Wir leben in einer Gesellschaft, die gern so tut, als könne sie in die Zukunft sehen und alles berechnen. Auch Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit. Breitbrüstig vermeldete nun am Montag, 23. März, die Arbeitsagentur Sachsen: "Arbeitsmarkt 2015 weiter auf Erfolgskurs". Grundlage sind Hochrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Hochrechnung, nicht Prognose.

Der Unterschied ist gravierend, auch wenn einige Leute gern so tun, als sei es dasselbe. Aber Hochrechnungen sind immer nur der Versuch, aus einer Teilgröße auf ein mögliches Gesamtergebnis zu schließen. Wikipedia dazu: “Eine Hochrechnung ist eine geschätzte Extrapolation eines Gesamtergebnisses aus einem Teilergebnis”. Es fehlen also schlicht so ungefähr 90 Prozent aller Grunddaten, die für eine belastbare Prognose gebraucht werden.

Heißt im Klartext: Das IAB hat einfach mal die – prognostizierten – Zahlen zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) genommen, sie in ihre Rechenmaschine gesteckt und die wahrscheinliche Auswirkung des BIP auf den Arbeitsmarkt errechnet. Der Arbeitsmarkt selbst tut gar nichts. Es ist die Wirtschaft, die bei wahrscheinlich guter Auftragslage mehr Leute einstellt. Das IAB spricht zwar selbst von Prognose. Aber ergeben Extrapolationen aus drei Grundgrößen (BIP, Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit) tatsächlich eine belastbare Prognose?

Erst recht, wenn sie selbst auf einer Prognose beruhen, der zum BIP?

1,9 Prozent Wirtschaftswachstum lautet die aktuelle Voraussage für die Bundesrepublik 2015. “Die Arbeitslosigkeit wird 2015 um rund 110.000 auf 2,79 Millionen Personen im Jahresdurchschnitt sinken, geht aus der am Montag veröffentlichten Frühjahrsprognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Damit hat sich die Prognose im Vergleich zur Herbstprognose aus 2014 spürbar verbessert.”

Für das laufende Jahr erwarten die Ökonomen des IAB ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von 1,9 Prozent. Und dann geht es schon in den Bereich, in dem das Orakel regiert. Noch im Herbst jaulte der deutsche Blätterwald über die Konsumflaute in Deutschland. Nun erklären die IAB-Forscher forsch: “Insgesamt erweist sich die Konsumnachfrage als wichtigste Stütze der Konjunktur. Trotz der Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten sowie der insgesamt schleppenden Entwicklung in der Eurozone habe sich in Deutschland auch der Export gut entwickelt”.

Aber auch das IAB muss zugeben, dass eigentlich ein anderer Grund dafür sorgt, dass der deutsche Export brummt:  Der schwache Eurokurs begünstigt den Absatz deutscher Exportgüter im Ausland.

Was dann – so verkündet es die Arbeitsagentur – die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung 2015 bundesweit um 540.000 Personen steigen und mit 30,74 Millionen einen neuen Rekordwert erreichen lasse.

Dass die Arbeitslosigkeit schwächer sinken soll, als die Beschäftigung zunimmt, hat mit einem speziellen Fakt zu tun: „Eine besondere Rolle für diese Entwicklung spielt die Teilzeitbeschäftigung, die einen beständigen und deutlichen Aufwärtstrend aufweist“, so die IAB-Arbeitsmarktforscher.

Woher sollen denn die ganzen Teilzeitkräfte noch kommen, wenn die Wirtschaft verstärkt Vollzeit-Fachkräfte sucht? Noch mehr Frauen in immer neuen Klein- und Mini-Jobs? Immer weiter mit den prekären Arbeitszeitmodellen?

Für Sachsen liegt noch keine aktuelle BIP-Prognose vor, nur die Herbstprognose 2014, die für Deutschland noch ein BIP von 1,4 Prozent voraussagte, was nach IAB-Berechnung für Sachsen einen Anstieg der Beschäftigung um 1,4 Prozent oder rund 21.000 zusätzliche Beschäftigte ergeben hätte. Damit würden im Jahr 2015 durchschnittlich etwa 1.530.000 Frauen und Männer einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit in Sachsen nachgehen.

„Die Prognose des IAB bildet eine gute Grundlage für unsere Arbeit”, meint nun Dr. Klaus Schuberth, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit. Als könnte die Arbeitsagentur tatsächlich flexibel auf die Angebote des Arbeitsmarktes reagieren. Was sie nicht kann. Dafür spricht die immer weiter aufklaffende Lücke bei der Nachfrage von Fachkräften. Die ganze Hochrechnerei ist nichts als Zahlensalat. Wenn dahinter auch noch echte Integrationsprogramme stünden, die Menschen zielgenau vermitteln könnten, dann könnte man vielleicht davon träumen, dass diese Prognosen irgend so etwas wie eine Arbeitsgrundlage wären.

Aber tatsächlich gilt auch 2015 das (keineswegs belastbare) Prinzip Hoffnung, wenn Schubert sagt: “Wir wollen verstärkt Frauen und Männer unterstützen, die bisher nur wenig von der positiven Entwicklung profitieren konnten. Dazu gehören vor allem Langzeitarbeitslose. Durch zielgerichtete und individuelle Qualifizierung sowie eine intensive Betreuung wollen wir für diese Menschen die Chancen auf eine Beschäftigung erhöhen und damit auch einen Beitrag zur Fachkräftesicherung für die sächsische Wirtschaft leisten”.

All das wird so nicht passieren, weil es diese Qualifikationsprogramme einerseits nicht gibt und die Unternehmen gezielt junge, flexible, schon von vornherein gut ausgebildete Arbeitskräfte suchen. Die Langzeitarbeitslosen werden auch 2015 von dieser Nachfrage nicht profitieren.  So wie 2014 schon nicht.

Für Sachsen wurde auf Grundlage der Herbstzahlen ein Rückgang der Arbeitslosigkeit um rund 5.000 (minus 2,5 Prozent) auf 187.500 Menschen berechnet. Mit der Frühjahresprognose 2015, die in den nächsten Monaten auf Länderebene veröffentlicht wird, sollte der positive Trend auf dem Arbeitsmarkt anhalten, hofft die Landesarbeitsagentur.

Für die Arbeitsagentur Leipzig wurde im Mittel eine Zunahme der Beschäftigung um 6.000 errechnet.

Aber wie gesagt: Das ist reiner Zahlensalat, der auch nicht die regional wachsende Nachfrage im Pflegebereich und den anderen sozialen Dienstleistungen sowie im Staatsdienst abbildet. Alles Bereiche, in denen es jetzt schon zu Fachkräfteengpässen kommt. Und die auch dann eine Nachfrage generieren, wenn das BIP eben nicht um 1,9 Prozent steigen sollte, sondern sogar fallen würde. Nicht alles hängt am Export. Und nicht alles hängt am schwachen Euro.

Die Rechenkunststücke des IAB in Tabellenform.

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