Da staunte selbst der Chef der Bundesarbeitsagentur, Frank-J. Weise, als er am Mittwoch, 7. Januar in Nürnberg die Arbeitsmarktzahlen für Dezember vorstellte: "Trotz geringer wirtschaftlicher Impulse hat sich der Arbeitsmarkt positiv entwickelt. 2014 waren weniger Menschen arbeitslos als ein Jahr zuvor, Beschäftigung und Einstellungsbereitschaft der Betriebe sind gewachsen." Sind die "wirtschaftlichen Impulse" wirklich so gering?

Immerhin rechnen die meisten Wirtschaftsinstitute für 2014 mit einen Wachstum des Bruttoinlandsprodukt zwischen 1,2 bis 1,5 Prozent. Das ist kein geringer wirtschaftlicher Impuls, auch wenn es ein Manager nach dem anderen so behauptet. Für eine voll entwickelte Nationalwirtschaft wie die Bundesrepublik ist das ein robuster Wert. Und er ist noch wesentlich robuster, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der eigentliche Beschäftigungsaufbau nur noch partiell im exportorientierten verarbeitenden Gewerbe passiert, sondern im Binnenmarkt: im Dienstleistungssektor.

Das trifft übrigens auch für Leipzig zu, wo auch Nadja Arndt, Geschäftsführerin Operativ der Agentur für Arbeit Leipzig, nicht aus dem Staunen herauskommt. Sie konnte am Mittwoch auch verkünden, wie stark der Beschäftigungsaufbau in Leipzig seit 2004 ausgefallen ist (Stichwort: 10 Jahre Hartz IV).

Im Juni 2014, dem letzten Quartalsstichtag, der nun veröffentlicht wurde, lag die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Arbeitsort Leipzig bei 241.065. Gegenüber dem Vorjahresquartal war das eine Zunahme um 11.233 oder 4,9 Prozent.

„Im Jahr 2004 waren es 191.170 Beschäftigte, damit stieg die Zahl innerhalb von 10 Jahren um 49.895 an. Das ist eine überaus erfreuliche Entwicklung“, sagte Nadja Arndt. „Und auch die Prognose für das Jahr 2015 ist sehr positiv. In Leipzig erwarten wir einen Beschäftigungszuwachs von 2,5 Prozent. Nirgendwo in Deutschland ist damit nach einer Studie des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Steigerungsrate so hoch.“

Mit dem Bevölkerungswachstum der Stadt wuchs also auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Und zwar auch und vor allem in Bereichen, die nicht – wie Bau oder Einzelhandel – extrem von saisonalen Schwankungen abhängig sind. Das Ergebnis ist ein kleines Novum: Im Dezember sank die Zahl der arbeitslosen Menschen in Leipzig sogar leicht.

„In den letzten Jahren stieg im Dezember saisonal bedingt die Arbeitslosigkeit an. In diesem Jahr nicht. Das zeigt auch wie robust der Arbeitsmarkt in Leipzig heute ist“, meint Arndt.

“Robust” ist zwar ein schönes Wort, erklärt aber nichts. Schon gar nicht, warum die saisonal freigesetzten Arbeitskräfte insbesondere aus dem Bau nicht zu einem Anstieg der Arbeitslosenzahl führte. Denn freigesetzt wurden sie ja. Gleichzeitig aber wurde die Arbeitsagentur weiter mit Angeboten offener Stellen bestückt. Recht viele sogar für den Dezember: Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den letzten vier Wochen 1.466 freie Stellen, das waren 353 weniger als im davor liegenden Monat (1.819), aber 237 mehr als vor einem Jahr, zur Besetzung angeboten, so die Arbeitsagentur.

Denn hinter dem Phänomen steckt natürlich auch der wachsende Bedarf – in der Pflegebranche genauso wie mittlerweile in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung. Egal ob Kindergärtnerinnen, Lehrer, Polizisten, Finanz- und Justizpersonal: Die jahrelangen Kürzungsrunden zeigen ihre Kehrseite. Mindestens die Kommunen müssen wieder Personal einstellen, der Freistaat wird folgen. Denn wenn eine Bevölkerung nicht hinsiecht, wie es die sächsische Regierung nun seit Jahren immer wieder orakelte, dann müssen die Aufgaben eben doch abgearbeitet werden.

Und wenn man dann auch noch Personal braucht, während die Geburtenraten im Keller sind, freut es die verbliebenen “Kunden” in Arbeitsagentur und Jobcenter: Sie können sich die Offerten aussuchen.

Wenn sie noch dürfen und nicht müde sanktioniert wurden. Denn die Nachfrage kommt fast ausschließlich den jungen Bewerbern zugute. Auch das versteckt sich in den Zahlen, die die Arbeitsagentur Leipzig liefert: In den einzelnen Altersgruppen gab es uneinheitliche Entwicklungen. Bei den jungen Menschen fiel die Zahl der Arbeitslosen, bei den älteren wuchs sie.

Bei den unter 25-Jährigen lag der Rückgang bei 5,6 Prozent und bei den 50-Jährigen und Älteren betrug der Anstieg 0,6 Prozent. Bei den jungen Arbeitslosen sank die Zahl im Vergleich zum November um 115 und bei den Älteren wuchs sie um 46. So zählte die Statistik im Dezember 1.922 (- 586 im Vergleich zum Dezember 2013) unter 25-Jährige und 8.212 (- 524 im Vergleich zum Dezember 2013) Ältere.

Was im Klartext ja heißt: Seit Wegfall der Eingliederungsinstrumente gucken die älteren “Kunden” des Jobcenters erst recht in die Röhre. Und sie kommen auch nicht wieder in Vollarbeit, wie so gern behauptet wird, dazu sind die meisten zu lange und zu gründlich raus aus dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt. Sie verschwinden am anderen Ende aus der Statistik: in Richtung eines armselig honorierten (Vor-)Ruhestandes. Dass die Zahlen jetzt wieder steigen, hat mit den enormen Anstrengungen zu tun, in den letzten Jahren schon möglichst viele dieser Menschen aus der Statistik zu bekommen, indem man sie in Ruhestand schickte. Aber da ist kein Puffer mehr, wo man noch nachsteuern könnte, wenn man die Zahlen wieder mal schöner aussehen lassen möchte.

Ergebnis unter anderem: Die Zahl der langzeitarbeitslosen Menschen ist im zurückliegenden Monat in Leipzig wieder angestiegen. Gegenüber dem Vormonat wuchs sie um 69 auf 8.930. Im Vergleich zum Dezember 2013 gab es 125 weniger. Die Zahl stabilisiert sich also erst einmal.

Und genauso sieht es dann auch bei all denen aus, die im Jobcenter irgendwie betreut werden.

In Leipzig gab es im Dezember 41.847 Bedarfsgemeinschaften. Das sind 18 (was nun keine Überraschung mehr ist) mehr als im Vormonat, aber 640 weniger als im Dezember 2013. Außerdem betreut das Jobcenter aktuell 51.935 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vormonat betrug der Anstieg 103 und im Vergleich zum Vorjahr waren es 929 Personen weniger.

Der Sockel der Bedürftigen ist also recht stabil und schmilzt keineswegs parallel zum Anstieg der Beschäftigtenzahl ab. Nur auf die lange Perspektive sieht das Ganze wie ein Erfolg aus: Seit Einführung von Hartz IV im Jahre 2005 ist die Zahl der arbeitslosen Menschen in diesem Rechtskreis von 33.751 auf 21.955 im Jahresdurchschnitt gefallen. Das ist ein Rückgang um 11.796, vermeldet die Leipziger Arbeitsagentur.

Und Nadja Arndt meint: “Diese Entwicklung macht sehr deutlich, dass die positive wirtschaftliche Entwicklung nicht an diesen Menschen vorbei geht.”

An “den Menschen” wohl nicht, an der im Jobcenter Leipzig betreuten Klientel aber schon. Es funktioniert einfach nicht als Integrationsinstrument für den Arbeitsmarkt, schon gar nicht für Menschen, die schon längere Zeit in Betreuung des Hauses sind.

Insgesamt waren im Dezember 2014 26.241 (Vormonat 26.266) Männer und Frauen in der Stadt Leipzig arbeitslos gemeldet. Der Rückgang in den zurückliegenden vier Wochen betrug 25 Personen. Im Vergleich zum Dezember 2013 waren es 1.849 weniger.

Zum statistischen Zähltag im Dezember betrug die Arbeitslosenquote in der Stadt Leipzig 9,4 Prozent (Vormonat: 9,4 Prozent). Im Dezember 2013 lag sie noch bei 10,3 Prozent.

Im Dezember waren 5.571 Menschen im Rechtskreis SGB III in der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet. Das waren 106 weniger als im Vormonat und 446 weniger als im Dezember 2013.

Im Rechtskreis SGB II waren im Dezember 20.670 Menschen im Jobcenter Leipzig arbeitslos registriert. Das waren 81 mehr als im November 2014, aber 1.403 weniger als vor einem Jahr.

Für den Januar wagt Nadja Arndt noch eine Prognose: “Im Januar müssen wir mit einer saisonbedingten steigenden Arbeitslosigkeit rechnen. Dann werden die Entlassungen zum Jahresende 2014 statistisch wirksam. Wie stark diese Zunahme sein wird, hängt nicht zuletzt auch vom Winter ab.”

Und für die ganzen Schwarzmaler von INSM bis ifo Institut auch aus der Leipziger Arbeitsagentur noch diese Botschaft: “Größere Entlassungen wegen der Einführung des Mindestlohnes haben wir in den letzten Wochen nicht festgestellt.”

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