Das Statistische Landesamt hat gerade so eine Art Kurzabrechnung über das vergangene Jahr am Arbeitsmarkt vorgelegt. Wieder eine, die – wie seit 2010 – von einer Konsolidierung erzählt: Durchschnittlich 2,033 Millionen Erwerbstätige hatten im Jahr 2016 ihren Arbeitsplatz im Freistaat Sachsen. Das waren rund 19.000 Personen bzw. 1 Prozent mehr als im Jahr 2015. Trotzdem, muss man sagen.

Denn eigentlich sollte es ja ein durchwachsenes Jahr werden, wie die meisten Konjunkturprognosen verhießen. Und dann war da ja noch der Mindestlohn.

Der hat tatsächlich gewirkt. Auch wenn es scheinbar untergeht in den Zahlen.

2016 wurde auch das höchste Niveau bei der Erwerbstätigkeit seit dem Jahr 1991 erreicht. Die aktuelle Entwicklung im Vergleich zum Vorjahr prägten ein überdurchschnittliches Plus bei den Arbeitnehmern ohne geringfügig Beschäftigte sowie ein weiterer deutlicher Rückgang der marginalen Beschäftigung, kommen die Statistiker dann auf den springenden Punkt. Der übrigens in ganz Ostdeutschland wirkt. Überall werden wieder mehr Vollzeitarbeitskräfte gebraucht. Aber das sorgt vor allem dafür, dass sich jetzt der riesige Berg an marginalen Beschäftigungsverhältnissen so langsam abbaut. Menschen, die bis 2013, 2014 mit Mini-Jobs und anderen schlecht bezahlten Teilzeitbeschäftigungen vorlieb nehmen mussten, können seitdem wenigstens in richtige Vollzeitverhältnisse wechseln. Oft nicht deutlich überm Mindestlohn. Aber wenigstens das.

Die einfache Stabilisierung des Arbeitsmarkts mit seiner starken Fokussierung auf Dienstleistung sorgt dafür, dass endlich tausende Arbeitnehmer aus Armutsjobs herauskommen und wenigstens genug zum Leben verdienen. Die Rente noch lange nicht. Dazu reicht auch der Mindestlohn nicht. Aber er reicht endlich dazu, wieder die normalen Anschaffungen für den Alltag zu tätigen. Was dann den Konsum wieder anheizt. Denn Leute, die wenig Geld haben, die müssen ihr Geld umsetzen. Dort könnte eine vernunftberatene Regierung eine Menge tun, um die Konjunktur zu stabilisieren.

Dumm nur, dass man sich in höheren Gefilden der Politik nur für höhere Einkommen und die Kümmernisse der besser bezahlten Steuerzahler kümmert. Das ist die Schizophrenie der Zeit, die derzeit dafür sorgt, dass all die Arbeitsmarktinstrumente, die seit den 1990er Jahren eingeführt oder dereguliert wurden, jetzt langsam aus der Mode kommen.

Das hat andere zerstörerische Seiten, denn die neuen Vollzeitjobs sind keine bequemen. Meist sind sie körperlich und seelisch sehr beanspruchend und sie haben keine Pufferzonen mehr, wenn der Betroffene ausbrennt, der Körper streikt oder die Seele auslaugt. Alles riesige Themen für Parteien, die sich wirklich einmal um das Heer der Getriebenen kümmern wollten.

Denn das Getriebensein hört ja nicht auf. Die meisten dieser neu entstandenen Jobs liegen nach wie vor nur einen Schritt von „Hartz IV“ entfernt. Wer einen hat, der weiß, was ihm blüht, wenn er den Bettel hinschmeißt, wenn er oder sie nicht mehr kann.

Gerade ging kurz die Diskussion darüber durch die Medien, was eigentlich derzeit bei Heil- und Pflegeberufen mit den dort Tätigen für Schikane getrieben wird. Menschen werden – anders als die viel gepriesenen Roboter der Industrie 4.0 – auf Verschleiß gefahren.

Was ist das für eine Wirtschaftsphilosophie?

Für die Betroffenen jedenfalls eine, die sie dicht am Rand der Hölle trotzdem hoffnungslos sein lässt. Oder wütend. Die Wahlergebnisse der Gegenwart kommen nicht von ungefähr.

Zwischenstand im Osten: Während in den fünf neuen Ländern die Zahl der Arbeitsplätze im Vergleich zum Jahr 2015 um 0,6 Prozent anstieg, erhöhte sie sich in den alten Ländern (ohne  Berlin) um ein Prozent. Dies entsprach auch dem Wachstum der Erwerbstätigenzahl in Deutschland 2016.

Heißt im Klartext: Der Osten hat seinen wachsenden Bedarf an Arbeitskräften vor allem über zuvor marginal Beschäftigte gestillt.

Nach Branchen betrachtet zeigte die aktuelle Entwicklung in Sachsen einen Anstieg der Erwerbstätigenzahl in den Dienstleistungsbereichen um 16.300 Personen bzw. 1,1 Prozent gegenüber 2015. Besonders positive Impulse waren hier im Bereich Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Verkehrsbereich zu verzeichnen, meinen die Statistiker. Aber der Blick in die Tabelle zeigt, dass es vor allem der Pflege-, Gesundheits- und Erziehungsbereich ist, wo 10.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Und da ist der sächsische Staatsapparat noch gar nicht dabei, wo man immer noch zögert und zaudert, das Personal für die nächsten 20 Jahre zu sichern.

Lichtblicke gab es auch im Produzierenden Gewerbe. Da stieg die Zahl der Erwerbstätigen  um 3.600 Personen bzw. 0,7 Prozent. Innerhalb dieses Bereichs gab es im Verarbeitenden Gewerbe mit einem Plus von 3.400 Personen bzw. 1,0 Prozent den maßgeblichen Zuwachs im Vergleich zum Jahr 2015.

Im Gegensatz dazu kam es zu einem Rückgang der Erwerbstätigenzahl gegenüber dem Vorjahr in der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei um 2,2 Prozent. Wieder einmal, muss man sagen. Die Landwirtschaft wird immer mehr zur industriellen Einheitsproduktion mit immer weniger Personal, das immer mehr Tiere und immer größere Flächen „so effizient wie möglich“ bearbeitet. Mit allen fatalen Folgen für die Umwelt – aber auch für das Sterben der Dörfer. Hätte man ja wissen können. So jung ist das Thema ökologische Landwirtschaft ja nicht. Aber auch bei dem Thema wird in Sachsen gebremst.

Die komplette Meldung des Statistischen Landesamtes.

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