Da stand Nadia Arndt, die Geschäftsführerin Operativ der Agentur für Arbeit Leipzig, am Dienstag, 31. März, so ziemlich allein da auf sächsischer Flur, als sie erklärte: "Der Anstieg der Arbeitslosigkeit im März ist nicht typisch für diesen Monat." Der Arbeitsagenturbezirk Leipzig war weit und breit der einzige in Sachsen, der im März eine steigende Arbeitslosenzahl vermelden musste.

Überall, wirklich überall sanken die Zahlen. Teilweise sogar deftig. In Dresden zum Beispiel um  über 2.000. So langsam nähert sich Leipzig dem Tag, an dem Stadt und Jobcenter Farbe bekennen müssen. Denn das Angebot an Arbeitsstellen ist da. Über 4.000 freie Stellen sind gemeldet. Doch bestimmte Gruppen von Betroffenen kommen einfach nicht über die Barrieren.

Der Anstieg im März betrug in Leipzig 258 arbeitslos Gemeldete. “Er fand ausschließlich im Rechtskreis des SGB II statt”, so Nadia Arndt. “Dort stieg die Zahl der arbeitslosen Menschen um 529 an. Im SGB III Rechtskreis ist die Zahl der Arbeitslosen, wie prognostiziert, gefallen und zwar um 271. Im Vergleich zum März des Vorjahres gab es 1.190 Arbeitslose weniger in der Stadt Leipzig. Die Arbeitslosigkeit sank auch in diesem Monat in den Jahresvergleichen kontinuierlich weiter. So dass wir wiederum die geringste Märzarbeitslosigkeit seit Anfang der 90er Jahren verzeichneten.”

Insgesamt waren 28.985 (Vormonat 28.727) Männer und Frauen in der Stadt Leipzig arbeitslos.

Sachsenweit wird längst wieder von Frühjahrsbelebung gesprochen. Das ist eigentlich das Normale für den März. „In Sachsen sind weniger Menschen arbeitslos gemeldet. Weniger als im Februar und weniger als im März des vergangenen Jahres. Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf die anhaltende Frühjahresbelebung und die positive konjunkturelle Situation. Erfreulich ist auch, dass die Betriebe im März wieder mehr freie Arbeitsstellen gemeldet haben. Insgesamt sind die Rahmenbedingungen auf dem sächsischen Arbeitsmarkt positiv und bieten für arbeitssuchende Frauen und Männer gute Chancen auf eine neue Beschäftigung“, sagte Dr. Klaus Schuberth, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Woran liegt das also, dass in Leipzig die Zahlen steigen – völlig gegen den sächsischen Trend?

Es sind wieder die selben Gruppen von Betroffenen wie schon seit über einem Jahr, die an der unsichtbaren Wand zum Arbeitsmarkt regelrecht abprallen.

Die Zahl der über 50-jährigen unter den registrierten Arbeitslosen stieg von 6.477 im Februar auf 6.633.

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen stieg von 8.440 auf 8.514.

Und die der arbeitslos gemeldeten Ausländer von 2.913 auf 3.097.

Gerade die sowieso schon benachteiligten Gruppen von Betroffenen haben nun auch im März wieder eine kalte Dusche bekommen: Während die Nachfrage nach Arbeitskräften  – auch in Leipzig – immer weiter steigt, verlieren sie ihren Job. Oder tauchen aus der keineswegs zielführenden Beschäftigungsmaßnahme wieder in die klägliche Versorgung ab. Entweder stimmen die Integrationsinstrumente nicht. Oder die Qualifikationen sind die falschen.

Dabei gebe sich doch Sachsen richtig Mühe, Menschen für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, betonte am Dienstag die sächsische Arbeitsagentur: “Ein wesentlicher Beitrag der Arbeitsagenturen und gemeinsamen Jobcenter zur Fachkräftesicherung liegt in der Weiterbildung von arbeitslosen Frauen und Männern. Ziel der Qualifizierungen ist es, Menschen zu einem Berufsabschluss zu führen oder vorhandene Abschlüsse aufzufrischen, damit sie den aktuellen Anforderungen der Wirtschaft gerecht werden. – Allein im vergangenen Jahr haben Arbeitsagenturen und gemeinsamen Jobcenter über 97 Millionen Euro in die Weiterbildung von arbeitslosen Frauen und Männern investiert. Allein in 2014 wurden über 17.000 Menschen durch Weiterbildungsmaßnahmen unterstützt. Auch in diesem Jahr werden Arbeitsagenturen und Jobcenter in einer ähnlichen Größenordnung die Qualifizierung von arbeitslosen Menschen sicherstellen und so einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Dafür stehen über 94 Millionen Euro zur Verfügung.”

Teures Ergebnis für Leipzig dabei: Auch die Zahl der Bedarfsgemeinschaften stieg wieder – von  41.906 auf 42.163.

Aber wie geht das, wenn gerade die zugkräftigen Branchen wie die Industrie tausende Arbeitskräfte suchen?

Oder taucht da vielleicht einer der Nebeneffekte des Mindestlohnes auf?

Darauf deutet zumindest eine Tabelle aus dem September 2014 hin. Danach hatte Leipzigs Industrie binnen eines Jahres allein 2.702 neue Arbeitsplätze in Vollzeit geschaffen. Weitere 3.071 entstanden in der Zeitarbeit (Arbeitnehmerüberlassung), in den Dienstleistungsbereichen ebenfalls über 1.000 neue Bechäftigungen.

Dieses Bild zeigt auch der sächsische Arbeitsmarkt insgesamt. Doch dort gibt es auch einen Posten, der stutzig macht. Denn in Heimen und Sozialwesen – einem allein schon durch die demografische Entwicklungen ständig wachsenden Bereich – wuchs die Zahl der Beschäftigten in Sachsen um 1.337.

Doch gerade in Leipzig gab es hier einen regelrechten Einbruch um 686 Personen. Als hätten gleich mehrere Pflegeheime auf einmal dicht gemacht. Was ja nicht der Fall war.

In anderen Branchen, in denen das Thema Mindestlohn heiß diskutiert wurde, sind hingegen weitere Arbeitsplätze entstanden – auch in der Gastronomie, wo es in Leipzig einen Zuwachs um 414 Beschäftigte gab.

Ziemlich deutlich ist aber nun, dass ganz speziell Leipzig ein echtes Problem hat, besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn sachsenweit sind die Zahlen auch bei älteren Arbeitsuchenden und Langzeitarbeitslosen rückläufig. Und der landesweite Anstieg bei Ausländern im März geht fast komplett auf den Leipzigs zurück.

Die Integrationsinstrumente stimmen also in Leipzig nicht. Und das Abkommen der Stadt mit dem Jobcenter zur Erreichung bestimmter Zielparameter ist sichtlich Murks, ist ganz und gar auf Zahlenkontingente und Finanzbudgets geeicht (die trotzdem Jahr um Jahr verfehlt werden), statt sich wirklich einmal auf ein funktionierendes System von Qualifizierungen und echten (keine bloß statistischen) Integrationen zu konzentrieren.

Und das ist jetzt tatsächlich ein ganz und gar selbstgemachtes Problem, dass die Sozialkosten für Leipzig völlig sinnloserweise aus dem Ruder laufen lässt.

“Gründe für den Anstieg der Arbeitslosigkeit im Rechtkreis SGB II sehe ich vor allem im Zugang von Arbeitslosen nach schulischer Ausbildung oder nach dem Studium und im Rückgang von Teilnehmern in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen“, meint zwar Nadia Arndt. Das passt aber nicht zu den betroffenen Gruppen derer, die jetzt wieder vermehrt in den tröstenden Armen des Jobcenters landen. Denn bei den unter 25-Jährigen sanken die Zahlen.

Arbeitslosenzahlen im März in den sächsischen Agenturbezirken.

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