Nein, ganz konnte der Mindestlohn das Thema „Aufstocker“ in Sachsen nicht beenden, auch wenn er möglicherweise dazu beigetragen hat, die Zahl der „Aufstocker“ wieder ein wenig zu senken. Das ist zumindest das, was man aus der jüngsten Landtagsanfrage der grünen Abgeordneten Petra Zais herauslesen kann.

Die zuständige Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) konnte dazu einfach auf diverse Statistiken der Arbeitsagentur Sachsen zurückgreifen. Nur nennt sich die Sache dort nicht „Aufstocker“, sondern „erwerbstätige ALG-II-Bezieher“. Denn darum geht es ja, um Menschen, die einer zumeist sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen, dabei aber so wenig verdienen, dass sie zwingend noch auf ergänzendes ALG II angewiesen sind.

Deren Zahl aber sinkt in Sachsen. Und schon seit Jahren. Lag die Zahl der sächsischen Aufstocker einmal deutlich über 100.000, so weist die Statistik der Bundesagentur für Arbeit für Oktober 2015 nur noch 85.212 erwerbstätige ALG-II-Bezieher auf. Ein Effekt, der wahrscheinlich eher mit der Tatsache zusammenhängt, dass einige der Betroffenen schon vorher in Vollzeitstellen gewechselt sind. Denn die Branchen, in denen es besonders viele Aufstocker gab – auch im Oktober 2015 noch – sind auch jene Branchen, in denen das Thema Mindestlohn für besonders heftige Diskussionen gesorgt hat.

So waren im Oktober 2015 noch immer sachsenweit über 6.000 Menschen im Lebensmittel- und Gastgewerbe auf ergänzendes ALG II angewiesen, im (Einzel-)Handel waren es ebenfalls über 6.000, über 5.600 in Verkehr und Logistik, über 4.000 in Reinigungsberufen.

Das Problem der extrem niedrigen Löhne ist in Sachsen also noch längst nicht vom Tisch.

Auch in Leipzig nicht. Auch wenn hier die Aufstocker-Zahlen ebenso sinken. Oder besser: wieder sinken.

Denn hinter den ganzen Beschäftigungsmodellen stecken ja in der Regel all die vor und mit „Hartz IV“ eingeführten oder ausgeweiteten neuen Arbeitsmodelle, die vor allem mit niedrig entlohnten Mini- und Midi-Jobs den Markt überschwemmten und insbesondere Sachsen zum Testfeld dieser neuen Job-Wunder-Welt machten. Was nach Einführung von „Hartz IV“ in Leipzig die Zahl der Aufstocker erst einmal deutlich ansteigen ließ auf 15.225 im Jahr 2006, 18.517 im Folgejahr und über 20.000 in den Jahren 2008 bis 2010.

2011, als auch die Arbeitslosenzahlen in ganz Sachsen spürbar zu sinken begannen, begann auch der Rückgang der registrierten „Aufstocker“ in Leipzig.

Wobei wir an dieser Stelle noch die Unsicherheit der Zahl betonen, denn gleichzeitig stieg die Zahl der Sanktionen im Jobcenter Leipzig deutlich an. Gezählt aber werden nur die Personen, die sich – trotz Arbeit – beim Jobcenter als bedürftig vorstellen. Alle, die auf diesen bürokratischen Weg lieber verzichten, tauchen hier gar nicht auf, sind also auch keine „Aufstocker“. Die Leipziger Einkommensstatistik lässt vermuten, dass das eine ganze Menge Leute sind.

2012 wurden so in Leipzig nur noch 18.149 Aufstocker gezählt, 17.901 im Folgejahr und 2014 dann noch 16.916. Nach den Zahlen vom Oktober 2015 waren es dann noch 15.969, womit Leipzig aber trotzdem noch deutlich über der Zahl von 2006 liegt von 15.225 Aufstockern.

Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (in denen die Aufstocker statistisch enthalten sind)  ist also deutlich stärker gesunken als die der Aufstocker – in Zahlen für Leipzig nämlich von 65.000 auf 50.000. Es gibt also weiterhin eine sehr stabile Zahl von Menschen, die trotz einer verbesserten Arbeitsmarktlage in Einkommensdimensionen feststecken, die zum selbstbestimmten Leben nicht reichen. Und dazu gehören auch Branchen, ohne die die Entwicklung in Sachsen eigentlich nicht mehr denkbar ist – man denke nur an den Pflegebereich, wo es noch über 4.000 „Aufstocker“ gab oder im Bau- und Ausbaubereich mit über 3.000 Aufstockern.

Die Anfrage von Petra Zais zu den Aufstockern in Sachsen 2015.

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