Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) macht in letzter Zeit auf unterschiedlichste Weise mit Kommentaren zur Griechenland-Krise von sich reden. Zuletzt war es der Präsident Marcel Fratzscher, der die Welt mit der Nachricht erfreute, Griechenland könnte ja so etwas wie ein "Graccident" passieren - also ein Unfall, der das Land ganz unabsichtlich aus dem Euro katapultieren würde. Aber das ist nur eine von drei Meinungen im DIW.

Vom vielberedeten “Grexit” unterscheidet sich der “Graccident” dadurch, dass er fast zwangsläufig kommt, wenn Griechenland seinen Bankrott erklären muss. Da die EU dann nicht für die Konkursmasse gerade stehen wird, wäre Griechenland geradezu gezwungen, wieder eine eigene Währung einzuführen.

Beim “Grexit” hätte es das Land auch getan – aber dann aus eigener Entscheidung.

Was hinter der öffentlich geäußerten Meinung von Marcel Fratzscher steckt, ist natürlich das Wissen darum, dass die griechische Regierung das Heft des Handelns gar nicht mehr in der Hand hat. Und auch trotz fünf Jahren Reformen nicht wieder in die Hand bekommen hat. Das, was die Troika, die jetzt Brüsseler Gruppe heißen soll, als sogenannte Hilfskredite versprochen hat, hilft Griechenlad überhaupt nicht. Dazu sind die so gnädig gewährten Margen im Bereich von 10 Milliarden Euro viel zu niedrig.

Darauf wies Fratzscher selbst noch im Februar hin. “Griechenland hat eine große Finanzierungslücke von 30 bis 40 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre”, sagte er da, nachdem sich das DIW die Zahlen einmal eingesehen hatte. Im gleichen Atemzug lobte übrigens Fratzscher die Reformvorschläge Griechenlands, die seither von den Granden der Brüsseler Gruppe so in Bausch und Bogen verdammt wurden. Denn das Problem Griechenlands ist ja, dass es nicht nur eine Krise hat, sondern zwei. Das, was mit den sogenannten “Hilfsprogrammen” der Troika alias Brüsseler Gruppe zu beheben versucht wird, ist immer nur die Staatsschuldenkrise.

Mit “Hilfskrediten” bekommt man die Staatsschuldenkrise nicht in den Griff

Die Hilfsgelder gehen zur Bedienung der Kredite für die 305 Milliarden Euro griechischer Staatsschulden fast komplett drauf. Tatsächlich sind die Hilfspakete zu klein. Das steckt in Fratzschers Aussage zur Finanzierungslücke. Die Möchtegern-Troika, zu der auch Fratzschers ehemaliger Arbeitgeber EZB gehört, hätte sich selbst einen Gefallen getan, Griechenland nicht viel zu klein gerechnete Hilfskredite von 10 Milliarden Euro zu gewähren und sich dann ein paar Monate später so seltsam überrascht und empört zu geben, dass schon wieder ein neues Hilfsprogramm notwendig ist. Die Finanzierungslücke von 30 bis 40 Milliarden Euro ist schlicht real. Und wenn Griechenland jetzt wieder mal ein paar Millionen-Kredite abstottert (darunter auch ein 800-Millionen-Kredit der EZB), dann landet von den Hilfskrediten kein Euro im eigentlichen Staatshaushalt. Die Milliarden fliegen einfach weit weg von Griechenland im Kreis und machen ein paar Leute, die die richtigen Papiere besitzen, immer reicher.

Das Troika-“Reformpaket” hat die griechische Wirtschaftskrise erst richtig verschärft

Die andere Seite des griechischen Problems hat am 4. März ebenfalls ein DIW-Mann beleuchtet:  Prof. Dr. Alexander Kritikos, Forschungsdirektor am DIW Berlin, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Potsdam und Research Fellow am IZA. Seinen Beitrag im Wochenbericht des DIW hat das Institut vorsichtshalber gekennzeichnet mit der Einschränkung “Der Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder”.

Warum man das am DIW überhaupt nötig hat, ist schon rätselhaft. Denn die Analyse stimmt ja: Troika/Brüsseler Gruppe kümmert sich nur um die Staatsschulden. Und auch darum nicht wirklich zielführend.

Um die Wirtschaftskrise, die Griechenland nun seit fünf Jahren im Griff hat, kümmern sie sich nicht.

Sie tun so, als müsste ein so ungehorsames Land einfach mit Verträgen immer wieder dazu verdonnert werden, seine verdammten Staatsschulden endlich abzutragen.

Die Frage ist nur: Wovon?

Denn die vor fünf Jahren verordneten “Reformen”, die tatsächlich rabiate Einsparprogramme sind, trafen auf ein wirtschaftlich schon angeschlagenes Land. Und sie haben die wirtschaftliche Lage Griechenlands noch zusätzlich verschärft und das Bruttoinlandsprodukt um 20 Prozent abstürzen lassen.

Um überhaupt eine Basis zu haben, den notwendigen Überschuss zu erwirtschaften, aus dem heraus die Staatsschulden bedient oder gar abgebaut werden könnten, hätte Griechenland Reformen gebraucht, die das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine bringen.

Schön gerechnete Zahlen geben ein falsches Bild

Der IWF aber, der ebenfalls mit in der Troika sitzt, hat sich das Bruttoinlandsprodukt Griechenlands bis heute schön gerechnet. Alexander Kritikos: “Die Prognosen des IWF über das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) lassen daran zweifeln. Denn zwischen erwartetem und tatsächlichem BIP klafft über fünf Jahre hinweg eine Lücke von jährlich fünf Prozent. Ein massiver Irrtum!”

Na gut, das mit dem “Irrtum” lassen wir ihm mal als “Meinung” durchgehen. Die Zahlen zur Wirtschaftsentwicklung Griechenlands sind auch für das IWF recherchierbar. Dass man so daneben liegt in dieser Institution, kann kein Irrtum sein, sondern bestenfalls Ignoranz. Eine Ignoranz, mit der die auf falschen Zahlen beruhende “Rettungspolitik” der Troika immer wieder begründet wird. Die Griechen wollen nur nicht …

Nein. Die Fakten sagen: Sie können nicht mehr. Tatsächlich brauchen sie einige der Reformen, wie sie Alexis Tsipras, der griechische Ministerpräsident, mit seinen Reformvorschlägen auch der Brüsseler Gruppe vorgelegt und in der letzten Woche mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker diskutiert hat. Genau in der Woche, in der sich in deutschen Leitmedien das Geschimpfe über Griechenland massiv verstärkte. Was kein Zufall sein kann. Es gibt genug Akteure, die von den sogenannten “Hilfsprogrammen” für Griechenland gut profitieren. Und dazu gehören einige große Banken – auch in Deutschland. Und die machen auch gleichzeitig Druck auf Juncker und die Brüsseler Gruppe, den griechischen “Forderungen” ja nicht nachzugeben.

Denn das würde irgendwann natürlich heißen, dass die griechischen Schulden einfach eingefroren werden und das Land erst einmal ein richtiges Reformpaket bekommt, das auch einen europäischen Marshallplan enthalten muss, damit das kleine Mitgliedsland der EU wirtschaftlich erst einmal wieder auf die Füße kommt.

Die Retter retten nichts als ihre eigenen Kredite

Ein Land, das wirtschaftlich so am Boden liegt, kann seine Schulden nicht zurückzahlen. Ein “Hilfskredit” wird den nächsten jagen – doch an der wirtschaftlichen und sozialen Lage in Griechenland wird sich nichts ändern.

Alexander Kritikos: “Was wurde erreicht in den vergangenen fünf Jahren? Renten, Sozialausgaben und Löhne wurden dramatisch gesenkt. Griechenlands Lohnstückkosten zählen heute zu den niedrigsten im Euroraum, vor der Krise waren sie die höchsten – allein, es gibt kaum etwas, was Griechenland nur deshalb viel besser exportieren kann.”

Die Troika alias Brüsseler Gruppe wendet also schlicht die falschen Rezepte an – Rezepte, die in Deutschland keine einzige Schuldnerberatung empfehlen würde, weil sie dem Schuldner nicht ansatzweise helfen, aus der Misere zu kommen.

Es ist da eher erstaunlich, warum das DIW die Meinung ihres Mitarbeiters Alexander Kritikos nur zu seiner persönlichen abwertet und nicht im Gegenteil zur Grundlage einer echten Kritik an Troika & Co. macht. Denn solange die empörten Herren in diesen Gremien so tun können, als wäre Griechenland nur ein ungehorsamer Schuldner, der einfach nicht pariert, solange wird sich an der Problemlage nichts ändern. Kein einziges Land in Europa hat es verdient, von Bürokraten derart ignorant behandelt zu werden.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar