Was Politiker nicht wissen wollen, das lassen sie auch nicht registrieren. Sachsen hat mittlerweile 25 Jahre wilder Experimente am Arbeitsmarkt, diverse Renten- und Sozialreformen hinter sich. Die Ergebnisse schlagen mittlerweile mit steigenden Sozialausgaben in den Kommunen auf. Und nicht nur die Linke und die Grünen fragen jetzt immer öfter besorgt nach Zahlen zur wachsenden Altersarmut in Sachsen. Selbst die AfD wird hibbelig.

Antworten bekommen sie dazu nur bedingt. So wie André Wendt (AfD), der sich vielleicht dachte: Wenn die anderen schon keine Antwort kriegen, dann vielleicht die AfD. Und vielleicht erst recht, wenn man nicht den schwammigen Begriff „vorgezogener Ruhestand“ verwendet, sondern Zwangsverrentung.

Hat er getan.

Er hat nach den als arm geltenden Rentnern in Sachsen gefragt. Was ja Zahlen sind, die durchaus ermittelbar sind. Wenn eine Regierung das will. Aber Sachsens Regierung will nicht. Mit ihrer Antwort aber macht Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) deutlich, dass die Ignoranz System hat: Man will die Zahlen gar nicht wissen. Denn das könnte ja bedeuten, dass es Handlungsbedarf gibt.

Da ignoriert man sie lieber.

Oder mit den Worten der ministeriellen Antwort: „Die erbetenen Daten werden statistisch nicht erfasst. – Rentnerinnen und Rentner, die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII erhalten, gelten nicht als arm, da ihnen gerade diese Leistungen gewährt werden, um Altersarmut zu verhindern. – Rentnerinnen und Rentner, die zwar bedürftig sind (und damit als arm angesehen werden können), aber (aus welchen Gründen auch immer) keine aufstockenden Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII beantragen, können statistisch nicht erfasst werden, da diese nicht beim Sozialamt vorsprechen und damit dort nicht bekannt werden.“

Das ist eine Antwort, die im Grunde deutlich macht, warum der Tonfall der AfD manchmal so sehr dem der Linken ähnelt: Man reagiert auf dieselben sozialen Nöte und Ängste, die immer größere Teile selbst der arbeitenden Bevölkerung erfassen. Man findet nur andere Antworten. Da genügt in den meisten Fällen der Blick auf die eigenen Rentenauskünfte, um zu sehen, wie sich die von der CDU-geführten Staatsregierung jahrelang propagierte Niedriglohnpolitik im Alter auswirkt: Selbst Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, drohen auf Zuschüsse des Staates angewiesen zu sein, um im Alter überhaupt über die Runden zu kommen. Wer das Pech hat, in den sorgsamen Fängen des Jobcenters zu landen, kann sich das sowieso abschminken. Er wird zwangsläufig in Grundsicherung landen.

Und – auch das sorgt im Land für spürbare Ängste gerade bei den Älteren: Die Jobcenter versuchen mit aller Kraft ihre Statistik zu bereinigen, indem sie möglichst viele ältere ALG-II-Bezieher in vorzeitige Altersbezüge drängen. Der Druck ist so groß, dass sichtlich auch André Wendt da nur das Wort „Zwangsverrentung“ einfällt.

Aber auch diese Zahlen werden nicht erfasst, teilt Sozialministerin Barbara Klepsch mit: „Die Datenerhebung für die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ist in § 51 b SGB II geregelt. Die erbetenen Daten werden statistisch nicht erfasst. Eine einseitige ‚Zwangsverrentung‘ durch den SGB-II-Träger ist nicht vorgesehen. Allerdings sind nach § 12a SGB II Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und Anträge zu stellen, sofern dies zur Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung von Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Die steuerfinanzierten Leistungen des SGB II sollen gewährt werden, wenn der Hilfebedarf anderweitig nicht gedeckt werden kann.“

Wer natürlich dem Druck zur Frühverrentung nachgibt, der „vermindert“ in der Logik der Jobcenter seine „Hilfebedürftigkeit“. Er beantragt seine Hilfe ja dann in einem anderen Amt. Die Bundesagentur für Arbeit hat damit nichts mehr zu tun.

Der Freistaat Sachsen und seine Kommunen dann schon, denn sie müssen die steigenden Kosten für die (natürlich überhaupt nicht armen) Rentner schultern.

Die Anfrage von André Wendt (AfD). Drs. 5974

In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

Leser fragen, wir antworten: Was kostet die Herausgabe der L-IZ.de? Warum 1.500 Abos?

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar