Es klingt zumindest so, als wären Sachsens Statistiker am 10. Dezember besorgt gewesen, als sie meldeten: "Im dritten Quartal 2015 nahezu unveränderte Erwerbstätigenzahl im Vergleich zum Vorjahr in Sachsen". Und das nach fünf Jahren permanenten Anstiegs der Zahlen für Sachsen. Geht der sächsischen Wirtschaft nun die Luft aus? Nicht wirklich.

Aber im Sommer machte sich dann ein echter Doppel-Effekt bemerkbar. Man kann nicht zwei Jahrzehnte lang eine chaotische demografische Politik machen und dann erwarten, dass man trotzdem ein Tischlein-deck-dich mit immer neuen fertigen Arbeitskräften bekommt. Vor acht Jahren, als der damalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt noch mit seiner Demografie-Karawane durchs Land zog, konnte man noch so ein wenig Hoffnung haben, die sächsische Staatsregierung hätte begriffen, worum es geht und würde aus all den demografischen Regionalkonferenzen die Botschaft mitnehmen, dass sie ihre Wirtschafts-, Lohn-, Förder- und Bildungspolitik ändern muss. Und zwar schnell und sachdienlich.

Aber es ist nicht passiert.

Milbradt stolperte über die von ihm selbst eingerührte Sachsen-LB-Affäre. Und sein Nachfolger im Amt, Stanislaw Tillich, hat auch nicht nur verwaltet, sondern 2009 ohne Bedenken die wildesten Liberalisierungs-Ideen des Junior-Partners FDP übernommen. Das Rezept war immer dasselbe: Noch mehr sparen. Die Staatsquote muss runter. Den Rest regelt der Markt.

Das tut er wohl. Aber halt nur in seinem Sinne. Marktsegmente, die nicht funktionieren, werden einfach abgehängt. Regionen, in denen für ein vernünftiges Marktgeschehen wichtige Infrastrukturen fehlen, erlöschen einfach. Markt heißt nun einmal Wettbewerb. Und im Wettbewerb der Regionen gewinnen immer nur die Regionen mit den besseren Infrastrukturen. Ein Friedrich List wusste das 1834. Eine sächsische Regierung hat es 2015 nicht wirklich begriffen, glaubt noch an Gießkannen und daran, dass mehr Geld für entvölkerte Landkreise die Sache rettet. Tut es aber nicht.

Und was passiert jetzt 2015?

Klar: Der Mindestlohn entfaltet Wirkung. Sogar eine erstaunlich konsequente.

Aber was heißt es tatsächlich, wenn das Statistische Landesamt nun meldet: “Mit einem Wachstum um 0,1 Prozent blieb die Zahl der Erwerbstätigen in Sachsen im dritten Quartal 2015 im Vergleich zum Vorjahresquartal nahezu unverändert. Auch im dritten Quartal 2015 und seit dem Jahr 2010 ohne Unterbrechung war ein deutlicher Anstieg der Arbeitnehmerzahl ohne marginal Beschäftigte im Vorjahresvergleich zu verzeichnen.”

Das Stichwort ist gefallen: marginal Beschäftigte. In einem Land, in dem der Gesetzgeber die Arbeitgeber verpflichtet, einen Mindestlohn zu zahlen, rechnen sich die meisten seit 2005 eingeführten prekären Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr. Die eine Sorte Unternehmen baut also eifrig Arbeitsplätze ab, die bis zum 31. Dezember 2014 vor allem Mini-, Midi- und andere prekäre Jobverhältnisse waren. Es ist gut möglich, das aus dieser Runde die größten Wehklagen zur Einführung des Mindestlohnes gekommen waren. Unternehmen sind ja nicht gleich Unternehmen. Die einen versuchen alles, um ihren Angestellten einigermaßen menschenwürdige Bezahlung zu verschaffen – und dann gab es da eine ganze Menge teils sogar sehr großer, deutschlandweit aktiver Unternehmen, die ihr Renditemodell zu 100 Prozent auf lauter prekären Jobangeboten aufgebaut hatten. Es sind in Deutschland nicht die kleinen, die jammern, sondern die Jumbos.

Und gerade sie waren nun per 01.01.2015 gezwungen, einen Großteil der prekären Angebote in zumindest nach Mindestlohn bezahlte Jobs zu verwandeln.

Ergebnis, wie es die Statistiker melden: “Dem stand aktuell und ebenfalls seit mehreren Quartalen in Folge ein sehr starker Abbau bei der marginalen Beschäftigung gegenüber. Außerdem ging die Zahl der Selbstständigen zurück.”

Aber nicht nur das. Denn neben dem Phänomen Mindestlohn beschäftigt ja seit 2010 noch ein anderes Phänomen die sächsische Wirtschaft: halbierte Ausbildungsjahrgänge. Was aber passiert, wenn jeden Sommer nur noch halb so viele Azubis ankommen wie noch bis 2009? Und wenn das auch wieder nur halbierte Berufsanfängerzahlen werden, während am anderen Ende der Altersskala doppelt so viele Arbeitnehmer in Ruhestand gehen?

Natürlich genau das, was die Statistiker beschreiben: “Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit in den einzelnen Branchen verlief recht unterschiedlich. Im Produzierenden Gewerbe gab es einen geringen Zuwachs um  0,3 Prozent. Innerhalb dieses Bereiches stand einem Plus im Verarbeitenden Gewerbe um 1,4 Prozent eine Einbuße von Erwerbstätigen im Baugewerbe um 1,7 Prozent gegenüber. Bei der Zahl der Arbeitsplätze in der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei wurden im dritten Quartal 2015 deutliche Rückgänge im Vergleich zum Vorjahr festgestellt, während der Dienstleistungsbereich insgesamt fast keine Veränderung zeigte. Innerhalb der Dienstleistungen stand aktuell dem Anstieg der Erwerbstätigenzahl im Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation ein Rückgang im Bereich Grundstücks- und Wohnungswesen, Finanz- und Unternehmensdienstleister gegenüber.”

Stolpern wir an dieser Stelle über die Unternehmensdienstleister?

Natürlich. Denn da stecken nach wie vor die Zeitarbeiter drin. Womit deutlich wird, wie die sächsischen Unternehmen mittlerweile ihren Arbeitskräftebedarf decken, wenn sie aus den Schulen nun einmal nicht genug Nachwuchs kriegen. Sie stellen Arbeitnehmer, die sie vorher geringfügig beschäftigt haben, in Vollzeit ein. (Oder die zuvor geringfügig Entlohnten wechseln einfach das Unternehmen, um endlich mal in eine Vollzeitstelle zu kommen.). Und Unternehmen, die bisher große Teile der Produktion mit Leiharbeitern sicherten, stellen diese meistens gut ausgebildeten Fachkräfte lieber fest ein, um sie nicht zu verlieren.

Der Kampf ums Fachpersonal ist auf allen Ebenen im Gange.

Und man kann den Freistaat Sachsen eigentlich nur bedauern: Er hat den Weckruf komplett verschlafen. Das Ergebnis ist: Er hat jetzt schon Probleme, qualifizierten Nachwuchs zu bekommen. Und die Staatsregierung tut noch immer so, als könnte sie die Einstellung von Lehrern, Polizisten, Richtern, Finanzbeamten usw. einfach steuern wie man einen Wasserhahn aufdreht – mal ein dünner Strahl, mal ein etwas dickerer. Als wäre das Wasserbassin unterm Dach richtig voll und man könnte die gut ausgebildeten Leute einfach schmoren lassen bis zur nächsten Tröpfelrunde.

Das wird schiefgehen.

Und dass man es mit einem spezifisch ostdeutschen Problem zu tun hat, besagt denn auch der letzte Satz aus der Meldung: “Deutschlandweit wuchs die Erwerbstätigenzahl im dritten Quartal 2015 im Vergleich zum Vorjahresquartal um 0,8 Prozent. Dabei erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in den alten Ländern (ohne Berlin) um 0,9 Prozent. Im Gegensatz dazu war in den fünf neuen Ländern ein Rückgang um 0,2 Prozent zu verzeichnen.”

Deutlicher kann man es eigentlich nicht zeigen, dass der Aufbau von Beschäftigung deutschlandweit eigentlich weitergeht. Nur im Osten ist der Nachwuchs durch die halbierten Jahrgänge der “Wende”-Zeit richtig rar geworden. Was in allen ostdeutschen Ländern dazu führt, dass der Berg prekärer Beschäftigung jetzt zwangsläufig abgebaut werden muss. Die Schmerzen beginnen erst dann, wenn auch dieses Reservoir erschöpft ist.

Und man kann ein paar Leipziger Lerchen drauf verwetten: Dann wird der Ruf nach Einwanderung auch in Sachsen richtig laut. Dann wird wohl “der Markt” eine beratungsresistente Regierung dazu zwingen, den Schrumpfkurs der Tillich-Ära endlich zu beenden.

Die Meldung des Landesamtes für Statistik.

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Was auch noch gehörig negativ zu Buche schlägt: Die vielen abgehängten Jugendlichen, die den Schulabschluss nicht gut oder gar nicht geschafft haben, aus welchen Gründen auch immer, Faulheit, Stundenausfall, keine Förderung, bildungsferne Eltern und Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, weil sie mit sich zu tun haben…….

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