Noch immer gibt es reihenweise Politiker in deutschen Landen, die glauben, man könne Arbeitslosigkeit und soziale Bedürftigkeit einfach schönrechnen. Aber das funktioniert nicht. Auch nicht mit "Hartz IV". Wie nun auch zum wiederholten Mal die Stadt Leipzig erfährt: Die Zahl der "Bedarfsgemeinschaften" sinkt nicht wie gewünscht. Das kostet jetzt wieder ein paar nicht geplante Millionen.

Die Vorlage dazu hat das Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule für die Fachausschusssitzung am 11. September eingebracht. Das Jahr ist zu bald drei Vierteln herum und die ehrgeizigen Pläne, die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Leipzig weiter zu drücken, sind nicht aufgegangen. Schon seit Jahren versucht es die Leipziger Stadtverwaltung. Es gibt Zielpläne mit dem Jobcenter, hier zu tun, was irgend möglich ist, die Kosten zu senken.

Aber der Grundfehler im Denken ist seit 2005, dass man Arbeitslosigkeit mit Bedürftigkeit verwechselt. So kommt es auch in der Vorlage des Sozialdezernats zum Ausdruck: “Per 30. 06. diesen Jahres waren durchschnittlich 43.316 BG im Leistungsbezug. Der ursprünglich geplante Wert von 42.000 BG basierte auf der Annahme einer deutlich geringeren Anzahl an BG mit Leistungsbezug zum Jahreswechsel und – bedingt durch die anhaltend guten Prognosen der künftigen konjunkturellen Entwicklung – einer weiteren Senkung der BG im Jahresverlauf.”

BG sind die Bedarfsgemeinschaften, also jene Haushalte, die vom Jobcenter Leistungen nach Sozialgesetzbuch SGB II beziehen.

Aber da hat sich das Sozialdezernat wohl vom Optimismus des Oberbürgermeisters anstecken lassen, der gern mit den sinkenden Arbeitslosenraten (2014 erstmals unter 10 Prozent) wirbt für seine Politik, aber gern ignoriert, dass viele der neuen Jobs bislang nur Niedriglohn-Jobs waren. Die Betroffenen hatten zwar eine Erwerbstätigkeit, die aber so gering honoriert wurde, dass sie weiter bedürftige Klienten des Jobcenters blieben. Und dazu kommt, dass Leipzig das Thema Langzeitarbeitslosigkeit seit 2005 nicht in den Griff bekommen hat, ein Thema, das nun einmal mehr die OECD für ganz Deutschland anprangert.

Nachzulesen in diesem “Spiegel Online”-Beitrag: www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/oecd-studie-experten-sagen-job-boom-in-deutschland-voraus-a-989524.htmlWenn man aber für all die Menschen, die wegen echter Vermittlungshemmnisse (Alleinerziehende, Ältere, Geringqualifizierte …) seit Jahren durch die Mühlen des Jobcenters rotieren, keine echten und ehrlichen Integrationsinstrumente hat und nur mit immer neuen Sanktionen versucht, diese Menschen wie eine Schafherde durch die Bücher zu treiben, dann ist es ein Witz, Jahr für Jahr ein Abschmelzen der Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu prognostizieren.

Dann sind diese Prognosen nichts als Wunschdenken.

Das Ergebnis ist: Mitten im Jahr muss nun ein Nachschlag ausgereicht werden, weil das eingeplante Geld nicht reicht.

Und zwar insbesondere für das von der Stadt zu tragende Element “Leistungen für Unterkunft und Heizung”: 4.696.000 hat das Sozialdezernat ausgerechnet. Etwas leichter lesbar: 4,7 Millionen Euro. Geplant hatte man mit 146 Millionen Euro, was man schon geradezu als Traumtänzerei bezeichnen kann, nachdem man 2013 noch 151 Millionen Euro ausgeben musste. Eine Zahl, die gegenüber 2012 gestiegen war (damals: 147 Millionen Euro), weil Leipzig zähneknirschend endlich die Sätze für die Kosten der Unterkunft nach oben korrigieren musste.

Dass die Bedürftigen keineswegs in überteuerten Wohnungen leben, zeigt die Durchschnittssumme pro Monat und Bedarfsgemeinschaft: 2013 betrug sie 290,39 Euro.

Doch gerade im Jahr 2014 zeigt sich seit Januar unübersehbar, dass das Abschmelzen der Sockel-Bedürftigkeit in Leipzig nicht mehr weiter geht. Wenn die Zahl der Bedarfsgemeinschaften schmilzt, sind das vor allem ältere Erwerbslose, die in Richtung Ruhestand ausscheiden. Unten bei den Jugendlichen gibt es ja jedes Jahr neuen Nachschub, weil das sächsische Bildungssystem unbedingt 10 bis 15 Prozent Schüler hervorbringen muss, die keinen Abschluss haben und nicht ausbildbar sind.

Statt 146 Millionen Euro werden jetzt wohl 151 Millionen Euro für die Kosten der Unterkunft im Jahr 2014 gebraucht. Das ist natürlich nicht so geplant gewesen. Ein Teil der Summe lässt sich durch Umverteilung innerhalb der Jobcenter-Kosten decken, aber rund 4 Millionen Euro bleiben übrig, die jetzt – “unterjährig”, wie das so schön heißt – noch aufgebracht werden müssen.

Es ist wirklich an der Zeit, dass sich Verwaltung und Stadtrat einmal ehrlich mit dem Thema Jobcenter beschäftigen und nicht immer so tun, als würde man die dort betreute Menschengruppe einfach irgendwie wegsparen können.

Zur Ratsinfo: https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1000259

Die Vorlage als PDF zum Download.

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