Die deutschen Jobcenter sind gerade dabei, sich zu einem einzigen Selbstverwaltungsmoloch zu entwickeln. Schon in der jüngeren Vergangenheit gaben sie mehr als doppelt so viel Geld für die eigene Verwaltung als für die Eingliederung der eigentlichen "Kunden" aus. Und das Bundesarbeitsministerium, das den Moloch eigentlich irgendwie steuern sollte, hat nicht einmal belastbare Zahlen dazu, obwohl der Bundesrechnungshof seit 2006 mahnt.

Entsprechend ironisch kommentiert Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) nun die Ausschreibung eines Forschungsauftrags des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), der bis September 2014 zumindest dem Ministerium endlich Klarheit über die verausgabten Verwaltungsgelder geben soll. Das selbstgeschaffene Gestrüpp entpuppt sich für die so naiv drauflos werkelnden “Arbeitsmarktreformer” als schier undurchschaubar. Und keineswegs erstaunlich ist, dass die Verwaltungskosten aus dem Ruder laufen, während die eigentlich für die Eingliederung vorgesehenen Gelder immer magerer werden.

Paul M. Schröder: “Die vom Bund und den Kommunen zu tragenden Gesamtverwaltungskosten der 410 Jobcenter werden 2013 voraussichtlich über 5,0 Milliarden Euro betragen, darunter vermutlich über 3,8 Milliarden Euro für die 304 ‘gemeinsamen Einrichtungen’ von Bundesagentur für Arbeit und Kommunen.”

Das sind aber die Zahlen, die er für sein Institut in akribischer Aufarbeitung der Veröffentlichungen der Bundesanstalt für Arbeit selbst ermittelt hat. Da sind die Kostenblöcke zum Teil in mehr als apokryphen Posten und Pöstchen versteckt. Die Art der Beihilfe- und Eingliederungsmittel übrigens auch. Denn mit der seit 2002 / 2005 dominierenden Kontroll- und Regulierungsverbissenheit der zuständigen Minister, Agenturen und Ämter hat das bürokratische Verwaltungsmisstrauen von Anfang an die “Reform” dominiert. Ein Misstrauen, das von dem mehr als fragwürdigen Standpunkt ausgeht, wer keine Arbeit hat, sei durch sein arbeitsmeidendes Verhalten selbst Schuld an der Misere und müsse durch allerlei Sanktionen und Instrumente dazu gezwungen werden, dem Arbeitsmarkt für billig Geld zur Verfügung zu stehen.

Doch gerade die Arbeitsmarktentwicklung 2013 hat gezeigt, dass der “Arbeitsmarkt” in Deutschland alles Mögliche braucht, nur keine unqualifizierten oder berufsfremden Billigarbeitskräfte. Auch wenn die Forderung nach solchen Billigarbeitskräften bis heute zum Beispiel die mehr als blauäugige sächsische Politik dominiert. Was fehlt, sind gut ausgebildete oder ausbildbare Fachkräfte. “Arbeitsmarktpolitik” darf nicht erst am Ende der Integrationskette mit der mittlerweile dominierenden Peitsche Sanktion einsetzen, sie muss zu 90 Prozent am Beginn der Integrationskette wirken – mit einem hochkarätigen Qualifizierungsprogramm für alle, deren Eintritt in den Arbeitsmarkt nicht barrierefrei ist.

So lange sich das nicht ändert, werden die Verwaltungskosten zuungunsten der Integrationskosten immer weiter aufgebläht.Und eigentlich sollte auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) seit 2012 über genaue Zahlen zu den Verwaltungskosten verfügen. Tut es aber nicht.

“Die Ermittlung der Gesamtverwaltungskosten der 304 ‘gemeinsamen Einrichtungen’ (Jobcenter gE) ist in der ‘Verwaltungskostenfeststellungsverordnung’ (VKFV) vom 2. August 2011 geregelt”, stellt Schröder fest. “§ 21 VKFV (Monitoring) verordnet eine jährliche Berichterstattung (erstmals für das Haushaltsjahr 2012). Bis Redaktionsschluss dieser BIAJ-Materialien konnte kein Bericht gefunden werden – stattdessen (?) die wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2013 veröffentlichte Ausschreibung eines Forschungsauftrags des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Diese liest sich wie ein spätes Eingeständnis: Der nicht nur mit der Mischfinanzierung der Verwaltungskosten der Jobcenter verbundene ‘bürokratische Wahnsinn’ ließ sich bisher offensichtlich weder systematisch erfassen noch steuern. Für die Bundesregierung (BMAS) kein drängendes Problem: Auf Jobcenterebene konnten bestehende Finanzierungsprobleme durch Umschichtungen aus dem nach 2010 von Jahr zu Jahr gekürzten ‘Eingliederungstitel’ in das ‘Verwaltungskostenbudget’ ‘gelöst’ werden.”

Die Jobcenter-Kunden begegnen also immer öfter einer kafkaesken Behörde, die ihre Ressourcen vor allem in einem völlig überbürokratisierten Verwaltungsprozess verschleudert. Dabei gab es die Mahnung, dieses bürokratische Monstrum zu zähmen, schon 2006, ein Jahr nach Start von “Hartz IV”.

“Der Bundesrechnungshof hatte die undurchsichtige Abrechnung der Verwaltungskosten der Jobcenter bereits 2006 und 2007 kritisiert”, so Schröder. “Für die ‘Vorbereitung, Durchführung und abschließende Präsentation’ des kurz vor der Bundestagswahl 2013 ausgeschriebenen Forschungsauftrags wird ein Zeitfenster von ‘maximal 9 Monaten’ genannt, ‘voraussichtlich Dezember 2013 bis August 2014’ oder mit anderen Worten, maximal 9 Monate nach dem Regierungswechsel.”

Da kann man sich dann überraschen lassen, welche Arbeitsministerin oder welcher Arbeitsminister dann ins große Staunen verfällt, wenn sie oder er das Gutachten überreicht bekommt. Wenn das denn öffentlich wird. Denn was brisant ist, verschwindet ja meist in der Ablage. Die hohe Kunst der Korrektur politischer Fehlsteuerungen ist keine deutsche Tugend.

Die Mitteilung des BIAJ dazu: www.biaj.de/images/stories/2013-11-11_verwaltungskosten-jobcenter-vkfv-bmas-2013.pdf

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