Ein dreiviertel Jahr ist herum seit der offiziellen Einführung des Mindestlohns in Deutschland und auch die näheren Wirtschaftsinstitute können jetzt feststellen, dass die erwartete Katastrophe ausgeblieben ist. Und die Katastrophe hieß damals - etwa aus Sicht des ifo Instituts: massiver Verlust von Arbeitsplätzen. Das ist sichtlich nicht passiert. Dafür hat's die marginalen Jobs erwischt.

Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) stellt jetzt zwar fest: “Viele Ökonomen haben prognostiziert, dass die Anzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs) als Folge des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns deutlich zurückgehen wird.” Aber in dieser Formulierung fehlt etwas. Denn “viele Ökonomen” – eben wie beim ifo Institut in Dresden – prophezeiten schlicht den Wegfall dieser Jobs und lauter eben noch prekär Beschäftigte, die nun auf einmal keinen Job mehr haben würden.

Doch genau so ist es nicht gekommen, weil in dieser Prophezeiung – wie so oft – die andere Hälfte der Gleichung fehlte. Denn Arbeitsplätze entstehen eben nicht, weil Arbeitgeber so gnädig sind, Leuten einen schlecht bezahlten Job anzubieten, sondern weil schlicht der Bedarf an Arbeit vor Ort existiert, für die Unternehmer dann eine Lösung finden, mit der sie den Bedarf erfüllen können. Und wenn der Staat erlaubt, solche Jobs mit schlechter Bezahlung zu schaffen, dann tun das Unternehmer. Aber in der Regel natürlich nur so lange, bis ihre Arbeitskräfte für das Geld nicht mehr arbeiten wollen.

Und genau das ist passiert. Denn der Mindestlohn traf zeitlich direkt mit einem anderen Phänomen zusammen: dem drastisch wachsenden Fachkräftemangel im Osten.

Was dann in der IWH-Statistik ein gar nicht überraschendes Ergebnis mit sich bringt: “Tatsächlich hat sich die Anzahl der gewerblichen Minijobs im Juni 2015 um ca. 190.000 Beschäftigungsverhältnisse gegenüber dem Vorjahr reduziert, wie eine Darstellung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zeigt. Der Rückgang ist durchschnittlich umso größer, je mehr Personen in einem Bundesland vor Einführung des Mindestlohns weniger als 8,50 Euro brutto je Stunde verdienten.”

Heißt im Klartext: In den östlichen Bundesländern ging die marginale Beschäftigung deutlich stärker zurück als im Westen, wo die Unternehmen schon länger in einem starken Wettbewerb um Arbeitskräfte stehen und Geschäftsmodelle, die vor allem auf marginaler Beschäftigung beruhen, eher wenig Chancen haben.

Im Osten wurden die Segnungen der marginalen Beschäftigung auch bis 2014 noch als Heilmittel für einen Arbeitsmarkt verkauft, auf dem die offizielle Arbeitslosigkeit deutlich höher war und ist als im Westen. Und die Branchen, die besonders laut jammerten, sie könnten gar keine Mindestlöhne zahlen, wurden darin von einer recht beratungsresistenten Politik unterstützt, die damit vor allem eines verhinderte: eine Normalisierung des Arbeitsmarktes. Denn etliche dieser wortkräftigen Branchen haben sich in den vergangenen fünf Jahren so gut erholt, dass dort durchaus vollwertige Arbeitsplätze geschaffen werden konnten und auch das Geld für eine halbwegs ordentliche Bezahlung da ist. Der Mindestlohn  hat diese Branchen jetzt zu einer deutlichen Korrektur gezwungen.

In Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern waren nach den Rechnungen des IWH über 20 Prozent der Unternehmen von der Einführung des Mindestlohns betroffen. Und Sachsen gehört mit 7,5 Prozent Rückgang bei den Minijobs zu den Ländern, in denen der Mindestlohn augenscheinlich am deutlichsten zur Korrektur beitrug. Stärker war der Effekt nur noch in Sachsen-Anhalt.

Mindestlohnbetroffenheit heißt in diesem Fall, dass es Lohneffekte gab: Die Löhne sind gestiegen. Die Arbeitnehmer erzielten hier vor dem 1. Januar 2015 einen Bruttostundenlohn von weniger als 8,50 Euro.

Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik am IWH: “Es ist auffällig, dass Bundesländer mit einer hohen Mindestlohnbetroffenheit einen stärkeren Rückgang an Minijobs zu verzeichnen haben als solche mit vergleichsweise niedriger Betroffenheit. Die Abbildung legt daher nahe, dass zwischen beiden Größen ein Zusammenhang existiert.“

Das Institut schränkt ein: Empirische Studien, die kausale Effekte des Mindestlohns auf die geringfügige Beschäftigung wissenschaftlich belegen, seien gegenwärtig noch nicht verfügbar.

Aber unübersehbar ist auch, dass der Mindestlohn eben keineswegs einen Einbruch am Arbeitsmarkt mit sich brachte: Die Bundesagentur für Arbeit verzeichnet sogar einen Rückgang der Arbeitslosenquote im Juni 2015 um 0,3 % auf 6,2 % im Vergleich zum Vorjahresmonat. Aber da wollen die Hallenser Wirtschaftsforscher noch keinen Zusammenhang sehen: “Inwiefern sich dieser Rückgang durch einen Übergang von Minijobs in reguläre Beschäftigungsverhältnisse erklären lässt, ist noch nicht ausführlich untersucht worden.”

Das wird wahrscheinlich ein paar Jahre dauern. Und irgendwann bekommt die SPD ein kleines, verschämtes Lob auch von den Wirtschaftsexperten dafür, dass sie 2014 so tapfer war, in der Regierungskoalition den Mindestlohn durchzudrücken. Denn auch hier gilt: Jede wirtschaftliche Entscheidung hat zwei Seiten. Die simple Betrachtung der Belastungsseite beim Arbeitgeber genügt nicht, denn höhere Lohnabschlüsse bedeuten auch immer höhere Konsumausgaben und höhere Steuererträge, wirken sich also wieder positiv auf die regionale Wirtschaft und die Spielräume der Politik aus.

Nicht die höheren Löhne an sich sind das Gefährliche für eine Wirtschaftsregion, sondern die zu hohen Lohnabschlüsse. Das ist nicht immer leicht auszuhandeln, gerade in einer Region wie Ostdeutschland, die nun seit 25 Jahren in der Niedriglohnfalle festgesteckt hat. Und gerade die massive Einführung marginaler Jobs ab 2005 hat dazu geführt, diesen Zustand zu verfestigen. Diese Erstarrung hat sich mit dem Mindestlohn jetzt erstmals gelöst. Der zunehmende Mangel an Fachkräftenachwuchs wird in dieser Sache weiter für Bewegung sorgen – auch in Sachsen. Bis zu dem Tag, an dem die Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister aufhören, Sachsen als Billiglohnland anzupreisen.

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Es gibt 2 Kommentare

Ich würde eher einer Fernsehwarsagerin glauben als den sogenanten”Wirtschaftsforschungsinstituten”!
Es ist kein Fall bekannt in dem die Weisen dieser Institutem voll richtig lagen!
Aber für pseudowissenschaftliche Kaffesatzleserei solche riesigen Geldmengen zu generieren: Respekt!
Aber es zeigt deutlich, das der sog. fortschrittliche Mensch sich kaum von der abergläubischen Bevölkerung des Mittelalters unterscheidet.

Und da verlangen doch einige Leute aus der Wirtschaft, dass der Mindestlohn wieder abgeschafft werden sollte, damit die Flüchtlinge in Arbeit kommen können, ” weil diese ja so schlecht ausgebildet sein sollen”.
Ein Schelm, wer böses dabei denkt!

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