Zu den Illusionen vieler Bundesbürger gehört, dass die Bundesrepublik nicht nur ein reiches, als auch ein relativ gerechtes Land ist und dass die Bürger auch recht ausgewogen am Vermögen des Landes Teil haben. Dass das nicht der Fall ist, zeigte schon 2010 der "Household Finance and Consumption Survey" (HFCS). Er ergab für Deutschland einen Gini-Koeffizienten von 0,758. Nur in Österreich waren die Vermögen noch ungleicher verteilt.

Ausgewogen wäre eine Vermögensverteilung bei einem Gini-Koeffizienten von 0,5. Bei 0,0 gäbe es eine völlige Gleichverteilung der Vermögen (alle besäßen gleich viel), bei 1,0 besäße ein einziger Haushalt alles. Mit 0,758 hat Deutschland eindeutig eine hohe Ungleichverteilung der Vermögen.

Und das hat Folgen. Darüber diskutieren dieser Tage auch Medien und Politik. Die Bundesregierung muss ein neues Erbschaftssteuergesetz vorbereiten, weil das zuletzt vorgelegte eindeutig nicht vor Gericht standhält – es beinhaltet zu viele Ausnahmetatbestände. Heiß diskutiert wurden in der damaligen Gesetzesdebatte die Betriebsvermögen. Selbst die Kammern in Sachsen machten mobil, obwohl 99 Prozent aller Unternehmen praktisch nicht betroffen wären. Doch solche Debatten gleiten schnell ins Generelle, weil die eigentlich Betroffenen natürlich jede Menge Finanzkraft haben, um für ihre Interessen eine umfassende Medien- und Lobbypolitik zu organisieren.

Mit der Ungleichverteilung der Vermögen in Deutschland hat sich jetzt etwas ausgiebiger Sebastian Leitner beschäftigt. Er ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Auch diesen Beitrag hat die Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht. Er geht darauf ein, dass auch der “Household Finance and Consumption Survey” die wirkliche Ungleichverteilung der Vermögen in Deutschland nicht erfasst hat. Das Grundproblem ist ein leicht verständliches: Wer wirklich reich ist, wird darüber kaum in einer Haushaltsbefragung Auskunft geben. Die wirklich reichen Haushalte werden also von solchen Haushaltsbefragungen gar nicht erfasst. Auch wenn schon der Survey von 2010 sehr deutlich zeigte, was Einfluss auf die Vermögensverteilung in Deutschland hat.

Erben und Schenken im Fokus

Und die wichtigsten Faktoren sind in einem Land wie der Bundesrepublik, in der gerade die Nachkriegsgeneration große Vermögen aufbauen konnte, Erbschaften und Schenkungen. Sie bestimmen zu 38 Prozent die Vermögensverteilung in Deutschland. Zu 17 Prozent bestimmen die Haushaltseinkommen mit, zu 19 Prozent das Durchschnittsalter der Haushalte – ältere Vermögensinhaber haben deutlich mehr Vermögen als jüngere. Erst dann folgen mit 11 Prozent die Haushaltsgröße und mit 10 Prozent der Bildungsstand.

Aber wie gesagt: das sind die Verhältnisse aus dem 2010 errechneten Gini-Koeffizienten. Zu dem Leitner sagt: “Die Tatsache, dass eine relativ geringe Anzahl an Haushalten einen relativ großen Anteil des gesamten Privatvermögens hält, führt zu einer Unterschätzung der Vermögensungleichheit bei Verwendung von Daten aus Haushaltsbefragungen (SOEP sowie HFCS). Zunächst einfach deswegen, weil die Wahrscheinlichkeit, diese wenigen wohlhabenden Haushalte in der Stichprobe der befragten Haushalte gut abzudecken, relativ gering ist. Darüber hinaus lehnen vermögendere Haushalte die Teilnahme an Haushaltsbefragungen tendenziell eher ab und beantworten Fragen zu Vermögensbeständen und deren Erwerb ungern.”

Was dann natürlich Hintergrund der Erbschaftssteuerdebatte ist.Denn wie will man die Steuerkraft der richtig großen Vermögen bewerten, wenn deren Besitzer kaum bereit sind, Auskunft zu geben?

Zumindest kann man mit einigen Hilfsmitteln herausbekommen, wie groß die Ungleichheit in Deutschland tatsächlich ist, stellt Leitner fest: “Durch Hinzunahme von Informationen über die Reichsten einer Gesellschaft aus anderen Datensätzen, wie zum Beispiel der Liste der Milliardäre des Forbes Magazins, kann jedoch eine bessere Schätzung des Vermögensbesitzes der wohlhabendsten Gruppen der Gesellschaft vorgenommen werden. Der Anteil des reichsten Prozents der Haushalte liegt sodann in Deutschland bei 33 Prozent des gesamten Privatvermögens (statt bei 24 Prozent basierend auf HFCS-Daten), der Anteil der reichsten fünf Prozent der Haushalte bei 52 Prozent.”

Die stille Spitze

Da wird die finanzielle (und damit auch politische) Macht der deutschen Vermögenselite sichtbar: 5 Prozent der Haushalte verfügen über 52 Prozent, also mehr als die Hälfte aller Vermögen. 1 Prozent kann über ein Drittel verfügen.

Natürlich geht Leitner darauf ein, warum bei solcher gigantischen Vermögensballung bei ziemlich wenigen Haushalten die Diskussion um die Erbschaftssteuer derart an Heftigkeit zunimmt: “Insgesamt ist festzuhalten, dass in allen Wohlstandsgesellschaften die Bedeutung von Erbschaften und Schenkungen für den Vermögensaufbau  der Haushalte stetig zunimmt. Dies ist auch eine der wesentlichen Beobachtungen des französischen Ökonomen Thomas Piketty, dessen Analysen in den letzten Jahren die Diskussionen zum Thema Vermögensungleichheit befeuert haben. In Deutschland belief sich die geschätzte Höhe der jährlichen Erbschaften in den 1960er Jahren noch auf weniger als zwei Prozent des Nationaleinkommens; 2009 waren es bereits etwa elf Prozent – Tendenz steigend.”

Aber wer wird von diesem Vermögen etwas abgeben wollen? Mehrfach kamen deutschen Bundesregierungen deshalb unter Druck und haben dem auch immer wieder nachgegeben. Mit dem Ergebnis, dass ein immer kleinerer Teil der vererbten Vermögen als Steuer in den Staatshaushalt zurückfloss.

Sebastian Leitner: “Auch die Einnahmen aus der Erbschafts- und Schenkungssteuer sind in Deutschland angestiegen – jedoch insbesondere seit Anfang der 1990er Jahre unterdurchschnittlich. Die jährlichen Erb- und Schenkungsflüsse betrugen im Jahr 1990 geschätzte 60 Milliarden Euro und stiegen auf ca. 220 Milliarden Euro im Jahr 2010, während die Einnahmen aus Erbschafts- und Schenkungssteuer von 1,5 Milliarden Euro auf nur 4,4 Milliarden Euro anwuchsen. Nebst hohen Freigrenzen ermöglicht der Gesetzgeber durch weitreichende Steuergestaltungsmöglichkeiten (z.B. Verlagerung von Privatvermögen in Betriebsvermögen) eine wesentliche Reduktion der effektiven Steuersätze. Die derzeit noch geltende Begünstigung von Betriebsvermögen ging selbst dem Bundesverfassungsgericht zu weit; eine Neuregelung durch den Gesetzgeber muss bis Ende Juni 2016 erfolgen.”

Entsolidarisierung schadet auch “der Mitte”

Und natürlich hängt dieses Thema ganz direkt mit der Demokratie zusammen – denn wenn ein kleiner Teil sich auf Kosten der Gesellschaft immer mehr bereichert und entsolidarisiert, leiden nicht nur die “ganz unten” darunter. Das Gefühl, für Leistung nicht mehr belohnt zu werden, verbindet sich gerade im sonst so gefeierten Mittelstand mit der zunehmenden Angst vor dem Absturz.

Sebastian Leitner: “Darüber hinaus stellt die seit den 1980er Jahren erfolgte Umverteilung von unten nach oben ein zunehmendes Problem für demokratisch verfasste Leistungsgesellschaften dar. Der Begriff der Leistungsgerechtigkeit kann nur mehr schwer als Legitimation für materielle Unterschiede zwischen Personen und Bevölkerungsgruppen herangezogen werden, wenn die Gehaltsschere zwischen Topverdiener_innen und einfachen Angestellten rasant auseinandergeht und Vermögensunterschiede zunehmend auf den Zufall, in die ‘richtige’ Familie geboren zu sein, zurückzuführen sind. Werden die Differenzen in den Lebensrealitäten zwischen ‘oben’ und ‘unten’ größer, fühlen sich jedoch nicht nur die ‘unten’ ausgegrenzt. Insbesondere der sogenannte Mittelstand hat Angst davor, trotz treu gelebter Leistungsmoral Status und Freiheitsräume zu verlieren. Sinkende Einkommen und soziale Mobilität bedrohen seine Aufstiegschancen und insbesondere die seiner Kinder. Die gängige Reaktion ist Entsolidarisierung, das Verteidigen des Erreichten gegenüber denen da ‘unten’, zu denen man nicht gehören möchte.”

Da bekommen auch die ganzen Berichte zu wachsenden Geldvermögen und Sparanlagen eine ganz andere Nuance. Denn die Frage ist: Wer häuft da eigentlich immer mehr Vermögen an? Die Normalverdiener und all jene, die heute noch glauben, Teil des Mittelstands zu sein, sind es eher nicht.

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Es gibt 2 Kommentare

Das ist auch tagespolitisch das Problem: In der Öffentlichkeit äußern sich weitgehend nur die Mittelständler und die Ärmeren. Die sog. “Reichen” halten sich einfach raus.

Wenn es aber so ist, dass die Mittelständler Angst vor dem Abstieg haben, nimmt mich es überhaupt nicht wunder, wenn gegen Hartz-IV-Empfänger und Flüchtlinge unter der Gürtellinie polemisiert wird.

Dazu passen auch diverse Verwerfungen in der Arbeitswelt, angefangen damit, dass Mittelständler Überstunden schuften, um einfach auch mehr Geld zu bekommen, während andere ganz ohne Arbeit dastehen. (Überstunden werden nicht immer unfreiwillig geleistet. Wenn es den Arbeitsplatz sichert oder gar eine Verbesserung in Gehalt oder Position ansteht: um so lieber.)

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