Mit Berechnung möglicher neuer Arbeitsplatzzahlen allein kommt man nicht weit, wenn man die Wirkung von Freihandelsverträgen beurteilen will. Trotzdem gehen die üblichen Institute mit scheinbar hohen Arbeitsplatzeffekten hausieren, um TTIP und CETA mundgerecht zu machen. Aber was schon bei TTIP zutraf, trifft auch bei CETA zu: Wahrscheinlich sorgt der Vertrag eher für Arbeitsplatz- und Einkommensverluste. Auf beiden Seiten.

CETA würde bis 2023 in Europa zu einem Verlust von 200.000 Arbeitsplätzen führen. Kanada würde 30.000 Arbeitsplätzen verlieren.

Auch die Ungleichheit bei Einkommen würde das Abkommen verstärken: Während der Anteil der Kapitalgewinne am Bruttoinlandsprodukt steigen würde, ist ein Sinken der Lohnquote zu erwarten. In Kanada würden die jährlichen Lohneinkommen bis 2023 durchschnittlich um 1.776 Euro schrumpfen, in Europa je nach Land um 316 bis 1.331 Euro. Vor allem in europäischen Ländern mit einer noch relativ höheren Lohnquote wie Italien oder Frankreich wären die Lohnverluste am stärksten. Mit den Löhnen würden auch Steuereinnahmen und Bruttoinlandsprodukte sinken.

Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie der Tufts University in Boston, Massachusetts. Sie basiert auf einem Modell der Vereinten Nationen, dem United Nations Global Policy Model.

„Die Studie belegt, das CETA nicht nur ein Angriff auf soziale Standards, Arbeitsrechte, Umweltschutz, nachhaltige Landwirtschaft und Demokratie ist. Die Mehrheit der Menschen würde auch ökonomisch verlieren – das Gegenteil dessen, was uns immer versprochen wird. Die Studie zeigt, dass Exportsteigerungen bei gleichzeitigem Druck auf Löhne und Arbeitsplätze kein geeignetes Mittel sind, um Wohlstand für die Mehrheit der Menschen zu schaffen“, sagt Attac-Handelsexperte Roland Süß.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen auch ähnlich umfassende Studien zu TTIP, die gern unter den Tisch gekehrt werden oder – so wie es „Spiegel Online“ am 16. September wieder tat – in einem Sowohl-als-Auch untergehen, während man dann die wirtschaftsnahe Studie des ifo Instituts auch noch groß mit Grafik aufbereitet. Das nennt man dann „Täuschen durch Weglassen“.

Auch die Studie zu TTIP hatte die Tufts University in Massachusetts erstellt und war zum Ergebnis gekommen, dass TTIP in Europa 600.000 Arbeitsplätze gefährdet.

Wer überhaupt ein Bild zu den möglichen Auswirkungen solcher Verträge zeichnen will, der kann nicht nur die Schönwetterprognose ins Bild setzen. Der muss auch die kritischen Studien berücksichtigen und vor allem auch erwähnen, warum diese zu anderen Zahlen kommen, welche Folgen sie zusätzlich mit in die Betrachtung aufgenommen haben. Denn die betrachteten Zahlen beim ifo-Institut unterscheiden sich deutlich von den wesentlich weiter gefassten Rahmensetzungen des United Nations Global Policy Model.

„Spiegel online“-Grafik zum TTIP-Effekt: Nur die ifo-Zahlen in der Grafik. Screenshot: L-IZ
„Spiegel online“-Grafik zum TTIP-Effekt: Nur die ifo-Zahlen in der Grafik. Screenshot: L-IZ

Bisherige CETA-Studien im Auftrag der EU (die dieses Modell nicht verwendet) errechnen einmalige Wachstumseffekte von 0,003 Prozent bis 0,08 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts, was eh schon lächerlich genug ist bei einem Vertrag mit solchen Auswirkungen bis in den kommunalen Bereich.

Diese Studien basieren auf einem Simulationsmodell mit den unrealistischen Annahmen, dass Vollbeschäftigung herrscht und das Abkommen keine Auswirkung auf die Einkommensverteilung hat, betont Attac. Sie gehen davon aus, dass „wettbewerbsfähige“ Wirtschaftssektoren, die von einer Marktöffnung profitieren, alle entstandenen Verluste in den anderen schrumpfenden Sektoren kompensieren würden. Dies würde auch für verlorene Arbeitsplätze gelten: Solange die Löhne nur niedrig genug seien, würde jeder Arbeitnehmer in einem andern Sektor eine neue Stelle finden.

Roland Süß: „Allein die Erfahrungen der letzten Jahre in Europa zeigen die Absurdität der Annahme, dass niedrigere Löhne mehr Arbeitsplätze schaffen würden. Wirtschaftssektoren, die einem plötzlich verschärften internationalen Wettbewerb mit ungleichen Bedingungen ausgesetzt sind, schrumpfen weitaus schneller, als dies von anderen Sektoren aufgefangen werden kann. Zudem können steigende Löhne im Exportsektor den Verlust an Binnennachfrage – aufgrund sinkender Löhne in der Mehrzahl der Sektoren – nicht ausgleichen. Gerade vor dem Hintergrund der europäischen Kürzungspolitik und seit Jahren sinkender Binnennachfrage würde ein weiterer Druck auf Löhne die Rezession in Europa vertiefen.“

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Es gibt 2 Kommentare

Möglich ist das, leider.
Wahrscheinlich ist auch, dass sie nicht an deiner Seite des Tisches sitzen, sondern dir (uns) gegenüber.

Sind unsere Politiker blauäugig oder zu dumm, um das Für und Wider genau abzuwägen und die Punkte der Abkommen zu hinterfragen? Wollen sie uns mit CETA und TTIP wirklich ins Verderben schicken? Wollen sie den Menschen schaden? Haben sie schöne Posten bei den jeweiligen Lobbyisten in Aussicht? Man hat nur noch Fragen über Fragen!

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