Eigentlich waren die neuen Zahlen zum „Modal Split“, die jetzt auch im Leipziger Quartalsbericht III/2016 zu finden sind, eine kalte Dusche für Leipzigs Verkehrsplaner. Und auch für alle, die sich endlich eine Kehrtwende hin zu einer umweltfreundlichen Mobilität wünschen. Es stecken sogar mehrere Schocks im Artikel dazu.

Einen haben die beiden Autoren Dieter Auspurg und Cornelia Kreymann im Text versteckt, ganz am Ende ihres Artikels, wo es um die Frage geht, warum der Anteil des Autoverkehrs an den Wegen der Leipziger nicht sinkt, obwohl doch der Pkw-Bestand je 1.000 Einwohner seit drei Jahren sinkt. Zumindest kann man das so im Statistischen Jahrbuch nachlesen: Von 385 sank er auf 381.

Aber die systematischen Verkehrsbefragungen bringen etwas ans Tageslicht, was die amtliche Meldestatistik nicht zeigt: In Leipzig stehen mit den zuwandernden Autobesitzern aus allen Himmelsrichtungen auch immer mehr Pkw, die nicht in Leipzig registriert sind – aber natürlich trotzdem für die täglichen Wege genutzt werden.

„Gegenwärtig liegt die in Leipzig verfügbare Pkw-Anzahl entsprechender SrV-Befragung ca. 15 % über der amtlichen Meldestatistik“, schreiben Auspurg und Kreymann.

War die Differenz 2008 noch relativ überschaubar – auf 385 amtlich gemeldete Pkw kamen tatsächlich 402, die im Straßenraum unterwegs waren – so ist die Differenz zwischen beiden Zahlen 2015 deutlich angestiegen: Auf 381 amtlich gemeldete Pkw kamen 441 tatsächlich existierende.

Statt der 216.206 amtlich gezählten Pkw waren tatsächlich über 248.600 im Stadtraum unterwegs, über 30.000 mehr als gedacht.

Was dann auch den Eindruck korrigiert, die Autonutzung sei zurückgegangen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Menschen, die nach Leipzig zuziehen, verzichten ganz und gar nicht auf das gewohnte Transportmittel, sondern nutzen es weiter. Sie melden es nur einfach nicht um.

Und tatsächlich gibt es große Stadtbereiche, in denen die Autonutzung seit 2008 sogar massiv zugenommen hat. Das beginnt in den ganzen Außen- und Siedlungsgebieten, also im Wesentlichen in allen Ortsteilen von Lützschena bis Probstheida, von Hartmannsdorf bis Portitz.

Hier nahm die Nutzung des Automobils von 57,3 auf 64,7 Prozent deutlich zu. Hier ist der Autobesatz schon traditionell höher als im inneren Stadtgebiet, gleichzeitig sind die ÖPNV-Anbindungen hier dünner und die Erwerbstätigenquote ist höher. Die Leute brauchen ihr Auto also vor allem, um zur Arbeit zu kommen. Die Arbeitsstellen befinden sich eher nicht im Wohnort und auch selten an der verfügbaren ÖPNV-Verbindung.

Ein ähnliches Bild ergibt sich in den „peripheren Großwohngebieten“, also Grünau, Paunsdorf und Lößnig, die eigentlich gut mit ÖPNV angebunden zu sei scheinen.

Entwicklung der Modal-Split-Anteile nach städtischen Teilgebieten. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht III / 2016
Entwicklung der Modal-Split-Anteile nach städtischen Teilgebieten. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht III/2016

Und trotzdem wuchs hier die Autonutzung von 2008 bis 2015 von 38,9 auf 45,9 Prozent.

Was dann den Rückgang der Autonutzung im „urbanen Kern“ völlig ausglich (dort sank die Nutzung von 38,8 auf 32,3 Prozent). Die Pkw-Nutzung blieb also gegenüber 2008 statistisch betrachtet stabil, driftet aber zwischen dem mit ÖPNV sehr dicht erschlossenen inneren Stadtgebiet und den Ortsteilen am Stadtrand immer weiter auseinander.

Was ja darauf hindeutet, dass die ÖPNV-Erschließung der Leipziger Außengebiete so nicht wirklich zukunftsfähig ist und den Mobilitätsbedürfnissen der dort Wohnenden nicht genügt. Der höhere Grad an Autonutzung kann natürlich mit einer gestiegenen Erwerbsquote zu tun haben. Aber da sich die meisten Arbeitsplätze im Stadtgebiet befinden, steht durchaus die Frage: Kommt man mit dem ÖPNV nicht hin? Fehlt es an wichtigen Querverbindungen? Und wenn ja: an welchen?

Das S-Bahn-Netz hat dieses Manko sichtlich nicht aufgehoben. Es schafft nur bessere Verbindungen in die Region hinaus, aber nicht unbedingt in die Leipziger Außenbezirke. Teilweise ist es dort ja auch noch gar nicht fertiggestellt. Zwei wichtige Stationen im Leipziger Norden werden ja erst gebaut – so wie die neue Station an der Essener Straße. Aber die Querverbindungen müssten Bus- und Straßenbahn-Linien der LVB schaffen. Die Verkehrsbefragung von 2015 hat jetzt erstmals sichtbar gemacht, dass es dort an einem belastbaren Angebot fehlt.

Wie das freilich aussehen müsste, wird vielleicht die Diskussion um den Nahverkehrsplan zeigen.

Der Statistische Quartalsbericht III / 2016 ist im Internet unter www.leipzig.de/statistik unter „Veröffentlichungen“ einzusehen. Er ist zudem für 7 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) beim Amt für Statistik und Wahlen erhältlich.

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