Es gibt tatsächlich eine Menge Menschen, die glauben, Märkte wären etwas Rationales, Investoren würden mit klugem mathematischem Kalkül vorgehen und Ratingagenturen wären unabhängige Schiedsrichter. Dabei ist all das, was dem staunenden Michel als klug organisierter Markt verkauft wird, voller Eigeninteressen und folgenreicher Machtspiele. Ein Thema, mit dem sich eine Studie des IWH beschäftigt hat.

Sie hat sich mal die Sache mit den Ratingagenturen angeschaut, diesen vielgescholtenen Markwächtern, die manche Kritiker für überflüssig, andere für brandgefährlich halten, die Mehrheit aber starrt auf deren Bewertungsnoten wie aufs heilige Orakel. Mit einer Herabstufung können sie ganze Firmenimperien kollabieren lassen oder Staaten an den Rand des Zusammenbruchs führen – wie am Beispiel Griechenland erlebt.

Ihre Noten gelten für viele Anleger als Richtmaß ihres Handelns. Ein Herabstufen auf Ramschniveau kann einen regelrechten Herdentrieb auslösen.

Dass die eigentlich in den USA ausgebrochene Subprime-Krise so schnell und folgenreich auf europäische Banken und Staatshaushalte übergriff, hat einige Forscher am IWH beschäftigt. Genauso wie die Rolle, die Ratingagenturen dabei spielten.

„Während der Schuldenkrise bewerteten amerikanische Ratingagenturen einige Eurostaaten signifikant schlechter als die eher europaorientierte Agentur Fitch“, stellt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) nun fest, nachdem sich die IWH-Forscher die Sache in einer Studie etwas genauer angeschaut haben. Zum Teil bestätigen sie, was viele Politiker bereits während der Krise behaupteten: dass nämlich die Ratings der amerikanischen Agenturen eine antieuropäische Tendenz aufweisen.

Andererseits macht die Studie aber auch deutlich, dass und warum eine europäische Ratingagentur trotzdem unwirksam wäre. Denn Macht muss man sich erst einmal erarbeiten. Auch auf diesem Gebiet.

Bekannt als die „Big Three“ sind es vor allem die drei Ratingagenturen Moody’s, Standard & Poor’s (S&P) und Fitch Ratings (Fitch), die das Geschäft der Bonitätsprüfungen weltweit dominieren. Ihre Namen wurden der europäischen Öffentlichkeit vor allem während der Staatsschuldenkrise zwischen 2009 und 2012 bekannt, als diese nach und nach die Kreditwürdigkeit einiger Mitgliedstaaten herabstuften.

„Die Empörung war groß“, kommentiert das IWH. „Die beherrschende Stellung der drei amerikanischen Ratingagenturen auf der weltweiten Bühne wurde von politischer Seite heftig kritisiert, besonders in Europa. Der EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso behauptete beispielsweise im Juli 2011 – als Reaktion auf die Herabstufung Portugals – die ‚Big Three‘ seien antieuropäisch und hätten die Spekulationen auf die Euroländer befeuert. Als S&P im Dezember 2011 dann ankündigte, 15 Mitgliedstaaten der Eurozone herabzustufen, sorgte dies für weitere öffentliche Empörung. Neben der allgemeinen Dominanz der amerikanischen Ratingagenturen und der vermuteten Negativbehandlung Europas war es aber auch der Zeitpunkt, den die EU-Führer kritisierten. So setzte es doch gerade sie als Politiker unter Druck, in einer ohnehin undurchsichtigen Situation möglichst schnell eine überzeugende Strategie zu finden, um in Europa für Finanzstabilität zu sorgen. Schon bald wurde der Vorschlag eingebracht, eine ebenfalls weltweit aktive europäische Ratingagentur ins Leben zu rufen, um der angelsächsischen Dominanz etwas entgegenzusetzen.“

Womit die Frage im Raum stand: Sind die Bewertungen der Ratingagenturen vielleicht doch nicht so unabhängig, wie sie immer behaupten? Messen sie mit zweierlei Maß?

Die IWH-Forscher stellten sich zunächst die Frage, ob die vermutete Schlechterbehandlung europäischer Staaten überhaupt den Tatsachen entspricht.

Die neue Studie des IWH gibt nun eindeutige Hinweise darauf, dass die Ratingagenturen die Eurostaaten tatsächlich unterschiedlich bewerteten: Fitch war während der Krise den Eurostaaten gegenüber deutlich positiver eingestellt.

„Fitchs Ratings lagen im Schnitt 0,25 bis 0,59 Stufen höher als die Ratings der Konkurrenten“, kommentiert Andre Güttler, einer der Autoren der Studie. Unklar bleibe dabei allerdings, ob die amerikanischen Agenturen Europe „zu negativ“ bewerteten oder Fitch Europa „zu positiv“.

„Erklären lässt sich das bessere Rating mit der tieferen Verwurzelung Fitchs in Europa. Mit seinem zweiten Hauptsitz in London (neben New York) ist Fitch allein schon geographisch näher an Europa gelegen, ganz im Gegensatz zu S&P oder Moody’s, deren Zentralen sich ausschließlich in New York befinden“, erklärt Güttler. „Fitch wird außerdem mehrheitlich von der französischen Firmalec-Holding gehalten und ist damit als einziger Player der ‚Big Three‘ nicht überwiegend in amerikanischem Besitz.“

Vorgängerstudien hatten bereits darauf hingedeutet, dass die geographische oder kulturelle Nähe finanzielle Entscheidungen beeinflussen kann. Inwiefern dies aber konkret Ratings betrifft, war bisher noch nicht eindeutig. Die Studie um Andre Güttler und Gunter Löffler legt dies, zumindest im Rahmen der Schuldenkrise in Europa, nun aber nahe.

Die Forscher gingen aber noch einen Schritt weiter und untersuchten, wie Investoren auf die unterschiedlichen Ratings während der Schuldenkrise reagierten. Denn sollte Fitchs optimistischere Einschätzung den Markt tatsächlich beeinflussen, wäre dies ein wichtiges Argument für die Etablierung einer europäischen Ratingagentur. Die Ergebnisse zeichnen allerdings ein anderes Bild. Fitchs Bewertungen hatten keinen Einfluss auf das Verhalten der Investoren. Diese reagierten in erster Linie auf die Einschätzungen der Kreditwürdigkeit der Euro-Staaten der amerikanischen Ratings.

„Es darf daher bezweifelt werden, dass die Gründung einer europäischen Ratingagentur das Verhalten der Investoren beeinflussen könnte. Die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Agenturen am Markt ist einfach höher. Der Markt ist der Meinung, dass die amerikanischen Bewertungen der europäischen Staaten nicht zu negativ, sondern Fitchs Bewertung zu positiv waren“, schließt Reint E. Gropp, Präsident des IWH. „Fitch äußerte sich zwar positiver über die Mitglieder der Eurozone, aber einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Kreditwürdigkeit der Eurostaaten auf Seiten der Investoren hatte das trotzdem nicht.“

Hier mag entgegnet werden, dass Fitch mit einem Marktanteil von nur knapp 17 Prozent unter Umständen allgemein deutlich weniger Einfluss hat als seine Mitbewerber mit einem Anteil von ca. 35 Prozent (Moody’s) und 40 Prozent (S&P).

„Aber auch eine europäische Ratingagentur würde sich schnell in einer ähnlichen Situation wiederfinden“, so Gropp. „Die Wahrscheinlichkeit, die Wahrnehmung der Eurostaaten mit Hilfe einer neu geschaffenen Agentur zu beeinflussen, halte ich daher für sehr gering. Dazu wäre die Glaubwürdigkeit der neuen Agentur am Markt zu gering.“

Man kann es auch so ausdrücken: Die beiden großen Elefanten in den USA beherrschen den Markt und prägen die Sicht auf die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen. Was das IWH ja nicht untersucht hat, ist, wie realistisch Einschätzungen der Agenturen waren. Denn wenn europäische Papiere schlechter bewertet werden, als sie eigentlich sind, verändert das auch die Anlagestrategien der „Investoren“ – das Geld fließt dann eher nach Amerika. In Europa bleiben wichtige Investitionen aus und der Kontinent kommt schwerer aus dem Schlamassel als die USA.

Es ist ein Markt, in dem jede Menge Psychologie steckt, viel Egoismus und – auch das wurde ja kritisiert – sehr viel Gestaltungsehrgeiz auf Seiten der Ratingagenturen, die gern so tun, als wären sie unbeeinflusste Makler in Sachen Bonitätsbewertung.

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