Es gibt eine Reihe Themen, die schwelen derzeit in Sachsen und Mitteldeutschland so vor sich hin. Man redet drüber, aber man nimmt sie nicht wirklich ernst. Irgendetwas verändert sich - aber es gibt immer noch etwas, was jetzt mal gerade wichtig ist. Demografische Entwicklung? Wohnungsmarktengpässe? Arbeitskräftemangel? - Letzteres gerade Thema einer Studie, aus der die Arbeitsagentur herausliest: "Sachsen hat noch reichlich Potenzial".

Das Arbeitskräftepotenzial im Osten sei nach wie vor viel höher als im Westen, teilte denn auch die Sächsische Arbeitsagentur am 8. Mai mit. In Ostdeutschland stünden einer freien Stelle insgesamt elf Bewerber gegenüber. Dieses Verhältnis sei damit doppelt so hoch wie in den westlichen Bundesländern.

Das las man so aus einem Arbeitsmarktvergleich des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen heraus.

„Innerhalb Mitteldeutschlands haben die drei Länder verschiedene Stärken und Schwächen. Sachsen und Thüringen haben sich bisher besser entwickelt als Sachsen-Anhalt. Schon heute kommt es in einigen Regionen, in ausgewählten Berufen zu Fachkräfteengpässen“, erklärt dazu Antje Weyh, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Regionalstützpunktes Sachsen, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Was hat die Sächsische Arbeitsagentur aus der Studie des IAB (einer Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit) herausgelesen?

1. Sachsen hatte seit der Wende im mitteldeutschen Vergleich den geringsten Bevölkerungsverlust, die Bewohner sind aber mit durchschnittlich 45,2 Jahren am ältesten.

2. Sachsen-Anhalt am dünnsten besiedelt.

Sachsen-Anhalt ist nach Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit 113 Einwohnern je Quadratkilometer das am dünnsten besiedelte deutsche Bundesland. Thüringen und Sachsen haben mit 134 und 220 Einwohnern je Quadratkilometer eine höhere Bevölkerungsdichte, liegen jedoch unter dem bundesweiten Durchschnitt von 229. Die ländliche Struktur ist ein Grund dafür, warum es in Ostdeutschland schwieriger ist, dass Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage zusammenfinden.

3. Geringster Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung in Sachsen.

Im Vergleich der drei Bundesländer hat Thüringen den höchsten Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung (22,4 Prozent). In Sachsen-Anhalt lag der Anteil bei 19,8 Prozent, in Sachsen bei 18 Prozent. Die Dienstleistungsbereiche hingegen haben wiederum in Sachsen mit einem Anteil an der Bruttowertschöpfung von 68,3 Prozent einen größeren Stellenwert als in Sachsen-Anhalt (65,6 Prozent) und Thüringen (65,0 Prozent).

4. Die Verteilung der Beschäftigten auf Betriebsgrößenklassen zeigt in allen drei Ländern eine Konzentration auf Kleinbetriebe. Das ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die Exportquote immer noch deutlich geringer ist als in den westlichen Bundesländern.

5.  Im Bereich der Zeitarbeit ist der Beschäftigungsanteil in Thüringen mit 3,8 Prozent am höchsten. Dies wiederum ist unter anderem auf die starke Stellung des verarbeitenden Gewerbes zurückzuführen, denn der Großteil der Leiharbeitnehmer wird in industrietypischen Fertigungsberufen eingesetzt. Das Normalarbeitsverhältnis ist allerdings nach wie vor die häufigste Beschäftigungsform. Der Flexibilisierungsgrad liegt in Sachsen mit 35 Prozent sogar unter dem ostdeutschen Wert.

Welche Schlussfolgerungen zieht die sächsische Arbeitsagentur aus den Zahlen?

“Die Halbierung der Arbeitslosenzahl zwischen 2005 und 2013 hat dazu geführt, dass sich das Ungleichgewicht zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage zunehmend verringert hat. Kamen in Sachsen 2007 noch gut 20 Arbeitslose auf eine bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Arbeitsstelle, waren es 2013 nur noch 11”, stellt die Arbeitsagentur fest. “Für Arbeitsstellen, für die Helfertätigkeiten verlangt werden, stehen immer noch viel mehr Arbeitslose zur Verfügung als für qualifizierte Tätigkeiten. Auf eine gemeldete Helferstelle kamen 2013 in Sachsen 40 Arbeitslose, auf eine gemeldete Stelle für Fachkräfte nur 7 Arbeitslose. Diese Verhältnisse sind für Thüringen noch kleiner, womit insbesondere dort Hinweise auf mögliche Fachkräfteengpässe gegeben sind.”

Die blanken Zahlen bestärken also die Sächsische Arbeitsagentur in der Einschätzung, dass es in Sachsen noch keinen Fachkräftemangel gibt.

Oder vielleicht doch?

Denn die generellen Zahlen sagen eben leider nichts aus über die tatsächliche Nachfrage der Unternehmen. Aber das wirkt sich bisher vor allem dadurch aus, dass die Dauer einer Suche nach der richtigen Fachkraft sich verlängert.

Mit den Worten der Arbeitsagentur Sachsen:

“Angesichts des sinkenden Arbeitskräfteangebots haben die Betriebe zunehmend Schwierigkeiten bei ihrer Personalsuche und können immer öfter ihre freien Stellen nicht sofort besetzen. Die größten Besetzungsprobleme sehen sie in zu wenig Bewerbern, fehlenden Zusatzqualifikationen, hohen Lohnforderungen seitens der Bewerber oder in ungünstigen Arbeitsbedingungen.”

Da kommt die “Vorreiterrolle” von Thüringen ins Spiel, wo die Unternehmen erstens viel stärker in Konkurrenz zu Unternehmen im benachbarten Bayern oder Hessen stehen und deshalb auch deutlich weniger Bewerber auf freie Stellen haben: Sie sind schon länger zu Kompromissen bei der Einstellung gezwungen.

Die Ergebnisse aus dem IAB-Betriebspanel 2013 zeigen, dass Thüringer Betriebe am häufigsten Kompromisse eingegangen sind, um freie Stellen zu besetzen. Hier lag der Anteil der mit Kompromissen eingestellten Fachkräfte an allen Fachkräfteeinstellungen bei 31 Prozent. In Sachsen waren es 23 und in Sachsen-Anhalt 19 Prozent. Diese Kompromisse umfassen zusätzliche Einarbeitungszeiten, Weiterbildungen oder auch höhere Löhne. Besonders Betriebe im Handel, in unternehmensnahen Dienstleistungen und im verarbeitenden Gewerbe waren bereit, Kompromisse einzugehen.

Aber in Sachsen wird auch mit anderen Angeboten experimentiert, um wichtige Fachkräfte an den Betrieb zu binden: spezifische Personalentwicklungsmaßnahmen oder mehr Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Aber erzählen simple Arbeitsmarktdaten, was da gerade passiert?

Natürlich nicht.

Deswegen erzählen wir die Geschichte gleich noch einmal ein bisschen anders.

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