Am 29. Oktober verkündete die Sächsische Landesregierung ihr 800-Millionen-Euro-Investitionsprogramm "Brücken in die Zukunft". Am 4. November stimmte der Sächsische Städte- und Gemeindetag zu. Seither wird heftig diskutiert. Zeitungen titeln "Geldsegen", als wenn da nun auf einmal Manna vom Himmel käme, Bürgermeister kritisieren, weil's doch irgendwie zu wenig ist. Nun rüffelt CDU-Landtagsabgeordneter Ronald Pohle OBM Burkhard Jung.

Der hatte sich – genauso wie seine Kollegen in Dresden, Chemnitz, Zwickau – recht skeptisch zu dem Programm geäußert. Aber in der Stadtratssitzung am 11. November erklärte Burkhard Jung auch, dass er dem Programm eben doch trotz aller Bedenken zugestimmt habe. Denn tatsächlich brauchen die sächsischen Kommunen das Geld dringend. Jetzt, am besten sofort, auch wenn’s erst 2016 fließt.

Burkhard Jung: “Es ist kein 800-Millionen-Plan des Freistaates. Es sind nur 322 Millionen frisches Geld vom Freistaat, der Rest sind kommunale Mittel. Wir bekommen die Maßnahmen, die wir geplant haben, nach jetzigem Stand durchfinanziert. Im Ergebnishaushalt fehlen uns dadurch jedoch Mittel, die wir ausgleichen müssen.“

An der Zusammensetzung des Fördertopfes reiben sich die Geister. Hätte der Freistaat nicht einfach die 322 Millionen Euro, die er über Steuern in diesem Jahr schon mehr eingenommen hat, einfach als Förderung an die Kommunen ausreichen können? Die 156 Millionen Euro vom Bund obendrauf, der Rest käme ja eh von den Kommunen, oder?

So zumindest klang es im Kurzstatement von Jung.

So hat es auch Ronald Pohle gehört und geht deshalb jetzt in Widerspruch.

Bezahlen die Kommunen ihr Förderprogramm selbst?

“Hinsichtlich der Äußerungen des Oberbürgermeisters Burkhard Jung am Mittwoch im Stadtrat, sehe ich die Notwendigkeit, den Investitionsplan genauer zu betrachten, um ein klares und verlässliches Bild der tatsächlich fließenden Gelder aufzuzeigen”, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete aus Leipzig. “Die Finanzierung des Sondervermögens in Höhe von 800 Millionen Euro wird aus folgenden Mitteln gespeist: 156 Mio. Euro aus Mitteln des Kommunalinvestitionsföderungsfonds des Bundes, 322 Mio. Euro aus Landesmitteln und 322 Mio. Euro aus Mitteln des kommunalen Finanzausgleichs.”

So war es am 29. Oktober auch schon in der Mitteilung der Staatsregierung zu lesen. Und in den Statements der Sprecher der beiden Regierungsfraktionen. Auch die SPD warb für ihren Anteil bei der Schnürung des Paketes.

“Wichtig für uns ist, dass das Geld für zusätzliche Investitionen zur Verfügung steht, also nicht in anderen Förderprogrammen gekürzt wird”, betonte Dirk Panter, Vorsitzender der SPD-Fraktion. “Das Programm ist letztlich ein Konjunkturprogramm für unser Land. Das Paket wird sich auch in den Auftragsbüchern der örtlichen Unternehmen niederschlagen, wir sichern damit Arbeitsplätze. Zudem erhalten unsere Kommunen mehr Planungssicherheit, zeitlich und entkoppelt von künftigen Haushaltsberatungen. Und wir halten uns an den gemeinsam vereinbarten Grundsatz: Keine neuen Schulden.”

“Der Freistaat wird weitere 20 Mio. Euro Landesmittel zur Finanzierung der Fördervollzugskosten in das Sondervermögen einzahlen”, betont nun Pohle. Und rechnet vor: “In der Darstellung von OB Jung werden 478 Millionen Euro als kommunaler Eigenanteil deklariert. Dabei sind in diesen Mitteln 156 Millionen Bundesmittel und je 3×59 Millionen als Vorgriffe auf das FAG 2017/18/19. Diese Vorgriffe werden getätigt, obwohl das Finanzausgleichsgesetz für diesen Zeitraum noch nicht einmal verhandelt ist.”

Letzteres ist der eigentliche Diskussionspunkt. Denn in dieser Form ist der Umgang mit den Finanzausgleichsmitteln für die Kommunen in Sachsen neu.

Ein Vorgriff auf die guten Einnahmen von 2016 bis 2019

Das FAG ist das sächsische Finanzausgleichsgesetz. Darin ist geregelt, wie der Freistaat die finanzschwachen Kommunen im Land an seinen eigenen Steuereinnahmen beteiligt. Das ist in anderen Bundesländern ähnlich. Die meisten Steuern in der Bundesrepublik kassiert der Bund, der zweitgrößte Anteil geht an die Bundesländer. Und die Kommunen (Städte, Gemeinden, Landkreise) haben in der Regel so geringe Steuereinnahmen, dass sie im Grunde ihre Aufgaben nicht aus eigener Kraft finanzieren können.

Wenn der Freistaat Sachsen also Steuermehreinnahmen hat (wie in den vergangenen Jahren), dann werden die erhöhten Steuereinnahmen mit den Kommunen geteilt. Aber – und das ist zu beachten: Der zusätzliche Betrag fließt nicht im selben Kalenderjahr zu den Kommunen, sondern frühestens im folgenden. Die Regel ist – auch so im FAG ausgewiesen – das übernächste Jahr. Die Kommunen können also schon ein bisschen planen mit dem Geld, denn sie wissen ja, wie gut die Steuerjahre waren.

Zu beachten ist auch: Konjunktureinbrüche schlagen sich im Finanzausgleich ebenfalls nieder – dann sinkt auch die Ausschüttungssumme für die Kommunen. An diesem Punkt wirkt die zweijährige Verschiebung der Auszahlung wie ein Puffer – zuletzt in den Krisenjahren 2009 und 2010 erlebt: Ein Teil der Mehreinnahmen aus den Vorjahren wird zurückgestellt und noch einmal mit Verzögerung ausgereicht, so dass auch in finanzschwachen Jahren noch ein Pufferbetrag an die Kommunen fließt.

Neu ist jetzt, dass der Freistaat auch schon Finanzausgleichsmittel ausreicht, die eigentlich erst in den Jahren 2017, 2018 und 2019 ausgereicht werden sollten.

Man ahnt, wie SPD und CDU da beisammen saßen und geknobelt haben, wie man jetzt im Jahr 2015, wo nun alle Kommunen einen drängenden Investitionsbedarf melden, noch auf die Schnelle ein großes Geldpaket schnüren könnte, ohne Schulden aufzunehmen oder gar Gelder zuzusagen, von denen man noch nicht weiß, ob sie auch tatsächlich kommen.

Die jetzt zugesagten Gelder sind augenscheinlich schon alle da, sonst hätte Finanzminister Georg Unland wohl auch nicht zugestimmt.

Die 156 Millionen Euro hat der Bund schon überwiesen.

322 Millionen Euro hat der Freistaat Sachsen schon allein durch die Steuermehreinnahmen 2015 da.

Ebenfalls schon da sind ganz bestimmt auch schon die ersten 59 Millionen Euro FAG-Mittel, nämlich die für 2017. Wenn die Regierung jetzt auch noch FAG-Mittel von 2018 und 2019 mit in das Paket gesteckt hat, müssen zumindest die Steuerschätzungen des Finanzministers besagen, dass diese Gelder ebenfalls mit großer Sicherheit eingenommen werden.

Macht dann schon mal 177 Millionen Euro plus die 322 vom Land und die 156 Millionen vom Bund: zusammen 655 Millionen Euro.

Bleiben noch 145 Millionen Euro an Mitteln, die aus den Steuermehreinnahmen des Freistaats ebenfalls den Kommunen zustehen und ebenfalls schon auf dem Konto liegen. Dass Burkhard Jung gleich mal 478 Millionen Euro als kommunale Mittel deklarierte, hat damit zu tun, dass die vom Bund bereitgestellten Investitionsmittel tatsächlich nur den Kommunen zustehen – der Freistaat hätte sie so oder so durchreichen müssen.

Insofern ist es schon keine dumme Idee, diese Mittel jetzt, wo sie dringend gebraucht werden, mit den verfügbaren Mitteln zu verstärken.  Da kann man sich streiten, ob die gewählte Form die sinnvollste war. Aber keinesfalls wird jemand den dringenden Bedarf bestreiten.

Und was kann man sich für 800 Millionen Euro leisten?

“Ich wünsche mir mehr Sachlichkeit in der Debatte und bitte darum, parteipolitische Spiele wegzulassen”, sagt dazu Ronald Pohle. “Es ist besonders unverständlich, dass die Chemnitzer OB-Kollegin Ludwig und insbesondere der mit üppigen Finanzmitteln ausgestattete Dresdner OB Kollege Hilbert ihre individuelle Unzufriedenheit ausgedrückt haben. Eigentlich sollte Burkhard Jung das mit ihm verhandelte Ergebnis mit Zufriedenheit und Stolz erfüllen. Immerhin beinhaltet das Paket Mittel, welche gerade für Leipzig den dringenden Bedarf an Schulhausbau und Kitas finanzieren hilft. Insofern ist es wichtig, was hinten raus kommt! Und das Ergebnis kann sich aus Sicht der Leipziger CDU Landesabgeordneten durchaus sehen lassen.”

Was kommt also hinten raus?

Das hat die SPD-Fraktion auf ihrer Website schön grafisch aufgeblättert. Irgendwie hat man den sehr hohen Investitionsbedarf der drei Großstädte akzeptiert. Nach Bevölkerung würden sie rechnerisch ein Drittel des Betrages erhalten. Aber sie stehen vor wesentlich größeren Investitionsbedarfen als die Landkreise und deren zugehörige Kommunen.

Also bekommen Dresden, Leipzig und Chemnitz zusammen die Hälfte des Kuchens: 400 Millionen Euro.

Wobei nicht so recht klar ist, wie die Koalition da im Detail gerechnet hat, denn Dresden bekommt mit 163 Millionen Euro ein bisschen mehr Geld als Leipzig (obwohl Leipzig mehr Einwohner hat), Leipzig kann mit 160 Millionen Euro rechnen und Chemnitz mit 77 Millionen.

In die andere Hälfte teilen sich Landkreise und kreisangehörige Kommunen. Die Landkreise bekommen 140 Millionen Euro, die kreisangehörigen Gemeinden 260 Millionen Euro. Wer allein die Zahl der Landkreise und ihrer Städte und Gemeinden sieht, ahnt schon, wie schnell aus dem großen Batzen Geld jeweils ein recht überschaubares Sümmchen wird.

Und was soll davon gebaut werden?

Auch das wurde am 29. Oktober schon recht klar benannt: Schulen, Kindertagesstätten, Sportstätten und kommunale Infrastruktur wie Straßen und Brücken. Da das Programm aber bis 2020 gedacht ist, schmelzen die Einzelsummen aufs Jahr gerechnet freilich noch einmal zusammen. In Leipzig zum Beispiel auf 40 Millionen Euro.

Da ahnt man schon, dass der Überschwang doch etwas verhaltener ausfällt, denn diese Summe braucht Leipzig allein, um sein Schulbauprogramm endlich auf Trab zu bringen. Und so richtig ermunternd wirkt auch die Zusage nicht, dass es ab 2017 für die drei kreisfreien Städte auch noch ein Schulhausbauprogramm von jährlich 10 Millionen Euro geben soll. Das ist deutlich zu wenig, um das Tempo beim Schulbau wirklich zu forcieren.

Aber man ahnt auch, wie sie da alle sitzen und rechnen – Regierung, Oberbürgermeister, Landräte. Der Nachholbedarf bei den Infrastrukturen in Sachsen ist noch immer immens. In großen Teilen sieht Sachsen zwar schön saniert aus – was sogar Besucher aus dem Westen neidisch macht. Aber tatsächlich ist der Investitionsstau im ÖPNV, bei Straßen, Brücken und Schulen auch 25 Jahre nach der großen Einheit nicht abgebaut. Manchmal schwirren ja so Zahlen durch den Raum. In Leipzig dürfte sich der Investitionsstau allein auf über 1,6 Milliarden Euro belaufen. Die Investitionsprogramme für Schulen, Straßen und Brücken reichen weit über das Jahr 2020 hinaus. So betrachtet sind 160 Millionen Euro nicht wirklich viel. Aber so mancher Planer wird sagen: Es ist immerhin etwas.

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