Wenn eine Stadt mit dem Tempo wächst, wie das Leipzig derzeit tut, dann sollten sich eigentlich eine Menge Baukräne drehen. Doch noch immer wirkt das Stadtbild so, als sei jede Menge Platz und der Leerstand so groß, dass man noch auf Jahre hinaus Zuwanderung unterbringt. Nur hinter den Kulissen wird ein bisschen gestritten über die reale Zahl der leerstehenden Wohnungen.

Die könnte man sogar genau ermitteln, denn fein durchnummeriert sind die Wohnungen alle im Melderegister der Stadt Leipzig verzeichnet. “Aber die Gesetzeslage verbietet uns, diese Zahlen auszulesen”, sagt Peter Dütthorn, Abteilungsleiter Statistik im Amt für Statistik und Wahlen.

Also muss man irgendwie versuchen, die Zahl der leerstehenden Wohnungen zu schätzen. Die letzte halbwegs konkrete Zahlenbasis hat man aus dem Jahr 2011, als der große Zensus stattfand und alle Wohnungsbesitzer angeschrieben wurden und ihre Wohnungsbestände zahlenmäßig angeben mussten. Das Ergebnis war eine schöne Zahl: 39.885 Wohnungen in Leipzig, die offiziell leerstanden. 12 Prozent des Wohnungsbestandes. Leipzigs Stadtverwaltung atmete auf. Das war damals durchaus noch genug, um nicht unruhig zu werden, auch wenn ein Großteil dieser Wohnungen gleichzeitig als unvermietbar galt.

Aber wie sah es nun drei Jahre später aus?

Immerhin hatte Leipzig bis zum Dezember 2014 schon wieder 34.000 Einwohner dazu bekommen. Die sind nicht alle als Singles in je eine Wohnung gezogen. Das nicht. Aber das waren auch nicht alles Pärchen oder Familien. Deswegen haben Leipzigs Statistiker versucht, die neuen Zahlen gewissermaßen zu errechnen. Ein Grundfaktor dabei ist die Zahl 1,7. Im Schnitt leben 1,7 Personen in einer Wohnung in Leipzig. In der Zahl sind Singles, Paare, Wohngemeinschaften und Familien alle gemischt.

Schon mit diesem Faktor kommt man auf rund 20.000 Wohnungen, die seit 2011 zusätzlich bezogen worden sein müssen. Es wurden auch ein paar hundert Wohnungen neu gebaut. Im Frühjahr hatten Leipzigs Stadtplaner schon mal verraten, was bei der Schätzung herausgekommen war: 22.000 leerstehende Wohnungen.

Im neuen Quartalsbericht stehen jetzt zwar 21.400. Aber die Zahl hat ihre Tücken, denn Leipzigs Statistiker haben versucht, den Wohnungsleerstand auf Ortsteilebene zu erfassen. Das ist möglich, denn durch das Melderegister wissen sie, wie viele Menschen in den Ortsteilen dazu gekommen sind. Gleichzeitig kennt man die Zahlen der Neubauten in den Ortsteilen und kann dann zum Beispiel für Neustadt-Neuschönefeld so eine Rechnung aufmachen:

2011 gab es dort offiziell 7.089 Wohnungen, bis 2014 kamen durch Neubau und Sanierung etliche neue dazu, so dass dann 7.262 Wohnungen zur Verfügung standen. Da aber deutlich mehr Menschen hinzogen als entsprechende Wohnungen neu entstanden, ist die Zahl der leerstehenden Wohnungen von 1.784, die 2011 offiziell gezählt wurden, gesunken, Schätzungsweise auf 500. Die Zahl ist gerundet. Ganz ähnlich wie in Volkmarsdorf, wo sich der Bestand der leerstehenden Wohnungen von 2.419 auf geschätzte 1.200 halbiert haben muss.

Und das sind Ortsteile, für die die Leipziger Statistiker noch einigermaßen aussagekräftige Werte bekommen haben.

In anderen sind sie schier verzweifelt, haben ein “x” hingemalt und da und dort erläutert: “Keine Angaben möglich.” Das müssen schreckliche Momente sein für Statistiker.

Vor allem, weil es eben nicht nur Ortsteile mit sowieso schon kleinem Bestand an freien Wohnungen betraf, sondern auch gerade solche, die in den letzten drei Jahren deutlich Zuzug hatten: Reudnitz-Thonberg etwa, wo es 2011 noch 1.378 leerstehende Wohnungen gab. Ebenso wenig können die Statistiker sagen, was aus den 866 leer stehenden Wohnungen in der Südvorstadt geworden ist oder den 639 in Lindenau. Dass da im Westen die Post abgeht, wird an der Zahl für Altlindenau sichtbar, wo sich der Bestand freier Wohnungen von 2.274 auf geschätzte 900 verringerte. Auch in Möckern hat sich die Zahl halbiert – von 1.059 auf 550.

Die Gesamtsumme von 21.400 leerstehenden Wohnungen zum Dezember 2014 kann also durchaus nur ein ganz vager Treffer im Nebel sein. “Aber wir wollten mit den Zahlen jetzt in die Öffentlichkeit gehen”, sagt Dütthorn. “Für die Ergebnisse können wir einstehen.”

Der Trend ist klar: Überall im Stadtgebiet füllen sich die Straßenzüge wieder. In Schönefeld, wo aus 1.239 leerstehenden Wohnungen wohl noch ein Rest von 500 wurde, genauso wie in Plagwitz, wo von einstmals 1.042 freien Wohnungen nur noch ein kläglicher Rest von 50 zu schätzen ist.

Es deutet also einiges darauf hin, dass sich Leipzig mit einem erheblichen Tempo füllt und die Reserven binnen zwei, drei Jahren aufgebraucht sind.

Das Tempo beim Wohnungsneubau müsste also deutlich forciert werden.

Aber genau das stößt an die Grenzen des Finanzierbaren. Denn Leipzigs Stadtplaner gehen zu Recht davon aus, dass die Vermietungskosten für Neubau eigentlich bei 8 bis 8,50 Euro liegen müssten, wenn alle Auflagen der Bundesbauvorschriften eingehalten werden. Solche Mieten aber kann man in Leipzig nur in exzellenten Lagen erzielen. Ein Dilemma, das auch die Hauseigentümer und Wohnungsgesellschaften nun seit über einem Jahr kritisieren, ohne dass die hartleibigen Regierungen in Berlin oder Dresden reagieren. Das Hantieren mit der Mietpreisbremse löst das Dilemma ja nicht, denn wenn man nach den geltenden Vorschriften keine sozialen Wohnungen bauen kann, dann ist eine Mietpreisbremse wirkungslos.

Und der sächsische Innenminister fördert lieber Wohneigentum als sozialen Wohnungsbau, ganz so, als wolle er die Großstädte ins offene Messer laufen lassen. Denn nur dort werden jetzt immer mehr bezahlbare Wohnungen gebraucht, während die ländlichen Räume über Bevölkerungsschwund klagen.

Vielleicht will er auch, dass die Leute einfach alle pendeln. Kann ja sein.

Dabei pendeln sie ja schon alle. Über 90.000 Menschen kommen nach Leipzig rein, um hier einer Arbeit nachzugehen.

Also widmen wir uns im nächsten Teil mal den Pendlern.

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