Im neuen Quartalsbericht der Stadt Leipzig haben sich die Statistiker aus dem Rathaus mal die Leipziger Ortschaften vorgeknöpft: Das sind all die Gemeinden, die 1999 und 2000 nach Leipzig eingemeindet wurden und bis heute alle auch einen Sonderstatus genießen. Sie machen mit 69.674 Einwohnern auch knapp 13 Prozent der Einwohnerschaft aus, haben seitdem bei Wahlen oft sogar ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Und profitieren auch vom Leipziger Wachstum.

Bis 2000 taten sie es sogar massiv. Man hat es ja fast schon vergessen, dass Leipzig bis 2000 eine schrumpfende Stadt war. Und das nicht nur, weil Zehntausende Leipziger der Arbeit hinterher gen Westen zogen, sondern auch weil Tausende sich im Leipziger Speckgürtel den Traum vom Eigenheim erfüllten. Oder wenigstens den vom ruhigeren Wohnen im Grünen. Im Ergebnis war die Stadt Leipzig im Jahr 1998 auf eine Einwohnerzahl von 437.101 geschrumpft. Erst mit den Eingemeindungen kam sie wieder in die Region von 500.000. Und wenn man den tatsächlichen Bevölkerungspuffer für Leipzig herausbekommen will, muss man auch heute noch die 69.674 Bewohner von Holzhausen, Mölkau, Böhlitz-Ehrenberg usw. abziehen von der im Melderegister verzeichneten Zahl von 539.348 (Dezember 2013). Dann hat eben jenes Leipzig, das 1989 noch 530.000 Einwohner hatte, heute erst wieder knapp 470.000 Einwohner.

Oder mit anderen Worten: Die mögliche Einwohnerzahl von 600.000, die beim jetzigen jährlichen Bevölkerungswachstum möglich scheint, wäre nichts anders als die Erreichung des Standes von 1989. Zumindest, was die Bevölkerungszahl betrifft.

Andrea Schultz zieht in ihrem Beitrag nun auch eine Bilanz für die 14 eingemeindeten Ortsteile für die vergangenen 14 Jahre. Immerhin stand in dieser Zeit eher Leipzigs Mitte im Zentrum der Aufmerksamkeit, wo sich ein Quartier nach dem anderen mit jungen Leuten füllte. Um über 12 Prozent wuchs die Leipziger Bevölkerungszahl seit 2000. Wenn man es nach dem ursprünglichen Stadtgebiet und den Ortsteilen differenziert, wird es noch deutlicher, wie sehr in Leipzig die Post abging. Denn im ursprünglichen Stadtgebiet wuchs die Bevölkerung um 55.058, was ein Wachstum von über 13 Prozent bedeutet. Die Ortsteile selbst sind zwar nicht mehr so rasant gewachsen wie noch in den 1990er Jahren, als ein neues Wohngebiet nach dem anderen aus dem Boden gestampft wurde – aber sie wuchsen trotzdem weiter um 4.294 Einwohner, was ein durchaus respektables Wachstum um 6,6 Prozent bedeutet.

Ein Grund dafür wird in der Bevölkerungspyramide sichtbar, denn obwohl die Kinder jener Suburbanisierer, die Mitte der 1990er in die neuen Siedlungen zogen, seither wieder wegziehen – vor allem zur Ausbildung oder zur Gründung eines eigenen Hausstands, ist die Jugendquote in vielen Ortsteilen wie Seehausen, Plaußig oder Wiederitzsch überdurchschnittlich hoch.

Das, so erklärt Andrea Schultz, habe mit dem starken Zuzug junger Familien zu tun. Ein Zuzug, der sich in den letzten Jahren erst wieder verstärkt hat. Doch diesmal sind es nicht vorwiegend die Leipziger selbst, die wieder beginnen, in den Speckgürtel zu ziehen. Es sind vor allem junge Familien, die von außerhalb nach Leipzig ziehen, die überdurchschnittlich oft in den Ortsrandlagen ein eigenes Häuschen oder eine Mietwohnung finden.Für Dr. Ruth Schmidt, die Leiterin des Amtes für Statistik und Wahlen, durchaus eine interessante Frage: Beginnt jetzt, nachdem wichtige Leipziger Stadtteile im Zentrum “voll” sind, eine neue Suburbanisierungswelle? Werden neue Baugebiete am Stadtrand wieder zum Tummelplatz der Baufirmen?

Oder betrifft es nur einige Ortsteile? Denn es gibt auch welche, die schon wieder Bevölkerung verlieren – so wie Plaußig, Mölkau und Miltitz. Mölkau fällt auch mit einer enorm hohen Altenquote von 57 Prozent auf, Zeichen dafür, dass der Ortsteil in den letzten Jahren vor allem junge Leute verloren hat. Zurück bleiben die Menschen im Seniorenalter. Die hohe Sesshaftigkeit der Einwohner ist sowieso ein Hauptkennzeichen der 1999/2000 eingemeindeten Ortsteile. Was natürlich bedingt ist durch die hohe Quote an Eigenheimen: 41 Prozent der Menschen in den Ortsteilen leben im eigenen Haus oder der eigenen Wohnung. Da zieht man nicht so oft um wie in Mietwohnungen.

Was aber auch dazu führt, dass in der Regel die Älteren zurückbleiben, wenn die Kinder zu Ausbildung und Beruf wegziehen.

Typisch ist aber auch, dass das Einkommen der Bewohner in den Ortsteilen höher ist als im inneren Stadtgebiet, die Arbeitslosen- und ALG-II-Rate ist deutlich niedriger. Was auch mit daran liegt, dass sich Menschen mit niedrigen Einkommen auch das Mieten in den Ortsrandlagen oft nicht leisten können. Die großen Gründerzeit- und Plattenbaubestände gibt es dort kaum. Das Mietniveau liegt also eher bei 5,43 Euro je Quadratmeter, während im sonstigen Stadtgebiet 5,04 Euro gelten – und diese 5,04 Euro sind ja schon ein Durchschnittswert aus sozialer Wohnmiete um die 3 Euro bis hinauf zu Spitzenmieten in Top-Lagen von über 7, teilweise 10 Euro. Auf den entsprechend notwendigen Autobesitz in den Ortsrandlagen geht Andrea Schultz nicht extra ein.

Aber die höheren Äquivalenzeinkommen ergeben sich nicht daraus, dass wirklich viel mehr Menschen mit hohen Einkommen im Grünen wohnen, sondern weil deutlich weniger Menschen mit Einkommen unter 800 Euro dort wohnen.

Und das betrifft zuallererst junge Menschen in Studium und Ausbildung, die eher zentrale Wohnlagen bevorzugen, von denen aus der Weg etwa zur Uni auch mit Fahrrad leicht zu bewältigen ist. Der Unterschied zwischen Ortsteilen und Innenstadt beschreibt also eher kein soziales Gefälle, sondern einen Unterschied in den Lebensstilen. Attraktiv und bezahlbar wird das Leben in der Randlage meist erst, wenn eine Familie gegründet ist und beide Partner ein verlässliches Einkommen erzielen. Was dann den anhaltenden Zuzug junger Familien erklärt.

Alle anderen Parameter ergeben sich daraus. Bis hin zu der Tatsache, dass die jungen Leute, die Mitte der 1990er Jahre hinaus ins Grüne zogen, heute zwar noch immer in ihrem Eigenheim leben – nur sind sie halt 20 Jahre älter geworden und die Kinder sind ausgezogen. Und die haben – oft gezwungenermaßen – andere Lebensvorstellungen als ihre Eltern.

Was natürlich den Blick auf das Wohnen im inneren Stadtgebiet lenkt. Ein großer Beitrag im Quartalsbericht widmet sich einem dabei sehr aktuellen Thema: den Hauptverkehrsstraßen.

Morgen mehr dazu an dieser Stelle.

Der Statistische Quartalsbericht II / 2014 ist im Internet unter http://statistik.leipzig.de unter “Veröffentlichungen” einzusehen. Er kann zudem für sieben Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) im Amt für Statistik und Wahlen erworben werden.

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