Wenn eine Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet, hat das Langzeitfolgen. Armut und soziale Probleme werden vererbt – und der Staat, der eben noch glaubte, dass er sich der „Leistungsschwächeren“ einfach durch Auslese und Aussortieren entledigen kann, stellt verblüfft fest, dass ihm die Kosten für die „Hilfen zur Erziehung“ um die Ohren fliegen. Das geht nicht nur Leipzig so.

Auch wenn der Freistaat Sachsen selbst ja nicht verantwortlich ist, die „Hilfen zur Erziehung“ zu organisieren. Aber wo bei Landtagsanfragen gern so getan wird, als hätte man mit den Aufgabenerfüllungen der Kommunen nichts zu tun, zeigen Meldungen des Statistischen Landesamtes immer wieder, dass die Staatsregierung sehr wohl weiß, unter welchem Aufgabenberg die Kommunen ächzen.

Nur sind es natürlich nicht die Statistiker, die die Folgerungen daraus ziehen müssen, sondern die regierenden Politiker.

Denn dass die Zahl der „Hilfen zur Erziehung“ derart deutlich steigt, hat nur zum Teil mit wachsenden Kinderzahlen zu tun, aber fast in jedem Fall mit all den Problemen, die Familien bekommen, wenn das Geld dauerhaft knapp ist, die Haushaltskasse der Familie prekär ist, akute Probleme nicht geklärt werden können und auch der moralische Rückhalt fehlt, der Eltern konfliktfähig und Kinder souverän machen könnte.

2015 nahmen 52.182 Kinder und Jugendliche in Sachsen, davon 28.443 männliche und 23.739 weibliche, das Angebot für erzieherische Hilfen und Eingliederungshilfen für seelisch behinderte junge Menschen wahr. Wobei man das „seelisch behinderte junge Menschen“ nicht als klassische Behinderung lesen darf. Denn tatsächlich geht es um Kinder und Jugendliche, die durch die erlebten Extremsituationen in ihrem Umfeld unter verschiedenen seelischen Belastungen leiden.

Viele Hilfen sind zeitlich begrenzt – enden in der Regel, wenn sich zum Beispiel die Situation im Elternhaus stabilisiert hat.

„23.556 Hilfen konnten im Jahr 2015 beendetet werden, dies betraf 25.826 junge Menschen. Am Jahresende dauerten 22.815 Hilfen für 26.356 Kinder und Jugendliche noch an“, teilt das Statistische Landesamt mit. „Zum Ende der Hilfe und bei den Ende des Jahres 2015 andauernden Hilfen waren 41.796 Kinder unter 15 Jahre alt und 7.443 Jugendliche im Alter von 15 bis unter 18 Jahren. Sachsenweit haben somit 8 Prozent aller jungen Menschen unter 18 Jahren im Jahr 2015 eine solche Hilfe in Anspruch genommen.“

Und dann zählt das Statistische Landesamt auf, warum die jungen Menschen die Hilfe in Anspruch nehmen mussten: „Als Hauptgründe für die Hilfen galten Belastungen des jungen Menschen durch familiäre Konflikte (27 Prozent, z.B. Partnerkonflikte, Trennung  und Scheidung, Umgangs-/Sorgerechtsstreitigkeiten, Eltern-/Stiefeltern-Kind-Konflikte, kulturell bedingte Konfliktlagen) und eingeschränkte Erziehungskompetenz der Eltern/Personensorgeberechtigten (16 Prozent, z.B. Erziehungsunsicherheit, pädagogische Überforderung, unangemessene Verwöhnung). – Mit 49 Prozent regten die Eltern bzw. Personensorgeberechtigten am Häufigsten die Hilfen an, gefolgt von den Sozialen Diensten und anderen Institutionen (31 Prozent) sowie der Schule oder Kindertageseinrichtung und dem Arzt, der Klinik bzw. dem Gesundheitsamt (8 Prozent).“

Wie stark die Zahlen insbesondere in Leipzig anstiegen, hatte im September der „Kinder- und Jugendreport 2015“ gezeigt. Seit 2005 haben sich die Zahlen praktisch verdoppelt und bringen Jahr für Jahr die finanziellen Kalkulationen der Stadt ins Schwimmen. Allein 2016 sind Mehrkosten von 16 Millionen Euro entstanden, die natürlich nirgendwo im Haushalt der Stadt abgebildet sind.

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