Der sächsische Arbeitsmarkt ist nicht für ältere Arbeitslose gemacht. Erst recht nicht, wenn sie schon seit Jahren aus dem Job heraus sind und die ermüdenden Schleifen in den Jobcentern gedreht haben. Die ihnen nichts zu bieten haben. Trotzdem schmelzen die Zahlen der älteren Arbeitslosen ab in Sachsen. Wie passt das zusammen? Der Linke-Abgeordnete Nico Brünler hat mal nachgefragt.

Geantwortet hat ihm Wirtschaftsminister Martin Dulig. Seine Antwort ist gespickt mit lauter viel bejubelten Fördermaßnahmen, mit denen Arbeitnehmer jenseits der 50 in Sachsen wieder ins Arbeitsleben zurücktransferiert werden sollen. Aber wenn man sich die Zahlen so anschaut, sind das nicht mehr als Beschäftigungsprogramme ohne Effekt.

„Viele, insbesondere ältere, Langzeitarbeitslose profitieren überhaupt nicht vom derzeitigen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Wie diese Kleine Anfrage ergeben hat, gilt das auch für Sachsen: Lediglich rund jeder siebte der langzeitarbeitslosen Menschen über 50, die aus der Hartz-IV-Statistik ausscheiden, findet eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt“, kommentiert Nico Brünler, Sprecher für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Linksfraktion im Landtag, die Zahlen. „Bei Menschen über 55 Jahren sieht die Situation noch dramatischer aus. Hier gelingt nur jedem neunten, der aus der Statistik verschwindet, ein Neueinstieg in das Berufsleben. Die übrigen Betroffenen scheiden entweder durch oft erfolglose kurzfristige Maßnahmen vorübergehend aus oder gehen auf Druck vorzeitig in Rente, wo sie dann endgültig in der Armutsfalle festsitzen.“

Die Zahlen sind ernüchternd: „Von Januar 2015 bis April 2016 (letzte verfügbare Angabe) sind nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in Sachsen insgesamt 183.927 Abgänge aus der Arbeitslosigkeit von Personen im Alter von 50 Jahren und älter, darunter 110.913 im Alter von 55 Jahren und älter, zu verzeichnen. Unmittelbar nach Abgang aus der Arbeitslosigkeit sozialversicherungspflichtig gemeldet waren 18.000 Frauen und 27.890 Männer in der Altersgruppe 50 Jahre und mehr. Bei 55-Jährigen und älteren Personen waren es 9.402 Frauen und 15.494 Männer.“

Die Älteren wurden also vor allem in den nicht immer freiwilligen vorgezogenen „Ruhestand“ geschickt, zurück ins Arbeitsleben fanden – obwohl die Wirtschaft nach Arbeitskräften schreit – die Wenigsten. Und trotzdem entwickelt die Bundesarbeitsagentur immer neue Instrumente des Misstrauens und der Kontrolle. Welchen Sinn das macht, wenn man nicht einmal den vorhandenen älteren Arbeitssuchenden eine neue Beschäftigung anbieten kann, fragt sich Brünler natürlich.

„Vor diesem Hintergrund ist die am Wochenende bekannt gewordene ‚Fachliche Weisung‘ der Bundesagentur für Arbeit, die Ende Juli an die Jobcenter verschickt wurde, mehr als zynisch, wonach auch Nichtleistungsbezieher im persönlichen Umfeld von Hartz-IV-Empfängern öfter und intensiver untersucht werden sollen, ob ein Vorwand besteht, Hartz-IV-Leistungen zu kürzen oder einzustellen. Damit werden Arbeitslose pauschal als arbeitsunwillige Erschleicher von Sozialleistungen diskriminiert. Die Betroffenen brauchen Unterstützung und eine wirkliche Perspektive und kein Mehr an Schikane!“, sagt er.

Die Arbeit ist eigentlich da. Ihr wurde ja mit der Einführung von „Hartz IV“ bundesweit erst systematisch der Boden entzogen. Natürlich gibt es Menschen, die bei aller Mühe nicht mehr fit gemacht werden können für einen von Flexibilität und Mobilität bei höchster Qualifikation geprägten Arbeitsmarkt. Bis 2005 stand dafür ein nicht üppiger, aber notwendiger geförderter Arbeitsmarkt zur Verfügung, der viele Tätigkeiten im ehrenamtlichen gesellschaftlichen Bereich sicherte.

„Was wirklich helfen würde, ist ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor im gemeinnützigen Bereich, mit langfristig angelegten und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen für Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt absehbar chancenlos sind“, sagt auch Brünler. „Im Zweifelsfall muss der Freistaat dafür auch eigene Mittel nutzen. Von so einem Programm würden nicht nur Langzeitarbeitslose, sondern auch zahlreiche Vereine und Initiativen in Sachsen profitieren.“

Doch gerade diese gesellschaftliche Arbeit wurde von den „Arbeitsmarktreformern“ um Peter Hartz geradezu als schädlich für den einen gültigen Arbeitsmarkt gesehen, als abzuschaffende Konkurrenz für die freie Wirtschaft.

Geändert hat sich was. Das stellt auch Dulig fest: „Die Staatsregierung wirbt seit Jahren für die Potentiale älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. So ist die Erwerbstätigenquote der 50- bis 65-Jährigen in Sachsen seit 2000 um mehr als 27 % gestiegen. Knapp 80 % aller sächsischen Betriebe beschäftigen heute Menschen im Alter von über 50 Jahren.“

Aber das sind eben in der Regel keine Neueinstellungen. Die Unternehmen versuchen nur mittlerweile sehr bewusst, ihre älteren Fachkräfte im Betrieb zu halten. Was natürlich dazu führen wird, dass der Anteil der 50- bis 65-Jährigen, die noch im Erwerbsleben stehen, noch deutlich steigen wird. Erst recht, wenn man bedenkt, dass das die Jahrgänge sind, die von den Rentenkürzungen der Nach-„Wende“-Zeit schon direkt betroffenen sind und selbst bei normalem Lohn nicht mehr mit einer ausreichenden Rente rechnen können.

Nico Brünlers Kleine Anfrage zur Integration von Langzeitarbeitslosen in den sächsischen Arbeitsmarkt. (Parlaments-Drucksache 6/5756)

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Es gibt 3 Kommentare

Ich bin ohnehin der Meinung, dass das Jobcenter keine Arbeit vermittelt, sondern höchstens Weiterbildungsmaßnahmen. Meine bisherigen Jobs habe ich ohne JC, sondern mittels Eigeninitiative bzw. mit privaten Jobvermittlern bekommen.

Kathrin, ich kann Ihre Worte mehr als unterstreichen, habe es selbst erlebt! Bin weder bildungsfern noch unterqualifiziert, aber als “älterer” Arbeitnehmer hat man keine Chance, nochmals in einen festen Job übernommen zu werden, auch wenn man noch 3 Jahre bis zur offiziellen Rente hat. Nicht mal in befristete Stellen! “Fehlende Fachkräfte” ist das größte Märchen, was uns aufgetischt wird. Sogar als Fachkraft soll man sich mit 8,50 € zufrieden geben! Die meisten, die über 60 sind, müssen in vorzeitige Rente mit Abschlägen gehen, da sie keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, egal ob in der Wirtschaft oder Öffentlichem Dienst. Das Jobcenter hat mir keine Arbeit beschafft und da bin ich nur eine von vielen.

Eine ganze Generation Arbeitnehmer wird enteignet, sogar mehrfach.
Wird oft mehrmals umgeschult mit dem Ergebnis, nach jeder Umschulung wieder etwas zu alt oder etwas zu überqualifiziert oder etwas zu unterqualifiziert zu sein, auf jeden Fall bis heute fast nie gerecht entlohnt zu sein, immer den westlichen 100% und zusätzlich noch der Inflation hinterherhechelnd. Und wenn man dann nicht 100%ig den Wünschen des Arbeitgebers entspricht, dann dreht man die Schleifen der “Bildungsindustrie” der Jobcenter. Vom Bewerbertraining bis zum 1€-Job, vom Computeranfängerkurs bis zur gruppengezwungenen Abnehmmaßnahme. Grundlehrgänge in Pflege und Reinigung, Garten und Büro. Zertifikate zuhauf, Praktika in fast allen Bereichen, aber kein Job.

Dass Firmen Leute suchen steht außer Frage. Und es gibt für die Praktikanten von diversen Bildungsmaßnahmen immer viel zu tun. Bis zum nächsten Praktikanten.

Die Wirtschaft hat keinen Fachkräftemangel. Die Wirtschaft hat nur einen Mangel an billigsten, möglichst kostenlosen Arbeitskräften.
Eigentlich sollte es sich auch zum letzten Arbeitgeber herumgesprochen haben, was ich vor einigen Jahren einem geizigen Chef an den Kopf geknallt habe: Wissen und Können kosten Geld.

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