Alles Leben ist Wirtschaft. Und wenn Wirtschaft allein über Preise ausjustiert wird, ist überall Konkurrenz. Davon erzählt selbst die moderne Fremdenfeindlichkeit, die sich nicht vordergründig rassistisch geriert, sondern ökonomisch. So ist „der Markt“. Oder das, was man dafür hält. Daran erinnert jetzt eine kleine Studie aus dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Sie geht auf etwas ein, was es in den ganzen heutigen Wirtschaftswissenschaften scheinbar nicht gibt: Gefühle. In diesem Fall Neidgefühle. Die werden zwar von einer auf Konkurrenz angelegten Gesellschaft permanent befeuert, stets und ständig wird verglichen, werden Konsumenten herausgefordert, ihren Kauf- und Lebensstandard mit anderen zu vergleichen.

Aber in den ökonomischen Theorien kommt nichts davon vor, wird so getan, als würde Konkurrenz einfach so da sein und ein von Statusvorstellungen getriebener Wettbewerb die natürliche Grundlage aller Märkte sein. Und so merkt auch kaum noch jemand, wie schon die Jüngsten auf „Erfolg“ und Wettbewerb getrimmt werden und wie selbst die am schlechtesten bezahlten Malocher mit dem Neid-Virus angesteckt werden.

Die Fremdenfeindlichkeit ist keine künstliche Zutat für die moderne Marktwirtschaft. Sie ist fest in ihre Grundfesten eingebaut. Und das erlebten in aller reinen Schönheit schon 1990 sämtliche DDR-Bürger, die über Nacht und auf eigenen Beschluss hin zu den neuen Billiglöhnern der Bundesrepublik Deutschland geworden waren.

Und das lebte ein großer Teil von ihnen eben nicht nur in den berühmten Minderwertigkeitsgefühlen aus, die ihnen von arroganten Kommentatoren des Westens zugeschrieben wurden („Jammerossi“), sondern auch in einem ersten Rausch hemmungsloser Fremdenfeindlichkeit, der sich in Rostock, Hoyerswerda und anderswo austobte. Dazu gibt es sogar Umfrageergebnisse aus Leipzig. Und die lassen Rückschlüsse auf die Gegenwart zu, stellt das IWH fest.

„Vergleichen Personen ihren ökonomischen Status mit dem ihrer relevanten sozialen Bezugsgruppe (peergroup) – und fällt dieser Vergleich zu ihrem Nachteil aus – entwickeln sie eher negative Einstellungen gegenüber Ausländern“, heißt es jetzt zu einer entsprechenden Veröffentlichung. Benutzt hat man für die Studie 1990 auf dem Gebiet der DDR erhobene Daten.

Wie stark der Effekt wirkt, haben Wissenschaftler des IWH und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Coburg insbesondere in Bezug auf die Rolle des „sozialen ökonomischen Vergleichs“ hin untersucht.

Hinter der These, dass Menschen solche Vergleiche – auch unbewusst – anstellen, steht die Idee, dass Empfindungen wie beispielsweise Glück oder Zufriedenheit mitunter vom Einkommen abhängen.

Was dabei aber besonders brisant ist, so die Forscher: „Nicht nur die absolute Höhe des Einkommens spielt eine Rolle, sondern vielmehr die Höhe des Einkommens im Vergleich zu Familie, Freunden und  Bekannten (peergroup). Vergleicht eine Person also beispielsweise ihr Einkommen mit dem ihrer Freunde und schneidet dabei schlecht ab, wirkt sich diese Tatsache negativ auf  ihre Zufriedenheit aus – selbst dann, wenn sie eigentlich zu den Besserverdienenden gehört. Fällt der Vergleich jedoch positiv aus, scheint es kaum Auswirkungen auf die Zufriedenheit zu geben, wie zahlreiche Studien belegen.“

Die Forschergruppe um Lutz Schneider und Walter Hyll ging nun der Frage nach, ob sich das relative Einkommen auch auf die Einstellungen gegenüber Ausländern auswirkt. Ihre Ergebnisse scheinen diesen Zusammenhang zu bestätigen.

„Eine gefühlte ‚Schlechterstellung‘ wirkt sich stark auf den Grad der Sympathie gegenüber Ausländern aus. Fühlen sich Personen gegenüber ihrer peergroup ökonomisch im Nachteil, sind sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit gegen Rechte für Ausländer, politisch stärker rechtsorientiert und hegen eine stärkere Antipathie gegen Ausländer, insbesondere jene aus Niedriglohnländern“, stellen die IWH-Autoren fest. „Um diese Effekte identifizieren zu können, machten sich die Forscher das ‚Langzeitexperiment‘ der Teilung und Vereinigung Deutschlands zunutze. Direkt nach der Wende wurde eine Wohlstandsdifferenz zwischen der DDR und der BRD offensichtlich – die Voraussetzung für ökonomische Vergleiche. Um die soziale und damit relative Komponente abzudecken, flossen in die Untersuchungsgruppe nur diejenigen Ostdeutschen ein, die in der Zeit der Teilung Deutschlands über eine peergroup im Westen verfügten. Zunächst mag es nicht besonders einleuchten, dass ein sozialer Vergleich der Einkommen von Ost- und Westdeutschen einen Einfluss auf deren Einstellung Fremden gegenüber haben könnte, die vor allem gar nicht Teil der peergroup sind. Doch die Forscher identifizierten mögliche Kanäle wie folgt: Nach der Wende befanden sich Ost- und Westdeutsche plötzlich abrupt auf demselben Arbeitsmarkt. Ostdeutsche waren aufgrund der Lohnunterschiede daraufhin in einer schlechteren ökonomischen Situation als vorher.“

Man konkurrierte also auf einmal um dieselben Ressourcen.

„Potenzielle Migranten traten damit in einer völlig neuen Art und Weise mit ihnen in Wettbewerb, sowohl bezüglich der Arbeitsplätze und des Lohns als auch in Bezug auf soziale Transferleistungen und öffentliche Güter. Ein weiterer Kanal betrifft den Handel. Durch den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft konnten ab 1990 viele Industriezweige der DDR nicht mehr mit denen aus anderen Ländern konkurrieren. Insbesondere Niedriglohnländer drückten die Preise und damit auch die Löhne. Ausländer könnten damit als Bedrohung der eigenen Position relativ zum Westen empfunden worden sein“, vermuten die Forscher.

Man merkt, dass sie sich schwertun, die emotionalen Aspekte der Fremdenfeindlichkeit als elementare Bausteine der tatsächlichen Marktkonkurrenz zu verstehen.

Aber es ist wie die Entdeckung einer neuen Welt, was hier passiert: Da fragt man sich zum ersten Mal ernsthaft, ob Fremdenfeindlichkeit in (Ost-)Deutschland tatsächlich mit Gefühlen der Zurücksetzung, Schlechterstellung und ökonomischen Bedrohung zu tun haben könnte. Und die Antwort lautet „Ja“. Auch wenn den meisten fremdenfeindlichen (Ost-)Deutschen die Sache mit den Niedriglohnländern ziemlich schnuppe sein dürfte. So abstrakt denken wirklich nur Ökonomen, die Konkurrenz als theoretisches Konstrukt betrachten und auch nicht daran forschen, wie Konkurrenz bewusst inszeniert wird. Nicht nur durch die oben zitierte Jagd nach prestigeträchtigen Gütern, sondern auch durch eine in den vergangenen Jahren besonders agile Politik, die schon die Arbeitslosigkeit zur existenziellen Drohkulisse aufgebaut hat und davon betroffene Menschen öffentlich zu „Sozialschmarotzern“ oder gar „Faulenzer in der sozialen Hängematte“ deklariert hat. In der Fremdenfeindlichkeit steckt auch eine gehörige Portion dieser präsenten Verachtung durch das, was man heute wieder Elite nennt.

Und wer aufgepasst hat, der hat genau diesen emotionalen Moment bemerkt, als Bundeskanzlerin Angela Merkel im August 2015 nach Heidenau fuhr und die Protestierenden sie dort mit dem Ruf „Wir sind das Pack!“ empfingen. Der „Spiegel“ sprach auch von „Ausländerhassern“. Als wenn das irgendetwas erklären würde, außer dass die sächsische Politik Provinzregionen wie Heidenau immer mit Gleichgültigkeit behandelt hat. Da kamen die verbalen Beschimpfungen der hohen Politik erst recht schlecht an. Aber die Versäumnisse wurden nicht 2015 begangen, sondern schon lange vorher. Und sie haben viel damit zu tun, wie deutsche Politik Wirtschaft denkt. Bis heute. Ein vom Neoliberalismus verdrehtes Konkurrenzdenken gehört dazu und wird bis heute auch genauso beschworen, denn die härtesten Urteile über „Niedriglohnländer” sind aus der hohen Politik zu hören: „Arbeitsmigranten“ ist so ein Schimpfwort, das dann gern fällt.

Es geht nicht nur um den Neid der Wenighabenden auf die neue Arbeitskonkurrenz. Es geht darum, dass diese Verachtung  für ökonomisch vermeintlich Schwächere in Deutschland gängige Politik ist. Da braucht man auch nicht unbedingt Zahlen von 1990, auch wenn sie bestätigen, dass sich an diesem Denken bis heute nichts geändert hat.

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