Nicht nur das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) lässt sich alle Jahre wieder so schön berechnen, dass man dann ein nettes Bundesländer-Ranking draus machen kann. Denn wenn man den Gesamthaufen dessen hat, was in einem Land wie Sachsen 2014 insgesamt an Produkten und Dienstleistungen alles umgesetzt wurde, dann kann man das auch ganz hübsch umrechnen auf die Arbeitsstunde des jeweiligen Geldverdieners.

Und so haben Sachsens Statistiker jetzt auch so etwas Schönes ausgerechnet wie: “37,52 Euro BIP je Arbeitsstunde wurden in Sachsen 2014 von den Erwerbstätigen erwirtschaftet”.

Und für alle, die dazu die Ausgangszahlen brauchen: “Das in Sachsen erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Höhe von knapp 109 Milliarden Euro im Jahr 2014 wurde in rund 2,9 Milliarden Arbeitsstunden von 2,02 Millionen Erwerbstätigen mit einem Arbeitsplatz im Freistaat erzielt. Pro Arbeitsstunde ergab sich ein BIP in jeweiligen Preisen von 37,52 Euro, welches einem realen Anstieg um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr entsprach. Im Vergleich zum Jahr 2010 konnte preisbereinigt ein Zuwachs um fast sechs Prozent festgestellt werden.”

Heißt also im Klartext: Mühsam nährt sich das Kaninchen. Denn im BIP steckt ja nun einmal jede Menge Einkommen. Und die Einkommen sind in Sachsen nicht wirklich üppig gestiegen. Was auch am Branchenmix liegt und an der Art der Jobs, mit denen die Einheimischen beglückt wurden. Ergebnis: “Das BIP je Arbeitsstunde entsprach aktuell rund 76 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnittswertes und lag geringfügig unter dem Ergebnis der fünf neuen Länder.”

Das dürfen sich auch die Sachsen auf der Zunge zergehen lassen: Sie lagen auch unterm ostdeutschen Durchschnitt.

Der lag nämlich bei 56.652 Euro (Sachsen: 53.745). Die grausame Wahrheit ist: Es gibt nur zwei Bundesländer, in denen das BIP pro Stunde noch geringer ist – Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Alle anderen ostdeutschen Bundesländer liegen drüber, selbst das gern gescholtene Sachsen-Anhalt. Und es fällt auch auf: Es sind alles Länder mit einer geringeren Exportquote als Sachsen. Unübersehbar macht sich die über Jahre praktizierte Niedriglohn-Politik selbst im sächsischen BIP bemerkbar.

Aber es könnte sich ja was tun, lesen die Kamenzer Statistiker aus den Zahlen heraus: “Die reale Entwicklung in Sachsen war gegenüber dem Vorjahr und insbesondere gegenüber dem Jahr 2010 dynamischer als auf Bundesebene.”

Das sind die 2,1 Plus gegenüber 2013, die sie in der Statistik finden. In Thüringen gab es übrigens einen ähnlichen “Sprung nach oben”.

Aber dass beide Länder beim Stunden-BIP im Keller herumkriechen, hat natürlich Gründe, die auch in Kamenz bekannt sind: “Bezieht man das BIP auf die erwerbstätigen Personen, so muss berücksichtigt werden, dass in dieser Angabe auch die Teilzeitarbeitenden oder die marginal Beschäftigten als ‘ganze’ Personen enthalten sind. Für Sachsen ergibt sich aktuell ein BIP je Erwerbstätigen in Höhe von 53.745 Euro in jeweiligen Preisen. Dieser Wert entsprach 79 Prozent des gesamtdeutschen  Ergebnisses. Im Vergleich zu 2013 betrug der reale Anstieg in Sachsen 1,3 Prozent und im Vergleich zum Jahr 2010 rund 4 Prozent.”

Wenn man erst einmal die Zahlen hat, kann man sie ja auf verschiedene Weise durch den Rechner drehen: “Das BIP kann auch auf die Bevölkerungszahl bezogen werden – dies ergibt in Sachsen  aktuell 26.329 Euro je Einwohner. Dieses Ergebnis wird jedoch vom Pendlerverhalten der Erwerbstätigen beeinflusst und nicht nur von den jeweiligen Einwohnern erwirtschaftet.”

Was auch egal ist. Denn wichtiger ist natürlich, welcher Branchenmix in einem Land vorhanden ist. Denn die vorherrschenden Branchen bestimmen am Ende den Preis für alles – und das Lohnniveau im Konkreten. Deswegen dominieren auch 2014 wieder die beiden Bundesländer, in denen Handel und Finanzdienstleistungen den Ton angeben: Hamburg und Hessen. Hier werden die größten Umsätze gefahren, hier gibt es auch die Branchen mit dem höchsten Lohnniveau. Die Dominanz des Handels sorgt auch dafür, dass das eigentlich arme Bremen in der Spitzengruppe mit auftaucht.

Dahinter folgen logischerweise die eigentlichen Industrie-Länder – in der Reihenfolge Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen. Danach kommt der komplette westdeutsche “Mittelstand”. Und ganz hinten reihen sich die ostdeutschen Bundesländer ein (mit dem kleinen Ausreißer Berlin). Und wer noch vor zehn Jahren glaubte, Sachsen würde sich hier dauerhaft als Primus erweisen, sieht sich nun schon ein paar Jahre eines Besseren belehrt: Beim Stunden-BIP wird es schon lange von Brandenburg und nun auch noch von Sachsen-Anhalt abgehängt. Das hat nichts mit der Produktivität zu tun, auch nichts mit dem nachweisbaren Exporterfolg der sächsischen Industrie. Aber die macht am gesamten BIP in Sachsen nun einmal nur ein Fünftel aus.

Das heißt: Die meisten Arbeitsstunden fallen in den anderen Branchen an. Und da sind die Stundensätze eben auch beim Lohn deutlich niedriger, dominieren auch die erwähnten marginalen Beschäftigungen. Und der größte Wirtschaftsbereich ist nun einmal mit fast zwei Dritteln der Dienstleistungsbereich. Das Stunden-BIP ist bei “öffentlichen und sonstigen Dienstleistern” mit 30,59 Euro deutlich niedriger als im produzierenden Gewerbe mit 40,94 Euro. Und wer daran denkt, dass in Leipzig auch noch Handel, Verkehr und Gastgewerbe eine wesentliche Rolle spielen, wird über die dort erreichten 26,56 Euro nicht wirklich glücklich sein.

Aber das, was in einer Stunde “produziert” wird, entscheidet am Ende eben darüber, wie hoch die Einkommen in der Branche sind. Oder eben über das, was verteilt werden kann.

Und da wird dann auch die Kurve der Erwerbstätigen etwas erklärlicher. Denn tatsächlich hat das seit 2010 steigende Bruttoinlandsprodukt zwar dafür gesorgt, die Zahl der Erwerbstätigen deutlich steigen zu lassen. Aber das Arbeitsvolumen ist nicht gestiegen. Tatsächlich ist es seit 2008 sogar gesunken – von 2,92 Millionen Stunden auf 2,89 Millionen. Pro Erwerbstätigem also von 1.480 auf 1.432.

Da stecken eine Menge marginaler Beschäftigungsverhältnisse drin. Es gab also mehr Arbeitsangebote für mehr Menschen, ohne dass sich das Arbeitsvolumen selbst erhöht hat. Das funktioniert natürlich nur so lange, bis der Arbeitsmarkt leergefegt ist. In einigen Branchen ist das auch schon in steigende Bruttolöhne umgesetzt worden.

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Vielen Dank an Sachsens Statistiker, welche die Zahlen beigetragen haben und tausend Dank an Ralf Julke für die Aufbereitung derer 😉

Und Dank auch an die wirtschaftskompetente sächsische Politik, ohne diese das Desaster wohl nicht möglich wäre.
* Anm. der Redaktion: Dieser Kommentar wurde gekürzt.

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