: Unsere Initiative setzt sich auf vielfältige Weise für Geflüchtete in Leipzig ein. Dabei geht es uns darum, Geflüchteten das Ankommen in Leipzig zu erleichtern. Das kann man auf hundert verschiedenen Wegen und entsprechend unterschiedlich sind die Projekte, die wir anstoßen, begleiten und durchführen. Wir haben angefangen mit Deutschkursen, bieten mittlerweile Kinderbetreuung an und versuchen beispielsweise im Bündnis “Auf gute Nachbarschaft” Raum für Begegnungen zu schaffen und aktiv an einer Willkommenskultur mitzuwirken.

Ihr habt Euch begrifflich gewandelt, schließlich ist Sprache der Beginn aller Missverständnisse. Erst nanntet Ihr Euch: “Engagiert für Flüchtlinge”, jetzt “Engagiert für Geflüchtete”. Ich halte den Schritt für richtig gedacht. Warum war es nötig?

Rowena: Wir haben festgestellt, dass uns das Wort “Flüchtling” nicht mehr so leicht über die Lippen geht. Das hat verschiedene Ursachen, unter Anderem hat das Wort durch die verniedlichende Endung “-ing” eine seltsam verdinglichende Komponente. Die Tatsache, dass die Menschen, die hier herkommen, individuelle persönliche Hintergründe, eine eigene Bildungs- und Berufsgeschichte oder verschiedene politische Meinungen mitbringen, rückt durch die vereinheitlichende Bezeichnung “Flüchtling” in den Hintergrund. Der Begriff “Geflüchtete*r” bringt unserer Meinung nach noch am ehesten auf den Punkt, was die so bezeichneten Menschen verbindet. Das Einzige, was sie prinzipiell gemeinsam haben, ist der Umstand des “Geflüchtet-Seins”, nicht mehr und nicht weniger. Auch ist uns aufgefallen, dass andere Wörter mit “-ing” oft eine Tendenz zur Abfälligkeit haben, wie zum Beispiel Feigling oder Schwächling. Da wir Sprache für eine wichtige Handlungsbasis halten, haben wir uns für eine Namensänderung entschieden.

Wo kommt Euer Bedürfnis, Euch zu engagieren, her? Ihr könntet ja auch, wie die staatlich-geforderten und gehätschelten Konsumisten, einfach alle Fünfe grade sein lassen und der Dauerparty frönen. Was waren die auslösenden Momente?

Helena: Ich denke, das ist bei jedem anders und oft stehen sehr persönliche Gründe dahinter, warum man sich in einem bestimmten Bereich engagiert. Engagement grundsätzlich finde ich sehr natürlich. Solange ich von irgendetwas genug habe es zu teilen, wie etwa Zeit, tue ich das auch gerne. Und das meine ich nicht auf eine super altruistische Weise, denn man bekommt ja auch immer etwas zurück. Außerdem hat eben keiner von uns ein Recht auf seinen Wohlstand, niemand hat es sich verdient als “Deutsche_r” geboren zu werden. Entsprechend absurd finde ich es, das Ganze nicht teilen zu wollen mit Menschen, die schutzsuchend, aus welchem Grund auch immer, nach Deutschland kommen.

Rowena: Jeder Mensch hat ein Recht auf Perspektive. Die Erfahrung, aus einer Situation der Perspektivlosigkeit fliehen zu müssen und dabei mein Leben auf’s Spiel zu setzen, wie es gerade viele Menschen tun, entzieht sich völlig meiner Vorstellungskraft. Was ich mir allerdings vorstellen kann, ist, wie zermürbend es sein muss, in einem Land anzukommen und auf verschiedensten Ebenen auf ‘Unwillkommenheit’ zu stoßen. Die Gesten der ‘Unwillkommenheit’, so möchte ich sie mal nennen, sind nicht nur strukturell in der immer restriktiver werdenden europäischen Flüchtlingspolitik – ein System, in dem Menschen auf der Suche nach tragbaren Lebensumständen zu Verbrechern deklariert werden – veranlagt, sondern auch in den Köpfen vieler Menschen, die sich, weiß Gott warum, berechtigter fühlen, hier in Deutschland zu leben als Andere.

Die wöchentlichen Aufmärsche von PEGIDA/LEGIDA oder die Szenen, die sich aktuell vor der Gemeinschaftsunterkunft in Freital abspielen, sind meiner Meinung nach nur die extremen Ausbrüche einer tief verankerten feindseligen Grundgesinnung, die schon lange in den Köpfen der Menschen schlummert. Ich als Einzelperson kann im Moment nichts akut unternehmen, was diese Ausbrüche aufhält. Was ich allerdings versuchen kann und möchte, ist der ‘Unwillkommenheit’ direkt entgegenzusteuern und Gesten der ‘Willkommenheit’ zu etablieren, auf verschiedenen Ebenen. Ich denke, es dreht sich vieles um Gesten, da wir die Tendenzen der europäischen Grenzpolitik oder verankertes rassistisches Gedankengut – zumindest kurzfristig – nicht von dem einen auf den anderen Tag auflösen können.

Einige Geflüchtete haben mir von Begebenheiten erzählt, die ihnen in den ersten Tagen in diesem Land passiert sind, entscheidende Tage, in denen sich die Eindrücke der neuen Umgebung besonders einprägen. Es sind einzelne Ereignisse, kurze Begebenheiten, in denen der Rassismus durchbricht, wie ein kurzer Hieb in die Magengrube und einen in Gedanken nicht mehr loslässt. Ein paar offene oder freundliche Worte in der entscheidenden Situation können manchmal ein prinzipielles Grundgefühl in einer bestimmten Umgebung beeinflussen, so meine eigene Erfahrung. Ich denke, mit Gesten der ‘Willkommenheit’, wie auch immer die dann aussehen, ist es leichter möglich, eine gemeinsame Basis zu etablieren und eine Perspektive zu entwickeln.

Ihr seid ja eine studentische Initiative. Was studiert Ihr denn?

Rowena: Das ist bei uns ganz unterschiedlich, wir haben auch schon ein paar Berufstätige dabei. Ich zum Beispiel studiere Arabistik, was derzeit in der Arbeit mit Geflüchteten bei der Kommunikation praktisch sein kann. Ansonsten kommen wir aus ganz unterschiedlichen Bereichen.

Ganz konkret, was braucht es für die Geflüchteten? Ich weiß, dass Ihr nach Familien sucht, die mitmachen. Warum? Und was braucht’s noch?

Rowena: Wie oben schon angedeutet: Ich denke es wäre schon mal viel getan, die Gesten der ‘Unwillkommenheit’ aus unserer Gesellschaft zu verbannen. Eine aktivere Willkommenskultur, so abstrakt der Begriff klingt, wäre in meinen Augen wünschenswert. In Gesprächen mit Geflüchteten selbst werden immer wieder zwei zentrale Dinge genannt, an denen es mangelt: Kontakt und Beschäftigung. Die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, wünschen sich mehr Kontakt zu Deutschen, um die Sprache zu lernen und sich mit den Menschen, die hier leben, verständigen zu können, um sich besser im alltäglichen Leben bewegen zu können, um selbstständig zu werden. Da die Gemeinschaftsunterkünfte, in denen sie untergebracht sind, meist weit ab vom Schuss in der Peripherie der Stadt liegen und es in der direkten Umgebung oft wenige Orte zum Leute treffen gibt, braucht es mehr Leute, die aktiv auf die neuen Leipziger zugehen, um beim Nötigsten, wie zum Beispiel Behördengängen, zu helfen oder aber auch um sich auszutauschen bei einem Kaffee oder Ähnlichem. Es ist gut, wenn auch Leipziger Familien dabei unterstützen, da es in den Heimen auch viele Familien gibt und sich Menschen in ähnlichen Lebenssituationen oft leichter unterstützen und selbstverständlicher austauschen können.

Außerdem fehlt es vielen Menschen, vor allem den jungen, die allein gekommen sind, an Beschäftigung. Viele wünschen sich eine Aufgabe oder einen Job, um ihre Zeit zu nutzen. Letztens hat mir ein Bekannter, der bereits seit sieben Monaten hier ist, erzählt, dass er nicht versteht, warum er nicht arbeiten darf, obwohl er kann und so gerne möchte. Das Geld, das er vom Staat bekommt, solle lieber für Menschen, die nicht arbeiten können, wie Kranke und alte Menschen verwendet werden, er möchte für sein Leben selbst aufkommen. Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass ein Geflüchteter nach drei Monaten hier offiziell arbeiten kann. An dieser Stelle sind die lokalen Arbeitgeber gefordert, den Menschen eine Chance zu geben und ihnen diesen Schritt zu ermöglichen. Bei Interesse kann man auch einfach mal bei einem unserer Treffen vorbeischauen und sich über die vielfältigen Möglichkeiten, sich zu engagieren, informieren.

Wie können Menschen mit Euch in Kontakt treten?

Helena: Wir haben eine facebook-Seite und eine E-Mail-Adresse, über die man sich an uns wenden kann mit Fragen, Anregungen und Ideen. Außerdem machen wir regelmäßig Interessiertentreffen, um unsere Gruppe und Projekte noch mal genauer vorzustellen. Man kann einfach per Mail anfragen und dann geben wir den nächsten Termin für so ein Treffen bekannt.

Wenn Humanismus, also Menschlichkeit, in unserer Welt erreichbar sei, was muss geschehen? Manchmal scheint mir das Kind schon im Brunnen ertrunken. Wie haltet Ihr Euren Optimismus am Leben?

Helena: Ehrlich gesagt ist mir auch oft genug zum Heulen zumute, gerade wenn ich mir jetzt wieder die Proteste in Freital anschaue. Menschlichkeit – vor allem als gesellschaftlicher Grundwert – scheint mir leider auch in weite Ferne gerückt. Ich sehe auch keine baldige Lösung oder ein Umdenken, schließlich spielt Menschlichkeit, wenn man sich etwa die europäische Abschottungspolitik anschaut, auch auf oberster Ebene keine Rolle, somit ist das nicht nur ein Problem in braunen Provinz-Nestern. Um trotzdem optimistisch zu bleiben, muss man sich die Menschlichkeit, glaube ich, einfach selber suchen – im eigenen Alltag und Umfeld. Und wenn man nichts macht, wird schließlich auch nichts besser. Zum Glück passieren einem immer wieder Dinge, die einen hoffen lassen.

Danke für Euer Engagement. Viele kleine Steine sind ein Berg.

E-Mail: engagiert.fuer.fluechtlinge@gmail.com

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Sehr schönes Interview.Solche Geschichten zu lesen kann auch Mut machen.

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